Olympia-Blog: Tragik und Triumphe

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Gabriele Pochhammer (© www.st-georg.de)

Geländestrecke heute in Sea Forest, Gedanken von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer.

Jeder, der den Buschsport begleitet, fürchtet diesen Moment: Die Prüfung wird unterbrochen, Reiter auf der Strecke angehalten – in diesem Fall traf es das australische Evergreen Andrew Hoy – auf den Bildschirmen ist nur noch die Totale zu sehen, der Sprecher redet vom Wetter und allem möglichen. Und man weiß, dass etwas Ernstes passiert ist. In diesem Fall war es das Schweizer Pferd Jet Set, das nach einem Bänderriss nicht mehr zu retten war.

Ein junger Reiter, der so voller Enthusiasmus zu seinen ersten Olympischen Spielen gefahren war, ein Besitzer, der alles mit ansehen musste. Und auch in unserer Pressegang herrscht an diesem Nachmittag bedrückte Stimmung. Wir freuen uns immer mit „unseren“ Sportlern, auch wenn wir eigentlich hier sind, um ganz objektiv die sportliche Leistung zu beschreiben und zu analysieren, und wir leiden mit ihnen mit, wenn es gar nicht läuft oder Schlimmeres passiert. Heute am Geländetag hatten wir alles, die strahlende Julia Krajewski nach einem medaillenwürdigen Ritt, die beiden Enttäuschten, Michael Jung und Sandra Auffarth, und ein totes Pferd, für dessen Menschen jetzt Olympia jeden Glanz verloren hat. Und natürlich sind in Deutschland schon die Medien auf das Thema angesprungen, verdammen den Reitsport mal wieder pauschal in Grund und Boden als Tierquälerei. Wie es dazu kam, ob vermeidbare Fehler gemacht wurden, das wird noch genau zu untersuchen sein und wir werden darüber berichten.

Zum Erfolg gehöre nicht nur Können, sondern auch das gewisse Quäntchen Glück, sagte Bundestrainer Hans Melzer, nachdem seine Reiter den olympischen Kurs im Sea Forest, auf einer Insel vor den Toren Tokios bewältigt hatten. Dass ausgerechnet Julia Krajewski diesmal die deutsche Fahne hochhielt, ist vom Schicksal nicht weniger als gerecht. „Ich habe ja eine Geschichte auf Championaten“, sagte sie zu uns nach ihrem Ritt. Nach glücklosem Auftritt in Rio 2016, dem bis heute ungeklärten Dopingfall bei der EM 2017 in Strzegom, dem Vorbeiläufer bei den Weltreiterspielen in Tryon 2018 nach Dressurführung, nun eine Medaillenchance in  Tokio. „Ich habe ihr immer gesagt, einmal bist Du dran und stehst auf dem Treppchen“, sagt Bundestrainer Hans Melzer. Nun, ganz so weit ist es noch nicht, es stehen bis dahin ja noch zwei Springen morgen Abend an, aber Hoffen ist realistisch.

Die Strecke bestand ja im Prinzip aus einer großen hochgelegenen Fläche, von Bäumen  freigeräumt und dann eingesät, mit ein paar Galoppierstrecken drumherum. Mehr ging wohl nicht auf dieser ehemaligen Müllhalde und es war am Ende ein olympiawürdiger Kurs. Technisch hatten die Japaner alle Voraussetzungen geschaffen, die man braucht, angefangen mit zwei riesigen Bildschirmen, eigentlich gedacht für das Public Viewing. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass kein Publikum zum Viewen da war.

Aber es waren noch genug Leute unterwegs, man sah viele bekannte Gesichter, beziehungsweise erriet sie: Rate mal, wer sich hinter der Maske versteckt? So hätte ich Springreiterbundestrainer Otto Becker fast nicht erkennt, in der mintgrünen Version des DOSB-Outfits, zusammen mit dem Springausschussvorsitzendem Peter Hofmann, in FN-rot. Wenn dann noch die offizielle deutsche Olympia-Spiegelsonnenbrille dazukommt, die eigentlich niemanden schmückt, dann läuft man schon mal an alten Bekannten vorbei.

Pochhammer

Maskiert auf der Geländestrecke (v.l.): Steve Guerdat, Martin Fuchs (SUI), Soenke Lauterbach, Christian Sachs (oben), Peter Hofmann, Otto Becker (unten) (© Pochhammer)

Otto war mit seinen vier Springreitern, auch alle in Mint, gekommen, die sichtlich beeindruckt von dem waren, was im Gelände so verlangt wird, auch wenn die Hindernisse nicht so hoch sind wie im Großen Preis von Aachen. „Um keinen Preis der Welt“, sagte André Thieme auf meine Frage, ob er schon drüber nachgedacht hat, die Fakultät zu wechseln. „Niemals“ kam es von Daniel Deußer und auch Christian Kukuk und Maurice Tebbel schüttelten entsetzt den Kopf.

FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach schlenderte mit Christian Sachs über die Piste, der frühere sid-Kollege arbeitet jetzt für den DOSB. Der Vorsitzende des Vielseitigkeitsausschusses, Jens Adolphsen, hielt Kontakt per Walkie Talkie zur Mannschaftsführung und gab nach jedem Ritt seine Eindrücke weiter, wie auch der bisher nicht zum Einsatz gekommene Reservist Andreas Dibowski, der ja nebenbei auch noch ein Auge auf seine Polen hatte und der zwischen den Ritten mit Dirk Schrade, in japanischer Trainerkluft,  über seine Reiter fachsimpelte.

Schon ein paar Stunden nach der Prüfung wurden die Pferde wieder zurück in den Equestrian Park chauffiert. Die befürchtete Hitze erwies sich am Ende als nicht mehr gravierend, weil ständig ein leichter Wind wehte.  Bevor die Pferde nach dem Cross in den Stall entlassen wurden, musste die Körpertemperatur von ca. 40 auf 38 Grand gesunken sein. „Kein Problem für unsere Pferde“,  sagte Hans Melzer „die waren wirklich fit.“Air Jordan 4 Retro Off – CV9388 – White Sail – 100 – Jordan Brand quietly slipped in a new rendition of the low-top | mens jordan release dates

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Doris

    Unfälle passieren, ja – leider. Und nicht alles lässt sich vermeiden. Fakt ist aber auch, dass im %-ualen Vergleich im Vielseitigkeitssport sich deutlich mehr schwere Unfälle (und ich meine nicht nur die, die durch die Presse gehen) ereignen. Das Risiko ist, auch im Profibereich, hoch. Jeder Pferdebesitzer muss entscheiden, ob er dieses Risiko für seinen 4-Beiner eingehen möchte. Ich bin vor vielen Jahren selber Busch geritten (auf relativ niedrigem Niveau) und habe zu viele unschöne Bilder gesehen. Und ich kenne einige Buschis, welche auch international geritten sind, die ein oder mehrere Pferde in bzw. kurz nach der Prüfung aufgrund von Verletzungen verloren haben. Das Risiko ist hoch…mir zu hoch. Meine Sichtweise hat sich jedenfalls mit den Jahren verändert.

  2. C. Krajewski

    Die meisten Verletzungen, die zu dauerhafter Unbrauchbarkeit führen (außer bei Stuten, die eventuell noch zur Zucht geeignet sind, fast immer ein Todesurteil) passieren tatsächlich, während niemand auf dem Pferd sitzt, oft ist nicht mal jemand dabei. Auf der Weide, im Paddock, oder „keine Ahnung, wie er das gemacht hat“. Das wird jeder Pferdetierarzt sofort bestätigen. Oder fragen Sie mal in Ihrem Bekanntenkreis herum, wer Pferde aus welchen Gründen verloren hat. Aber über diese „normalen“ Fälle führt niemand eine Statistik, sowas passiert eben. Genauso, wie Pferde, die an Koliken sterben oder wegen Arthrosen nicht mehr reitbar sind. Eigentlich muss man also sagen, jeder, der sich ein Pferd anschafft, muss sich überlegen, ob er dieses Risiko eingehen möchte.

  3. Rüdiger S.

    Das Argument, dass die meisten Verletzungen auf der Weide passieren, wenn gar kein Reiter involviert ist wird immer gerne angeführt um zu verdrängen. Denn es verkennt, dass in dem Fall, wo der Reiter nicht involviert ist, sondern das Pferd sich frei auf der Weide (oder Paddock) bewegt, dieser auch nicht die Verwantwortung trägt (ausser für eine korrekte Weidehaltung zu sorgen). Im Fall der Stürze in der Vielseitigeit aber liegt es anders: hier trägt der Reiter die Verantwortung und somit auch die Schuld, wenn es zu einem Sturz (ggf. mit Todesfolge) kommt. Denn er hätte ja nicht reiten müssen.
    Am selben Wochenende ein weiteres totes Pferd bei einer VS in Deutschland und eine Reiterin im Koma.
    Meines Erachtens Zeit darüber nachzudenken, diesen „Sport“ aufzugeben!

  4. M. Bach

    Das Ergebnis des Nachdenkens, ob man den Vielseitigkeitssport aufgeben sollte, wäre für mich ein klares „NEIN“.

    Er ist und bleibt für mich „die Krone der Reiterei“, hierzulande bestens vertreten durch Michi Jung, Ingrid Klimke, Julia Krajewski, Sandra Auffahrt, Sophie Leube, und wie sie alle heißen. Auch für die psychische und physische Gesundheit der Pferde ist die Abwechslung zwischen Springen, Dressur und Gelände förderlich. Besser jedenfalls, als reines und ausschließliches Spring- oder Dressur-Training.

    Die Probleme liegen ganz woanders: IM HÖHER, SCHNELER, WEITER.
    – Warum müssen 35 Hindernisse in die Geländestrecke hineingeklotzt werden?
    – Warum müssen es partout 7 km Strecke sein?
    – Warum kann die Zeit nicht großzügiger bemessen werden?
    – Warum werden überhaupt Reiter*innen und Pferde zugelassen,
    denen es an Ausbildung und Erfahrung mangelt, an mentaler Ausgeglichenheit und Kondition,
    um diese Höchstleistungen zu erbringen, die heutzutage gefordert werden?
    – Es wird oft kein Wert mehr auf den Hindernisbau gelegt: (Olympia auf einer kargen Mülldeponie?)
    – Die neuartigen, schmalen, komischen Minimal-Dreiecke nehmen langsam Überhand.
    Ja klar, billig in der Anschaffung sind sie schon.
    – Und dann könnte noch die Anzahl der Turniere deutlich reduziert werden.

    Ich habe den Eindruck, dass sehr junge und talentierte Reiter*innen in der Vielseitigkeit regelrecht verschlissen werden. Sie werden zu schnell in den schweren Turnieren eingesetzt, sind dann manchmal extrem übermütig, ehrgeizig, unvorsichtig und risikobereit.

    Mir ist immer noch das großartige Nachwuchstalent Benjamin Winter in Erinnerung, der in Luhmühlen im Alter von 25 Jahren ums Leben gekommen ist. Ein Hindernis, vor dem durchpariert hätte werden müssen, ist er im Full-Speed völlig unkontrolliert entgegengeritten, und dann voll hineingekracht. Keiner konnte damals verstehen, was ihn in diesem Moment geritten hat. Es sah fast aus, als wäre er in einer Art Geschwindigkeitsrausch gewesen, den er selbst nicht mehr kontrollieren konnte. Ich werde diese Bilder nie mehr vergessen!

    Und das Problem beginnt schon noch viel eher.
    Wenn jemand anfängt, sich für den Reitsport zu interessieren und die ersten Reitstunden nimmt, verliert er/sie oft schon nach der dritten Longenstunde die Geduld, und will nix wie raus ins Gelände. Die Reitvereine bedienen diesen Wunsch durch brave Schulpferde, die hintereinander hertrotten, und ihren Reitschüler*innen das Gefühl vermitteln, sie könnten reiten. Die Reitvereine spielen da häufig mit, um ihre Reitschüler*innen nicht an andere Fun-Sportarten zu verlieren, die schneller zu erlenen sind und eine geringere Frusttoleranz erfordern. Reiten heißt lebenslanges Lernen.

    Fazit:
    Nicht das Vielseitigkeitsreiten an sich muss abgeschafft werden, sondern lediglich die völlig überzogenen Leistungsansprüche und Leistungsanforderungen, die an Reiter und Pferde gestellt werden.

  5. Doris

    Frau/Herr Bach,
    da bin ich voll bei Ihnen. Die überzogenen Ansprüche sollten generell im Pferdesport überdacht werden und das betrifft, wie Sie korrekterweise anmerken, nicht nur die VS.

    Ja, und auch der reiterliche (Ausbildungs)Weg bedürfte einer Reform! Die Änderungen bei den Reitabzeichen in Deutschland beispielsweise und der damit einhergehende Verlust der vielseitigen Reiterausbildung ist m.E. der völlig falsche Weg. Und auch die Reitschulen sind gefragt. Wir mussten früher noch lernen, wie richtig geputzt, gesattelt etc. wird. Den Partner Pferd kennen und verstehen lernen. Heute setzt man die Kinder auf’s Pferd/Pony und der Rest interessiert… nicht.


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