Altstars, Jungtalente und eine Knutschkugel

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Die Holsteiner Züchter pilgerten nach Corona-Zwangspause wieder in die Holstenhalle, um den jungen Jahrgang zu begutachten und dann „ihre“ Verbandshengste zu inspizieren. Und sich die Väter für die Fohlen 2024 auszusuchen. Eine von ihnen: Gabriele Pochhammer.

Was haben ein Fußballspiel und eine Hengstkörung gemeinsam? Die Tribünen sind voll von Trainern und Körkommissaren, die alles wissen, jedenfalls besser, als die Damen und Herren da unten, wo das Spiel läuft. Die Holsteiner Körung Verlinken steht jedes Jahr fest in meinem Kalender, einmal aus geografischen Gründen, nur eine halbe Stunde Fahrt, und als Kleinzüchterin mit anderthalb Stuten, womit ich mich exakt im statistischen Mittel befinde. Als Züchter ist man natürlich immer auf der Suche nach dem perfekten Hengst, dem Traumvater des nächsten Fohlens, schön, mit tollen Bewegungen, der über die Sprünge fliegt wie ein Vögelchen, souveräne Gelassenheit ausstrahlt und sich von jedem Kind reiten lässt. Letzteres allerdings kann man zum Zeitpunkt der Körung nur hoffen. Perfektion gibt es bei keinem Pferd und in diesem Jahr schon gar nicht. Kein Hengst erfüllte alle Wünsche, war ein „komplettes Pferd“, wie es so schön heißt, noch am ehesten der Sieger Diamantado mit gutem Hengstausdruck, einem imposanten Kragen, gutem Sprung, annehmbaren Schritt aber leider etwas wenig Trab. Sein Besitzer kaufte ihn zurück. Er habe ihn ursprünglich gar nicht verkaufen wollen, hieß es, hatte sich dann doch überreden lassen, aber 240.000 Euro waren ihm einfach nicht genug. Na dann! Durch den Rückkauf schnellte immerhin der Durchschnittspreis nach oben.

Wunde Punkte

Der Schritt ist ja nicht erst seit gestern der wunde Punkt der Holsteiner. Wenn ein Hengst einen guten Schritt ging, dann gab es ein Extra-Lob. Auch wenn man die unruhige Umgebung in Rechnung stellt, die sich ja am ehesten auf den Schritt auswirkt, war von einem gelassenen raumgreifenden, taktmäßigen Schritt in der Holstenhalle nicht viel zu sehen. Einige Hengste blieben mit den Hinterhufen zwei Hufbreit zwischen dem Abdruck des Vorderhufs zurück. Einer davon – ich hatte notiert „Schritt Null“ – wurde gekört. Schon die Schrittstrecke auf der Dreiecksbahn war ein Witz: ca zehn bis zwölf Schritte hin, Wenden und dasselbe zurück. Auf diesem kurzen Stück kamen die meisten Hengste gar nicht erst zum Schreiten. Ein anderer Schwachpunkt im wahrsten Sinne des Wortes – auch in diesem Jahr – war die weiche matte Oberlinie bei etlichen Hengsten. Ohne einen kräftigen Rücken hält kein Springpferd lange durch, jedenfalls nicht im Topsport. Aber die Haltbarkeit ist ja ein anderes zur Zeit heftig diskutiertes Thema, und die kann der Züchter bei einem Junghengst nur vermuten oder erhoffen. Wenn wirklich einmal Gesundheitsmängel die Karriere eines Hengstes beenden, erfährt der Züchter das selten bis nie. Offenbar vertraut man auf die Kräfte des Marktes, aber da können ein paar Jahre ins Land gehen, bis der Züchter merkt, dass sein Wunderhengst von einst weiche anfällige Nachkommen produziert. Und die hat er erstmal an der Backe.

Der Versuch, Dressurgene wieder in der Holsteiner Zucht zu verankern, kann nach wie vor nicht als gelungen bezeichnet werden. Die beiden Hengste mit Schwerpunkt Dressur von den KWPN-Hengsten Goldball und Grand Galaxy Win wurden nicht gekört. Da gibt’s woanders Bessere. Wo bleiben die Pferde wie Granat, Antoinette, Corlandus, Chacomo, die für Holstein Olympiamedaillen gewonnen haben?

Konsequente Körkommission

Nach anderthalb Jahren traf sich in der Holstenhalle die Züchterschaft wieder, die ja längst nicht mehr nur aus Holsteiner Bauern besteht, sondern weltweit verstreut zuhause ist, mehr Züchter außerhalb Holsteins als innerhalb des Kernlandes agieren. Es war die erste Körung nach den neuen Richtlinien für Tierschutz im Pferdesport, das heißt erstmalig wurden nicht die Zweieinhalbjährigen, sondern die Dreijährigen oder die, die demnächst drei werden, beurteilt. Hörte man sich um, so haben doch etliche Junghengste noch bis September auf der Weide laufen dürfen, und das war ja auch Sinn der Sache. Wie bei der letzten Herbstkörung saßen auch diesmal die Veterinärbeamtinnen mit auf der Tribüne, die Messlatte in Reichweite. 1,30 Meter ist die Obergrenze – so wurde am grünen Tisch bestimmt. Dass – bundesweit gesehen – manche Hengste über 1,30 Meter lachen, andere mit Mühe darüber rutschen, ist Bürokraten ja egal. Und dass wieder ein paar Unbelehrbare ihre Hengste so „vorbereitet“ hatten, dass sie das Hallendach avisierten, gehört zu den frustrierenden Erkenntnissen auch dieser Körung. Die Kommission reagierte, zwei prämierungswürdige Hengste wurden aus dem Prämienlot gestrichen. Ihnen macht es wohl wenig aus, ihrem Züchter hoffentlich etwas mehr.

Parcours statt Freispringen

Was Holsteiner können, wenn sie erstmal geritten und schon im Sport gehen, konnten die Züchter dann am Sonntag bei der Vorführung „ihrer“ Verbandshengste sehen. (Ja, wir Züchter sind die Eigentümer von Casall und Co, auch wenn das manchmal vergessen wird.) Auf das Freispringen wurde verzichtet, die Vierjährigen und Älteren in einem kleinen freundlichen Parcours gezeigt, die Höhe immer dem Alter und Ausbildungsstand angepasst. Und manchmal wurde es auch richtig hoch. So konnten die Züchter ihre Hengste quasi unter Echtzeit- sprich Turnierbedingungen erleben, was ja hundertmal aussagekräftiger ist als das Freispringen. Sophie Hinners war aus dem Süden angereist und stellte Keaton und Vigado vor, drehte auch eine Runde mit Million Dollar, ihrem ehemaligen Nationenpreispferd. Aufs Springen wurde verzichtet, weil Million Dollar erst die Folgen seines Hodenbruchs ganz auskurieren muss.

Auch Rolf-Göran Bengtson war gekommen, er hat es ja nicht so weit, und ritt Charaktervoll und Zucchero, beide bei ihm im Turnierstall. Seinen großen Auftritt an der Hand hatte Casall, Holsteins Vererberstar und Großverdiener. Über die Leinwand lief noch einmal einer seiner großen Sportmomente, der Sieg im Großen Preis bei seinem Abschied im Hamburger Derbypark. Er schien die Aufmerksamkeit der Menschen in der Holstenhalle zu genießen, so wie er da stand, hoch erhobenen Hauptes und herrlich in Lack.

Und dann kam Agamemdon xx – er heißt wirklich so, da hat einer wohl nie als Kind die Sage vom Grichenkönig Agamemnon gelesen – ein neuer Blüter für Holstein, nicht zu groß (1,64), nicht zu lang, edel und schön mit ansprechenden Bewegungen. Und offenbar richtig gut zu reiten. Aufs Springen wurde verzichtet, aber im Internet kann man sehen, dass er auch einen ordentlichen Sprung macht. Ich habe ihn im Stall besucht, man muss ihn einfach mögen, wie er einem mit seinen großen Augen entgegenkommt. „Eine richtige Knutschkugel“, sagte mir eine anerkannte und sonst sehr sachliche Pferdefrau. Und das ist es doch am Ende: Wessen Herz keinen Hüpfer mehr macht, wenn er ein feines Pferd sieht, der sollte aufhören zu züchten.nike sb dunk sizing and fit guide | Cheap air jordan 1 low womens

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.