Blog 2 aus Aachen: Shoppen, schwätzen und einen Schock verdauen

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Neues aus der Mixed Zone

 

Auf einmal ist alles Makulatur. Alle Spekulationen, ob Wunderhengst Totilas mit Matthias Rath rechtzeitig vom Pfeifferschen Drüsenfieber gesunden wird für eine Olympianomninierung. Nein, wird er nicht, der Bus mit den Herren und der Dame (Heike Kemmer) des Dressurausschusses Richtung Schafhof konnte abbestellt werden. Merkwürdigerweise sah man eigentlich keine traurigen Gesichter. Paul Schockemöhle grinste geradezu verschmitzt, als meine Kollegin und ich wie aufgeregte Hühner vor ihm standen und ein paar flockige Statements erhofften. Die gab er sofort: So was kommt halt vor. Der Tod von Chacco Blue hat mir mehr weh getan. Totilas lebt und an Pfeifferschem Drüsenfieber stirbt man auch nicht. Der Ausnahmespringhengst lag bekanntlich vor einigen Wochen aus ungeklärter Ursache tot in der Box.

Klar, geritten wird auch in Aachen. Es wird aber auch flaniert und geshoppt, bis die Kreditkarten glühen, es wird gefeiert, edel im zweistöckigen VIP-Palast, rustikal an den Bierständen fürs Volk, informativ an der Reiterbar hinter der Tribüne, wo die Medienmenschen sich zwanglos mit Reitern und Adabeis mischen können, weswegen dieser höchst kommuniktive Bereich auch Mixed Zone heißt.

Lässt sich ein Reiter blicken, sind die Journalisten nicht fern, begehrter Gesprächspartner ist allzeit Ludger Beerbaum. Der hat bekanntlich seinen Olympiaverzicht vor zwei Tagen bekannt gegeben und ist dabei erstaunlich entspannt. Beim Joggen morgens ist ihm aufgefallen, dass es eigentlich gar nicht weh tut, dass sich die Enttäuschung in Grenzen hält. Er hat mit Gotha aufs falsche Pferd gesetzt, was für eine Headline die Stute habe zwar Klasse, aber sei leider nicht so zuverlässig, dass man unbeschwert in einen olympischen Parcours damit reitet. Beerbaum weiß wovon er redet, sechs Spiele hat er hinter sich und normal verliefen keine, er hat die Dramen angezogen, wie die Motten das Licht. 1988 in Seoul musste er seinen lahmen Landlord gegen den geliehenen Reservisten The Freak eintauschen – das ginge heute nicht mehr.

1992 in Barcelona riss bei Beerbaum ein Eisenstück an Classic Touchs Zäumung, er konnte gerade noch abspringen, bevor sie Fahrt aufgenommen hatte. Dann blieb die Stute sofort stehen und ging mit ihrem Reiter aus der Bahn, beide gesenkten Hauptes, ein unvergessliches Bild. Zwei Tage später waren sie Olympiasieger, eine Woche später war Beerbaum sein Pferd los musste es an Ralph Schneider abgeben. 1996 und 2000 gab es Mannschaftsgold, 2004 zunächst auch, dann wurde Beerbaum nachträglich disqualifiziert, weil Goldfever mit einer verbotenen Salbe behandelt worden war. Die Mannschaft behielt immerhin Bronze, heute würde das ganze Team disqualifiziert. 2008 waren die deutschen Springreiter in miserabler Form und 2012 hätte Beerbaum noch einmal die Chance gehabt, Hans Günter Winkler als erfolgreichsten Olympiaspringreiter zu entthronen, ein Gedanke, der ihn immer noch gut gefallen würden. Den nächsten Versuch kann er in vier Jahren starten, an einen Schlusspunkt denkt Beerbaum noch nicht. Rio, klingt gut, sagt er.

Aachen ist auch immer eine Bühne, auf der sich die Sponsoren gerne inszenieren. So die Deutsche Bank, die ihr Dressurengagement gestern der Weltpresse erläuterte. Wichtige Herren mit Anzug und Krawatte erklärten, dass Dressurreiten und Banking einiges gemeinsam haben, nämlich Präzision, Fairness und Beharrlichkeit. Aha, habe ich das falsch gelesen, dass von der Deutschen Bank genauso viele kleine Anleger aufs Kreuz gelegt wurden, wie von anderen Banken auch? Die beiden Nachwuchsreiterinnen Jenny Lang und Fabienne Capellmann-Lütkemeyer werden künftig 300 Euro im Monat Unterstützung von der Deutschen Bank und der Deutschen Sporthilfe erhalten. Damit sie nicht wählen müssen zwischen Studium und Spitzensport, sondern beides vereinen können. Da bin ich natürlich froh, dass Fabienne Lütkemeyer, einzige Enkelin des Aachener Industriellen Kurt Capellmann, nicht kellnern muss, um ihre Pferde zu füttern.

Ein Herz fürs Kaffeedurstige hatte übrigens Sissi Theurer. Die Olympiasiegerin 1980, Mutter der London-Kandidatin Victoria Max-Theurer und Chef des österreichischen Reiterverbandes, kostete kurz das Gesöff, das im Häuschen am Rande des Trainingsvierecks stand, schauderte und kam kurze Zeit später mit einer edlen Espresso-Maschine wieder. Nach dem Turnier einpacken und fürs nächste Jahr aufheben, sagte sie. Das ist die wahren Sponsoren, die Menschen glücklich machen.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.