Rainer Engelke: „Ich bin eben der Picasso“

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

Ein schönes Bild: der Züchter als Schöpfer, als Picasso eben. Rainer Engelke, ist Züchter und Mitbesitzer des berühmtesten Trabers der Welt, Face Time Bourbon, der am vergangenen Wochenende den Prix d’Amérique gewonnen hat, zum zweiten Mal in Folge. So ungewöhnlich wie das Pferd ist der Weg seines Züchters in den Trabrennsport.

Die Stimme am Telefon klingt definitiv jünger als 78. Die Power, die Rainer Engelke in alles fließen lässt, was ihn interessiert, strömt bis in mein Handy. In Frankreich kennt ihn jeder in der Traberszene, hier kein Mensch, außer ein paar Hamburgern. Der frühere Banker, der mit 38 Jahren seinen Job bei der Vereinsbank aufgab, um sich fortan nur noch der Mehrung des eigenen Vermögens zu widmen, interessiert sich vor allem für Geld und Pferde, genauer Trabrennpferde.

Dass beide Vorlieben sich hervorragend kombinieren lassen, hat er zuletzt am vergangenen Sonntag gezeigt. Da gewann der von ihm gezogene sechsjährige Hengst Face Time Bourbon in Paris-Vincennes das wichtigste Trabrennen der Welt, den Prix d’Amérique, und das schon zum zweiten Mal in Folge. In einer Durchschnittgeschwindigkeit von rund 58 Stundenkilometer fegte der Braune mit dem Schweden Björn Goop im Sulky über die 2700 Meter-Distanz und füllte das Konto seines Besitzerkonsortiums, zu dem auch Engelke noch gehört, mit 450.000 Euro, den Anteil des Siegers an der Gesamtdotierung von einer Million Euro. Solche Preisgelder sind möglich, weil in Frankreich die öffentlich-rechtliche Wettagentur PMU sechs Prozent ihres Gewinns dem Sport zurückzahlt.

Die drei großen G

Wer mit Pferden Erfolg haben will, brauche die drei großen G, sagt Rainer Engelke. Geld, Glück und Geduld. Es ist mehr als 70 Jahre her, dass er als kleiner Junge an der Hand von Vater und Großvater, „kleine Kaufleute“, wie er sagt, jeden Mittwoch und jeden Sonntag auf die Hamburger Trabrennbahnen Bahrenfeld und Farmsen marschierte. „Ich hatte gar keine Wahl.“ Zwar riskierte er später auch mal einen Seitenblick auf die Reiter im Spring- und Dressurderby, ging auch mal zur Galopprennbahn in Hamburg-Horn, aber der Funke sprang nur über, wenn die Traber vor ihren Sulkies an ihm vorbeirauschten.

Dem ersten G, dem Geldverdienen, waren die Jahre nach Banklehre, Studium in New York und Jobs in Paris gewidmet. Auch dort zog es ihn magisch zu den Trabrennbahnen. Beide Länder sind Hochburgen dieses Sports, der in Deutschland inzwischen ein Nischendasein fristet.

Zurück in Deutschland ging Engelke wieder in die Hamburger Vereinsbank, bald gelang der Sprung in die Führungsetage. Ein Hamburger Antiquar weckte in ihm eine weitere große Leidenschaft, die Liebe zu alten Büchern. Heute besitzt Engelke 1000 Pferdebücher, die ältesten aus dem 16. Jahrhundert. Bevor er sein erstes Pferd ins Rennen schickte, hatte er bereits so ziemlich alles gelesen, was zu dem Thema Zucht und Rennen je gedruckt wurde. Er kannte die alten Geschichten, auch die von Walter Heitmann, der 1953 mit dem von ihm selbst gezogenen Permit den Prix d’Amérique gewann. Totenstille habe auf der Tribüne in Vincennes nach dem Sieg des ersten Deutschen geherrscht, acht Jahre nach Kriegsende. Auf dem Hamburger Hauptbahnhof bejubelten dafür tausende den siegreichen Paris-Rückkehrer. Der von Springreiter-Olympiasieger Alwin Schockemöhle gezogene Abano As gewann als zweites deutsches Pferd den Klassiker im Jahre 2003.

Mit 28 Jahren heiratete Engelke eine Französin, zehn Jahre später legte er sich ein hübsches kleines Anwesen in der Normandie zu, 130 Hektar hügelige Wiesen. Was fehlte waren die Pferde. Doch was Rainer Engelke vorschwebte, war schwer zu kriegen. Das Beste vom Besten, klar. Die französischen Traberzüchter ließen ihn auflaufen. „Die verkaufen ihre Mutterstuten nicht, die sind wichtiger als der Sohn,“ musste Engelke erfahren. Er erwarb einige zweitklassige Pferde, „um die Ställe ein bisschen zu möblieren“. Der Erfolg blieb aus, der Frust wuchs.

Auf Rat von Trainer und Züchter Jean Pierre Dubois, Besitzer von 500 Pferden und acht Gestüten, einem der ganz großen Pferdeleute in Frankreich, kaufte er auf der Auktion in Deauville die Jährlingsstute Etta Extra für den Spitzenpreis von 430.000 Francs, das entspricht 65.000 Euro, ein Schnäppchen, wie sich später herausstellte. „Biete einfach auf die Stute mit dem besten Pedigree“, hatte Dubois ihm geraten. Die Ahnentafel der Braunen strotzt nur so von klassischen Siegern und Helden des Trabrennsports. Sogar die Stute Nancy Hanks, die einst Abraham Lincoln gehörte, ist mehrfach in Ettas Pedigree vertreten. Sie war eine Berühmtheit im 19. Jahrhundert. Dazu muss man wissen, dass Trabrennen in Frankreich, aber auch in den USA anders als Galopprennen, die lange Zeit ein Aristokratensport blieben, ein Hobby der Bauern und einfachen Leute war. Es hob das Image, wenn man mit einem flotten Renner sonntags vor der Kirche auftauchte.

Mit Etta Extra, zu deutschen Eins Extra, wurde Rainer Engelke zum Züchter. Zwei Töchter der Etta gewann beide rund 1,5 Millionen Euro, mit der dritten, Kamera, fuhr er selbst Amateurrennen, mehr begeistert als begabt. „Ich wäre wohl eher ein Basketballspieler geworden.“ Auf dem Sulky wurde es für den 1,93-Meter–Mann etwas eng. Aber den Adrenalinschub in einem Dreiminuten-Rennen, der hatte was.

THOMAS SAMSON/AFP via Getty Images

Face Time Bourbon gewann mit dem Schweden Bjorn Goop den 100. Grand Prix d’Amérique in Paris. (© THOMAS SAMSON/AFP via Getty Images)

Ettas Urenkel ist nun der Prix-d’Amérique-Sieger Face Time Bourbon. „Ich bin der Picasso,“ sagte Engelke stolz. Der Züchter und damit der Schöpfer eines Wunderpferdes. Man hört ihm an, wie sehr ihm der Gedanke gefällt. Es war wohl das zweite G, das Glück, das dafür sorgte, dass der braune Hengst als gelungene Investition bezeichnet werden darf. Rechnet man die Deckeinnahmen hinzu, wird sein Wert heute mit rund 25 Millionen beziffert. Da lacht des Bankers Herz.

Von seinen fünf Wohnsitzen, einer in Paris auf der Ile de Bourbon, daher der Name seiner Pferde, bevorzugt Rainer Engelke den in Südfrankreich. In der Normandie ist ihm und seiner Frau das Wetter zu schlecht. Aber gut für die gesunde Aufzucht. Wenn er seine Pferde besucht, Corona-bedingt sei das schon etwas länger her, freut er sich, dass seine Geduld, das dritte G, so reichlich belohnt wurde. Drei bis sechs Fohlen und ihre Mütter tummeln sich dort. „Auf derselben Fläche grasen woanders 30 Pferde“, sagt er. Sie sind das ganze Jahr über draußen, fressen das üppige Gras der Normandie und trinken reines Quellwasser. Eine Idylle, gewiss, vor allem aber ein Geschäftsmodell. Darauf legt Rainer Engelke Wert.nike air force 1 uv color change da8301 100 101 release date | cheap air jordan 1 from china

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.