Die Vertrauensfrage auf dem Wall

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

Für einen Springreiter gibt es keinen einsameren Ort als oben auf dem Wall des Hamburger Springderbys. Das konnte man auch am vergangenen Sonntag in Klein-Flottbek wieder erleben.

Der Wall wird einmal in der zweiten Qualifikation gefordert, hier noch ohne die auf einen Galoppsprung gebaute 1,60 Meter hohe weiße Planke. Zum zweiten Mal geht es den Wall im Derby hinunter, dann mit dem Steilsprung, einer zusätzlichen Klippe, die auch in diesem Jahr der Mehrzahl der Reiter zum Verhängnis wurde.

Drei Meter hoch ist der steile Wall, rund viereinhalb Meter starrt das Pferd in die Tiefe. Für den Reiter kommt nochmal ein guter Meter hinzu. Es geht also verdammt weit runter. Am besten klettert das Pferd Schritt für Schritt gerade bergab, springt im letzten Drittel ab, dann passt es für die Planke. Das ist der Idealfall. Wie es geht, konnte man beim späteren Sieger Nisse Lüneburg und Cordillo sehen: Das Pferd hält nicht eine Sekunde inne, setzt bedacht die Hufe abwärts und drückt genau im richtigen Moment ab, um die Planke zu überfliegen.

Wenn das Pferd zögert, müssen die Richter genau hinschauen. Trippelt es nur hin und her oder zieht die Vorderbein ein paarmal von der Kante zurück, bevor es bergab geht, drücken die Richter meist ein Auge zu. Treten auch die Hinterbeine zurück, gibt es die ersten vier Punkte, treten sie zweimal zurück, ist der Ritt zu Ende. Zweifacher Ungehorsam führt zum Ausschluss.

Oben auf dem Wall ist der Reiter fast machtlos. Natürlich kann er mit seinen Hilfen den Weg nach vorne anmahnen. Aber das ist auch schon alles. Er darf nicht grob werden, schon gar nicht die Peitsche zücken. Der Schuss geht schnell nach hinten los, das Pferd steigt, stellt sich seitwärts oder rutscht schräg oder rückwärts runter, das alles hat es schon gegeben. Oder es springt panisch mit einem Riesensatz in die Tiefe, nichts, wovon auch der mutigste Springreiter träumt. Und auf Peitschenhiebe reagiert nicht nur das Pferd sondern auch das Publikum allergisch.

Beim Wallabstieg stellt der Reiter die Vertrauensfrage. Er ist seinem Pferd ausgeliefert. Wenn es nicht will, dann war’s das. Wenn es will, dann weiß der Reiter, dass er das meiste richtig gemacht hat. Er hat das Vertrauen seines Pferdes gewonnen; er hat es richtig trainiert, es weiß, dass nichts von ihm verlangt wird, was es nicht kann.

Der bescheidene Reiter lobt jetzt statt sich selbst sein Pferd. „Cordillo hat einen Wahnsinnscharakter“, sagte Nisse Lüneburg von dem 13-jährigen Wallach mit dem er am Wochenende zum dritten Mal nach 2012 und 2014 das Derby gewann. „Er würde mich nie im Stich lassen“, ist der 30-jährige Profireiter überzeugt. „Im Charakter kriegt er eine Zehn.“ Die Höchstnote, die im Pferdesport vergeben wird.

Die würde auch Sandra Auffarth für ihre Fuchsstute La Vista zücken, die nach einem ganz leichten Fehler an einem eher unproblematischen Gatter die Chance verpasste, als fünfte Frau das Derby zu gewinnen. So wurde sie wie im Vorjahr Dritte. Beim ansonsten lehrfilmreifen Ritt gab es am Wall für die beiden die einzigen bangen Momente.

La Vista sprang auf halber Höhe mit einem Riesensatz vom Wall und stand schon ganz dicht vor der Planke, schraubte sich aus fast aussichtsloser Lage katzengleich in die Höhe und tatsächlich blieben die weißen Bretter alle oben. „Dass sie sich da so rausgezaubert hat, zeigt ihr Springvermögen und ihre Einstellung“, sagte Auffarth. Auch eine Charakterfrage also.

Und eine Frage der Vorbereitung. Der große Wall wird inzwischen in vielen Turnierställen nachgebaut. Auf dem Magdalenenhof, wo Nisse Lüneburg reitet, steht so einer und auch Sandra Auffarth hat auf einem Platz bei Freunden geübt. Inzwischen gibt es übrigens auf mancher Luxusanlage ein Derbywall, obwohl kein Reiter, der hier zuhause ist, je auf die Idee käme, sich in den Traditionskurs zu trauen. So ein Ding macht sich halt gut. Aber es geht auch bescheidener.

Ulrich Meyer zu Besten, der im Jahre 1974 mit gleich zwei Pferden, Floto und Wembly, fehlerfrei im Derbykurs blieb, übte auf seinem Hof bei Herford: Von einer hohen Böschung auf die Wiese, auf der in passender Distanz der Weidezaun stand.

Benjamin Wulschner, in diesem Jahr Sieger der ersten Qualifikation (ohne Wall), am Ende mit vier Fehlern Vierter, musste mit einem Hügel aus Bauschutt vorlieb nehmen, aber auch das hat ja geklappt.

Christian Ahlmann schob seinen 16. Rang auf mangelndes Spezialtraining. In der zweiten Qualifikation widersetzte sich der Hengst Atomic beim Wallabstieg deutlichst. Im Derby selbst ging es schon viel besser, nur eine kleine Verzögerung, eine Hufbreit zurückgetreten. Für Atomic eine Lehrstunde vor 25.000 Zuschauern. Das ist noch Luft nach oben fürs nächste Jahr. Oder sollte man sagen, nach unten?

 

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.