Die Kehrseite von Corona …

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

… kann ganz erfreulich sein, denn viele Topreiter sehen ihre Familien jetzt mehr und viele junge Pferde, die sonst so mitlaufen, bekommen jetzt die Aufmerksamkeit des Chefs. Aber das ist es auch schon mit den guten Nachrichten. Für die meisten von uns heißt es wie schon im Frühjahr: Zähne zusammenbeißen und durchhalten – bis zur Impfung, auf die wir hoffentlich nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag warten müssen.

„Jedes Schlechte hat auch sein Gutes“, sagt Springreiter Christian Ahlmann, auch wenn es vermutlich nicht nur ihm schwerfällt, in den erneuten und wohl unumgänglichen Corona-Beschränkungen, die über Deutschland verhängt wurden, viel Gutes zu entdecken. Aber schon im ersten Lockdown im Frühjahr haben die Reiter nicht lange gejammert, sondern zugesehen, was noch möglich ist.

Der internationale Turnierkalender ist ausgedünnt, ein einziges Fünfsterne-Weltcup-Turnier in Riad im Dezember, alle anderen Weltcup-Qualifikationen abgesagt oder verschoben. Noch prangt optimistisch der Termin für das Finale in Göteborg Ende März im Kalender, aber schon jetzt halten sich die Veranstalter bedeckt, ob überhaupt und wenn ja, wie viele Zuschauer kommen dürfen. Alle Nebenprüfungen wurden aus dem Skandinavium in andere Sportstätten ausgelagert. Welche Reiter sich dann wie für das Weltcup-Finale qualifiziert haben, muss man dann sehen.

Wie geht es weiter?

Alles ist anders, seit das Corona-Virus die Weltherrschaft übernommen hat, auch wenn vieles wie immer scheint: Die Pferde, ob Spitzensportler oder Freizeitkumpane, müssen weiter gefüttert, getränkt, ausgemistet und bewegt werden. Ihr Unterhalt kostet dasselbe Geld wie immer. Die vom Tierschutzgesetz vorgeschriebene Betreuung der Tiere bleibt auch weiter gewährleistet, aber das ist es schon mit der Normalität.

Reitunterricht ist wie schon im Frühjahr verboten, das trifft vor allem die Reitschulen, die Vereine und Betriebe, also das Rückgrat unseres Sports, und die Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Turniere für Profis soll es weiter geben, aber auch hier wird heruntergefahren: Das Turnierzentrum Riesenbeck zum Beispiel macht nach einem letzten Turnier 2020 am 15. /16. Dezember bis 19. Januar dicht, auch die Trainingstage Dressur und Springen mussten abgesagt werden.

Als nächstes stellt sich dann die Frage: Wer gilt als Profi, der anders als Amateure an bestimmten Turnieren teilnehmen darf? Noch können die meisten Ställe, die vom Handel und von den Gewinngeldern leben, die Durststrecke überbrücken. „Aber die Angst und Sorge, wie man durchkommt, auch beruflich, bleibt natürlich,“ sagt Ahlmann. „Ich bin von Beruf Turnierreiter und lebe von den Preisgeldern. Und die sind fast zu 100 Prozent weggebrochen im letzten Jahr.“

Mehr Zeit für andere Dinge

Er und viele seiner Kollegen entdecken dafür eine neue Qualität: Zeit. Sonst jedes Wochenende ab mittwochs unterwegs zu Turnieren, bleibt jetzt auf einmal Muße, sich mit den jungen Pferden zu beschäftigen, die so oft zu kurz kommen, und den älteren eine Ruhepause zu gönnen. Die verlernen eh nichts, dürfen viel spazieren gehen im Wald oder sich auf der Weide tummeln. Ahlmanns Olympiahoffnung Dominator widmet sich vermehrt seinen züchterischen Aufgaben, der Samen des Rapphengstes ist hochgefragt und seine Kinder eifern ihrem Vater schon auf kleinen Turnieren nach. Der verdient sein Futter, auch ohne über bunte Hindernisse zu springen.

„Die erfahrenen Pferde in Form zu halten, ist nicht schwierig,“ sagt Daniel Deußer, der Dritte der aktuellen Weltrangliste und damit bester Deutscher. „Aber der Wettkampf ist dann nochmal was anderes. Da muss man schneller reiten, und es gibt Situationen, die man zuhause nicht üben kann. Da merkt man auf einmal im Stechen, dass man ein paar Sekunden langsamer ist als andere, die mehr aktuelle Prüfungspraxis haben.“ Ob Pferde das Prickeln der Turnieratmosphäre vermissen, ist nicht bekannt. Aber die neue Deutsche Meisterin der Springreiterinnen, Finja Bormann, ist fest davon überzeugt. „Unsere Pferde wollen nicht an die Seite gestellt werden, die wollen arbeiten. Manche kriegen sonst regelrecht Depressionen“, sagt die 24-Jährige.

Für den Nachwuchs ist gesorgt

Zeit bleibt jetzt nicht nur für die jungen Pferde. Viele Reiter freuen sich, dass sie ihre Familien öfter sehen als nur an zwei Tagen in der Woche. „Ich habe soviel mehr Zeit für meine fünfjährige Tochter, doppelt soviel wie sonst,“ sagt Daniel Deußer, „das ist wertvolle Familienzeit.“ Diese Freuden hat der Weltranglisten-Erste, der Schweizer Steve Guerdat, noch vor sich. Sein erstes Kind soll Ende März zur Welt kommen. „Das ist natürlich eine Riesenfreude, ein ganz neues Kapitel in unserem Leben.“ Im Geiste sieht er sich schon mit Kind und Pony in der Führzügelklasse. „Dann fangen wir nochmal ganz von vorne an“, sagt er. Es klingt, als ob er sich darauf freut.

Nachwuchs gab es ja nicht nur bei Weltmeisterin Simone Blum im Frühjahr, auch Hendrik von Eckermann und seine Partnerin Janika Sprunger werden Eltern. Es kann also sein, dass als Spätfolge der Pandemie demnächst ein par Krabbelgruppen auf Turnieren eingerichtet werden müssen. Und dann stimmte es ja wieder, dass selbst die Corona-Krise ihr Gutes hat.Cheap Air Jordans 1 low For Sale | cheap air jordan 1 blue

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.