Derby in Corona-Zeiten – eine persönliche Retrospektive

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

Ein Außenseiter, der im Sturzflug das Feld von hinten aufrollt, ein Favorit, der vor eine Wand läuft und Gabriele Pochhammer mit ihren persönlichen Eindrücken vom Derby-Sonntag auf der Rennbahn in Hamburg.

 

 

Ich hatte ganz vergessen, wie spannend Pferderennen sein können, war einfach zu lange nicht mehr auf der Rennbahn gewesen. Das habe ich am vergangenen Wochenende in Hamburg-Horn beim Deutschen Derby nachgeholt. Ich wette zwar nie, weil erfahrungsgemäß jedes Pferd, auf das ich wette, von einem rätselhaften Formtief überfallen wird, aber es macht einfach Spaß, diese eleganten edlen Pferde auf dem Führring zu beobachten, sich einen Favoriten herauszusuchen und zu schauen, wer besonders aufgeregt herumtänzelt, wer besonders cool bleibt oder besonders unternehmungslustig aus der Wäsche guckt. Verlässliche Schlüsse für den Rennverlauf kann man daraus allerdings, wie gesagt, nicht ziehen.

Spannung vor dem Start

Wenn die Pferde den Führring Richtung Rennbahngeläuf verlassen, vorher noch einmal an den – diesmal nahezu menschenleeren – Tribünen vorbeigaloppieren, dann muss man schnell sehen, dass man durch den Tunnel auf die andere Seite kommt, damit man auf der Videowand das Rennen verfolgen kann.

Quälende Minuten vergehen, bis alle Pferde in der Startbox sind, einer zickt immer und will nicht in den schmalen Verhau. Beim Derby dauerte es diesmal noch ein bisschen länger, weil alle nochmal aus der Maschine raus und auf den Hufschmied warten mussten, da Near Poet noch schnell ein neues Eisen brauchte.

Wenn das Feld dann losstiebt, – beim diesjährigen Derby 19 dreijährige Hengste, die jeder 58 Kilo trugen – dann kann man erstmal alles vergessen, was man vorher über den möglichen Sieger recherchiert hat. Wenn nicht gerade der haushohe Favorit gewinnt, dann kommt alles anders, als man vorher dachte und für die Nummer sechs interessiert sich nach dem Rennen kein Mensch mehr.

Favoritensturz

Das war in diesem Fall der Fuchshengst Wonderful Moon, für den die Derbydistanz von 2400 Meter einfach zu lang war. Der deutsche Championjockey Andrasch Starke, der hier mit einem achten Derbysieg mit dem Rekordhalter Gerhard Streit hätte gleichziehen können, merkte das relativ früh. „Es wurde ihm zu lang, er lief dann einfach vor eine Wand“, sagte er.

Auch wer wie ich Kellahen die Daumen gedrückt hatte, wurde enttäuscht. Bis zum letzten Bogen führte der Braune mit der schmalen Blesse, wie Wonderful Moon in diesem Jahr noch ungeschlagen, dann war er weg vom Fenster, abgeschlagen im hinteren Drittel. Dabei hatte sein neuer Mitbesitzer, der 88-jährige Hans Gerd Warnecke Kellahen gekauft, um sich seinen Traum vom Derbysieg zu erfüllen, und schlappe 65.000 Euro für die Nachnennung bezahlt. Geld, das er wie auch der Besitzer des ebenfalls nachgenannten Soul Train (10.) am Ende in den Sand, besser auf den Rasen setzte.

Sturzflug von hinten

Normalerweise fegt ein Sturzflug von oben nach unten, dieser im Derby kam von hinten nach vorne. Auf der Zielgeraden noch Viertletzter schob sich In Swoop, zu deutsch Sturzflug, unaufhaltsam an die Spitze zu seinem unerwarteten Derbysieg und sicherte seinen Besitzern damit 390.000 Euro Siegprämie von insgesamt 650.000 Euro Preisgeld.

„Er ist unfassbar gut gezogen“, sagt Philip von Ullmann (24), jüngster Sohn von Clan-Chef Georg von Ullmann, der in sechster Generation die Vollbluttradition seiner Familie fortsetzt und strahlend die Glückwünsche entgegennahm. Er war es, der In Swoop als Fohlen den Namen gegeben hat, der auf dessen Vater Adlerflug anspielt.

Die Väter des Erfolgs

Würden Pferde so etwas wie Stolz und Genugtuung kennen, könnte sich der inzwischen 14-jährige Fuchshengst Adlerflug in seiner Box in Schlenderhan in die Brust werfen. Denn nicht nur der Sieger, auch der Zweite, Torquator Tasso, ebenfalls ein Außenseiter, ist sein Sohn sowie eine Reihe weiterer Pferde, die im Verlauf des dreitätigen Derbymeetings an den Start gingen.

Adlerflug selbst gewann das Derby im Jahre 2007 mit dem sensationellen Vorsprung von acht Pferdelängen. „Und In Swoops Mutter Iota hat den Preis der Diana gewonnen. Das heißt, sie war die beste deutsche Stute ihres Jahrgangs“, sagt Philip von Ullmann.

Als alle Rennen gelaufen waren, fand unsere rührige Pressesprecherin Martina Brüske ihn vor der Tribüne stehend, nicht im VIP-Bereich im nahe gelegenen Hotel Schampus schlürfend, sondern eine Bierflasche in der Hand, unten Jeans, oben Hermes- (oder so) Krawatte.

Beste Ausbildung (Master Studium im Finanzwesen), schon als Junge auf der Rennbahn oder bei den Pferden im familieneigenen Gestüt, aus einem Hause, in dem nicht gespart werden muss. Und am Sonntag auch noch der 19. Derbysieg für Schlenderhan (plus ein Sieg in den Farben der Familie Ullmann). Gerade ist Philip von Ullmann dabei, sich mit drei Mutterstuten eine eigene kleine Zucht aufzubauen. Das klingt, als ob eine ganze Girls Group von guten Feen bei diesem Jungzüchter an der Wiege gestanden hat.

Schlenderhan bleibt in der Familie

Seitdem die gestütseigene Trainingsanlage von Schlenderhan zum Jahreswechsel aufgegeben wurde, sind die Pferde auf verschiedene Trainerställe in Deutschland und Frankreich verteilt. Hintergrund war die vorübergehende Übereignung des Gestüts an die Deutsche Bank im Zuge der Turbulenzen um die Sal. Oppenheim Bank, die inzwischen abgewickelt wurde.

Mitgesellschafter Georg von Ullmann aus der Besitzerfamilie Oppenheim konnte das Gestüt mit Schlösschen, Ställen und Weiden zurückkaufen, für die Trainingsanlage fand sich indes kein Interessent. „Jetzt wollen wir eine Reithalle bauen, damit wir unsere eigenen Jährlinge dort anreiten können“, sagt Philip von Ullmann.

Als weitere Aufgaben warten auf In Swoop der Grand Prix de Paris, Corona-bedingt statt im Juli erst im September, und vielleicht der Prix de L’Arc de Triomphe, das berühmteste Rennen der Welt. Genannt wurde In Swoop für den Arc jedenfalls schon lange vor dem Derby.

Das Beste draus gemacht

Am Ende hat der Hamburger Rennclub aus dem „Corona-Derby“ das Beste gemacht. Nur 1000 Leute durften sich auf der Bahn aufhalten. Vor der Tribüne flanierte die Szene hin und her, ein paar einsame „Faszinatoren“ hatten sich auf einige wenige Damenköpfe verirrt. Sie wissen schon, diese Möchte-gern-Hütchen mit wippenden Antennen-ähnlichen Aufbauten, mit denen die Trägerin aussieht wie E.T, der Kontakt zu seinen außerirdischen Freunden sucht.

Ansonsten Entspannung bei Kaffee und Bratwurst. Und natürlich gab es auch einen Sektstand. Die wenigen Besucher brüllten beim Finish fast wie sonst 20.000 auf den Rängen. Am Eingang wurde Fieber gemessen und Ordner überprüften, ob sich alle an die Maskenpflicht hielten.

Jedes Rennen wurde im Livestream übertragen. Auf der Bahn konnte nicht gewettet werden, nur übers Internet oder in einem nahegelegenen Hotel, allein am Derbytag für knapp eine Million Euro, an allen drei Tagen für rund 1,8 Millionen. Schatzmeisterin Ilona Vollmers hatte nur mit 1,2 Millionen gerechnet und zeigte sich dementsprechend erleichtert: „Ich bin überglücklich.“ Auch wenn sich niemand eine Neuauflage eines von Corona diktierten Derbys wünscht.New Air Jordans 1 release dates | mens jordan shoes release dates

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.