Von blauen Zungen und gelben Karten

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Das Video auf You Tube, das Patrik Kittel beim Abreiten in Odense zeigt, hat indirekt auch die FEI-Vollversammlung in Kopenhagen beschäftigt. Es gab eine Verlautbarung, wonach der Weltreiterverband die Rollkur ablehnt. Kittel wird allerdings nicht erwähnt.

Seit am 19. Oktober dänische Journalisten eine Videosequenz auf dem Internetportal You Tube eingestellt haben, die den schwedischen Dressurreiter Patrik Kittel beim Abreiten für das Weltcupturnier im dänischen Odense zeigt, hat der Dressursport ein weiteres Problem. Kittel reitet den Hengst Scandic, mit dem er bei den Europameisterschaften 2009 Achter im Grand Prix Special und 13. in der Kür war. Das Pferd ist extrem aufgerollt, kaum dass mehr als eine Handbreit Platz wäre zwischen Unterlippe und Buggelenk. Gleich zu Beginn des Videos sieht man, dass Scandic die Zunge auf der rechten Seite heraushängen lässt. Kittel hält an, steckt die Zunge – so muss man mutmaßen, da diese Szene nur von hinten gefilmt und von einem anderen Reiter teilweise verdeckt ist – wieder ins Maul und reitet weiter. Blue tongue World Cup ist das Video überschrieben. Mehr als 130.000 mal ist es mittlerweile betrachtet worden. Weltweit wird in Internetforen darüber diskutiert. Die Wogen schwappen hoch, die Meinungen sind konträr.

Blau oder nicht blau? Das ist die Frage, die viele User interessiert. Generell gibt es zwei Parteien. Die eine ist schier entsetzt über das Abreiten, die andere – zu der wohl auch FEI-Sportdirektor David Holmes gehört – nicht. Blaue Zungen gäbe es schon mal, das sei ihm auch schon passiert. Und Patrik hat das Problem ja gleich gelöst. Immerhin gab der Mann zu, der Fall Kittel sei für den Dressursport wie der eines Todessturzes in der Military.

Kein Unbekannter

Was Holmes nicht sagt: Es ist nicht das erste Mal, dass Patrik Kittels Abreiten zur Diskussion steht. Im Januar rief ihm Klaus Balkenhol in Münster beim Abreiten hinterher: „Zwei Zentimeter haste noch, dann ist er ganz dran.“ Gemeint war der Unterkiefer, der dann die Brust berührt hatte. Pferdehändler Joachim Arl kam danach zu Balkenhol und sagte, so könne man sich doch nicht verhalten. Doch, sagt Balkenhol, muss man sogar. Beim Pfingstturnier in Wiesbaden rief das Kittelsche Abreiten gleich eine ganze Armada an Big Names aufs Tableau. Mit tief geschnalltem Reithalter ritt der Schwede ab. Richterin Katrina Wüst erfuhr davon am Telefon und wendete sich an den Equipechef der Schweden, Bo Jena, der umgehend für Abhilfe sorgte. Parallel war auch schon Liane Weitkamp, als Steward vor Ort, eingeschritten. Friedrich Otto-Erley, Leiter der Abteilung Spitzensport bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) erinnert sich: Der Nasenriemen saß dort, wo das hannoversche Reithalfter eigentlich sitzt. Das Pferd bekam kaum noch Luft, atmete so laut wie eine Dampflokomotive. Dort wo eigentlich der Nasenriemen sitzen sollte, war eine wunde Stelle. Am Abend ritt Kittel mit höher verschnalltem Reithalfter, Scandic zeigte die Zunge und wurde letzter in der Kür.

Keine Woche später beim Turnier in Lingen wurde FEI-Veterinär Dr. Hermann-Josef Genn von einigen Trainern auf Scandics Reithalfter angesprochen. Er untersuchte den Maulbereich des Hengstes, konnte aber keinerlei Verletzungen feststellen. „Das Reithalfter war aber so zugeknallt, dass ich es fast nicht öffnen konnte.“ Genn entschloss sich daraufhin, bei allen Reitern nach Verlassen des Prüfungsvierecks das Reithalfter zu überprüfen. Ein Drittel war zu fest verschnallt. Wobei es nur einen ziemlich allgemein gehaltenen Satz im sonst so präzisen FEI-Reglement gibt, der besagt, Nasenriemen dürften dem Pferd kein Leid zufügen.

Problematisch wird die Untersuchung der Vorkommnisse von Odense, weil die Macher von Epona TV der FEI nicht das komplette Drehmaterial aushändigen wollen. So lässt sich die Aussage, Kittel habe annähernd zwei Stunden das Pferd in Hyperflexionshaltung geritten, schlecht verifizieren. Epona sagt, die FEI habe mehrfach auf Interviewanfragen nicht reagiert. Deswegen der Deal: Rohmaterial gegen Interview. Der dänische Internetsender befasst sich viel mit zwangloser Dressur und entlockte schon Anky van Grunsven auf die Frage, wie lange sie in Rollkurposition reite, das Bonmot, das könne sie nicht genau sagen, die Zeit vergehe wie im Flug, wenn man etwas Schönes mache.

Auf seiner Homepage geht Patrik Kittel, der auf der Reitanlage der Familie Tecklenborg in Nottuln trainiert, zum Gegenangriff über: Die Zunge sei nicht blau gewesen, er sei unangekündigt um eine Stellungnahme gebeten worden. Für Epona stellt sich das anders dar, Kittel habe auf eine Rückrufbitte reagiert, dann habe man ihn etwas später zurückgerufen und darauf hingewiesen, dass man das Gespräch zu Dokumentationszwecken mitschneide. Das Gespräch beginnt freundlich, nach der Frage betreffs der Hyperflexion bricht Kittel das Telefonat mit Verweis auf seinen Anwalt ab. Der Mitschnitt ist bei Epona im Mitgliederbereich zu hören. Kittel schreibt auf seiner Homepage, die akkreditierten Journalisten hätten die Möglichkeit, ihn in Odense auf einer Pressekonferenz anzusprechen, nicht genutzt. Diesen Ansatz hat Kittels Anwalt auch schon dem ST.GEORG per Brief mitgeteilt, als wir nach einer Abreiteeinheit in Donaueschingen 2008 in einem Blog (Blut am Kittel) über ein blutendes Pferdemaul geschrieben hatten. Außerdem seien Stewards am Viereck gewesen, die sein Reiten nicht moniert hätten.

Die LVM-Versicherung, die seit 2009 Kittel sponsert, will das FEI-Verfahren abwarten und erst dann entscheiden, ob sie aus dem Vertrag ausscheidet. Die British Horse Society hat an FEI-Präsidentin Haya geschrieben und um Klärung des Falls gebeten. Dass die Rollkur verdammungswürdig sei, hatte es kurzfristig von Seiten der FEI geheißen. Das sei aber, so die aktuell offizielle Lesart, nur ein Entwurf gewesen. Jetzt hat die FEI nachgelegt, forderte Stewards aller Disziplinen auf, Reiter, die diese Methode anwenden, mündlich zu verwarnen oder eine gelbe Karte zu zücken. Erhält ein Reiter innerhalb eines Jahres zwei gelbe Karten, wird er zwei Monate im direkten Anschluss auf den zweiten Vorfall gesperrt. Man wolle die Stewards entsprechend weiterbilden, heißt es. Eine Definition, wann die von der FEI gern als Hyperflexion bezeichnete Trainingspraxis aber pferdeschädlich ist, wird nicht geliefert. Damit wird sich also kaum etwas ändern.

  1. Bernd

    Alle Noten unter 4 !! Getrenntes Richten ?? Ein Richter auf dem Vorbereitungsplatz!! Doch wer Traut sich !! eine Note fürs Abreiten: Keine 4 in allen Lektionen. Wie wir alle wissen. soweit kommt es nicht!!


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