Sunshine Week Norderney: Reitturnier und Urlaub in einem

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Einen Parcours am Strand sieht man nicht alle tage. Auch die Pferde zeigten sich beeindruckt.

Springen und Dressur am Strand, eine Zeiteinteilung, die sich nach den Gezeiten richtet – geritten wird, wenn Ebbe ist. Siegerehrung kurz vor der Flut. Die Sunshine Week auf Norderney ist durch und durch etwas Besonderes.

Verzweifelt gibt Klaus Gosch Gas. Doch die Reifen seines kleinen Elektrotransporters – eine Mischung aus Golfwagen und Mini-Jeep – drehen haltlos im Sand. Der Turnierchef hat sich festgefahren. „Es ist einfach noch zu tief hier“, sagt er. Schweres Gefährt muss ran. Mit Hilfe des Traktors hat das Mobil des 69-jährigen Zwei-Meter-Mannes im Nu wieder festeren Strandboden unter den Rädern.

„Die Zeit ist knapp“, erklärt Gosch mit einem kritischen Blick auf seine Uhr. 15 Uhr. Momentan ist noch Ebbe. In einer Stunde soll das erste Springen am Strand von Norderney stattfinden. Bis dahin muss der Boden fest genug sein, denn bis zum Eintreffen der Flut bleiben dann gerade noch gute zwei Stunden.

Mit den Gezeiten

Ab 18.24 Uhr wird das Wasser nach und nach unaufhaltsam einströmen und den Strand zurückerobern. Wenig Zeit für die geplanten Spring- und Dressurprüfungen. Punkte A- und -L-Springen sowie zwei L**-Dressuren stehen auf dem Programm. Ein reibungsloser Ablauf ist dafür immens wichtig. Keine Frage: Auf der 25 Quadratkilometer großen Insel Norderney gelten die Gesetze der Natur. Auch die „Sunshine Week“ (mal Sonnenschein, mal grauer Himmel und steife Brise) muss sich dem Rhythmus des Meeres anpassen.

Deshalb ist bei den Strandprüfungen alles etwas minimalistisch gehalten. Gerade sechs Sprünge zählt das Punktespringen der Klasse A. Auch für die Dressurreiter muss der herrliche Ausblick auf Meer und Dünen Luxus genug sein. Die Umrandung des Vierecks ist spartanisch, ein paar weiße Stangen zur Begrenzung. Nicht fehlen dürfen allerdings die nordischen Richterhäuschen: bewertet wird stilecht vom gemütlichen Strandkorb aus. Extra Sitzgelegenheiten für die Zuschauer gibt es hingegen nicht. Sie machen es sich im Sand oder auf den Buhnen bequem, den rechtwinklig zum Strand ins Wasser ragenden Dämmen aus Felsbrocken, an denen sich die Wellen brechen.

Natur pur

Kiki Beelitz

Kein Turnierplatz wie man ihn sonst kennt. Meeresluft, Dünen und Strandkörbe gehören normalerweise in den Urlaub. Hier lassen sich Urlaub und Arbeit verbinden. (© Kiki Beelitz)

Schnell zeigt sich: die Strandprüfungen sind wahre Besuchermagnete. Ob Turnierteilnehmer, Urlauber oder Helfer, alle fachsimpeln begeistert und halten bei Bedarf auch unwissende Inselurlauber davon ab, auf dem „Springplatz“ gedankenverloren nach Muscheln zu suchen. Eine extra Absperrung gibt es nicht. Prüfungs- und Abreitefläche sind lediglich durch eine am Boden liegende Stange getrennt. Das muss reichen. „Nicht so wild über den Platz galoppieren“, ermahnt Klaus Gosch die Reiter. Der noch sehr weiche Boden soll vor dem Start nicht unnötig strapaziert werden. Also lieber locker durch die Brandung traben. Natürliches Aquatraining. Eine sanfte Brise. Sonne satt. Das ist Wellness-Programm für Pferd und Reiter. Auch wenn der leichte Wellengang manchem Festland-Vierbeiner zunächst ein entrüstetes, wenn nicht entsetztes Schnauben entlockt.

Etwas weniger Natur und ein bisschen mehr Zivilisation würde sich Holger Karow gerade wünschen. Der Moderator von Radio Nordseewelle springt von seinem Pickup. Das Strom-Aggregat, ohne das am Strand weder Musik noch Ansagen zu hören sind, hat immer wieder Aussetzer. „Wenn dat net löpt, denn löpt dat net“, meint er lässig und schüttelt seine blonden, vom Wind zerzausten Haare. Doch der Insulaner weiß, welche Knöpfe er drücken muss. Kurz darauf verwandelt der Sound aus seiner Anlage die Strandprüfungen in eine groovige Beachparty.

Sunshine Week in Zahlen

Feierlustige, Langschläfer, Genießer, Strandliebhaber, sie alle kommen hier auf ihre Kosten. 258 Reiter, 292 Pferde, 1240 Starts in 49 Prüfungen – das ist die „Sunshine Week“ in Zahlen. „Bei uns beginnt keine Prüfung vor elf Uhr“, erzählt Organisator Klaus Gosch nicht ohne Stolz. „Die Reiter haben so genug Zeit, morgens gemütlich mit Familie oder Freunden zu frühstücken.“ Schließlich ist Norderney – das älteste Seebad an der deutschen Nordseeküste – eine Urlaubsinsel.

Wir wollen, dass die Leute hier wegfahren und sagen: Das war toll,

wünscht sich Claudia Tegtmeyer.

Die Züchterin und Inhaberin des Hotels Seehof ist die gute Seele der „Sunshine Week“. Sie greift Klaus Gosch und dessen Sohn Ekko während des Turniers unter die Arme und hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Reiter.

Wohlfühlfaktor und lockere Atmosphäre sind unverzichtbar. Während der „Inselwoche“ steht der Spaß im Vordergrund. Damit der etwas länger dauert, beginnt das Turnier diesmal schon zwei Tage früher als sonst. Bereits am Mittwoch stehen Warm-Up und die ersten Dressurprüfungen auf dem Plan. „Viele Reiter hängen sogar trotzdem noch ein paar Tage dran“, freut sich Klaus Gosch. Der 69-Jährige ist seit der ersten Stunde vor 31 Jahren Kopf der Veranstaltung und mit Leib und Seele dabei.

Der Nachfrage gerecht werden

„Die Nachfrage wächst stetig“, hat er die Teilnehmerzahlen im Blick. Diesmal sind knapp 300 Pferde auf der Insel untergebracht – dreimal so viel wie auf Norderney leben. Allein 250 stehen während des Turniers in Stallzelten auf dem Turniergelände und Boxen auf dem Hof der Reitschule Arno Junkmann auf der anderen Straßenseite. Die Reiter können zwischen Vollpension inklusive Füttern und Misten für 450 Euro und Selbstversorgung für 300 Euro wählen. Nicht gerade ein Schnäppchen. Dafür gibt es Strand gratis – wenn die Flut es zulässt.

Wer genug Platz im Anhänger oder Lkw hat, bringt deshalb nicht nur Kraftfutter sondern auch Heu und Späne von zu Hause mit. Carina Schlief ist mit zwei Pferden und ihrer besten Freundin Pia angereist. Die Studentin hat lange für den Turnier-Urlaub gespart. Auf dem Plan stehen vier M- und ein L-Springen. „Ich habe schon für über 100 Euro Heu und Späne gekauft, hoffentlich hält das bis zur Abfahrt“, sagt sie zähneknirschend. Die Laune vermiesen ihr die Preise aber nicht. „Ich wollte schon immer mal hier reiten. Es ist etwas ganz Besonderes.“

„Turnier ist wie Urlaub für uns“

Kiki Beelitz

Gibt es ein entspannteres Abreiten als dieses hier? (© Kiki Beelitz)

Hengst Cabochon von Dressurreiterin Saskia Henn ist im Stallzelt in einer Eckbox untergebracht. Die Laubenheimerin (bei Bad Kreuznach) nimmt den weiten Weg aus Rheinland-Pfalz auf sich, um bei der „Sunshine Week“ zu reiten. Über 500 Kilometer, neun Stunden Fahrt inklusive einer Stunde mit der Fähre. „Aber es lohnt sich“, ist sie überzeugt und strahlt. „Wir sind insgesamt sieben Reiter plus Helfer und bereits zum fünften Mal hier.“ Wie jedes Jahr übernachtet die Truppe in einem Ferienhaus. „Das Turnier ist wie Urlaub für uns.“ In der Gruppe zu reisen bringt vor allem mehr Freude, aber auch weniger Kosten für den Einzelnen. Nicht nur die Kosten für die Übernachtung, sondern auch für die Fähre teilen sie sich. Lkw mit Anhänger plus Auto schlagen immerhin mit über 1000 Euro zu Buche.

Vielseitigkeit ist gefragt

Mit ihrem großrahmigen Schimmel möchte Saskia Henn die großen Dressurprüfungen des Turniers reiten – S*, Intermédiaire I und Prix St. Georges. Dort wird sie auf Reiter treffen wie Lukas und Tanja Fischer, Anna-Sophie Fiebelkorn oder Kathrin Meyer zu Strohen. Nichts Neues für die routinierte Reiterin. Ungewöhnlich sind hingegen die Bedingungen im Viereck: Die Prüfungen finden allesamt auf Rasen statt. „Cabochon hat extra Stollenlöcher bekommen“, erzählt Henn. Das zahlt sich aus. Denn schon auf dem Abreiteplatz zeigt sich, dass viele Pferde ohne Stollen Probleme haben und gerade in den Verstärkungen und Pirouetten wegrutschen.

Auf dem großzügigen Vorbereitungsareal hinter den vier Dressur-Vierecken ist bereits einiges los: Hier feilen die jungen Teilnehmer der A-Dressur an den Übergängen, fordern die Routiniers Serienwechsel und Galopptraversalen. Etwas abseits gibt Junioren-Bundestrainer Hans-Heinrich Meyer zu Strohen einer Schülerin letzte Tipps. Turnieratmosphäre, wie man sie eigentlich überall vorfindet. Trotzdem scheint die sonst so typische Hektik auf Norderney nicht so zu greifen wie anderswo. Vielleicht beruhigt der Anblick der angrenzenden Dünen die Nerven. Lässt die salzige Meeresluft tiefer durchatmen. Klingt das hungrige Kreischen der Möwen wie eine harmonische Hintergrundmelodie. Dem Inselflair kann sich selbst der Turnierplatz nicht entziehen. Ebenso wenig den Kräften der Natur.

Trotz Vorbereitung und Arbeitseinsätzen versprüht die „Sunshine Week“ den Charme vergangener Zeit. Die salzige Luft macht dem Holz der Absperrungen und Hindernisse zu schaffen. Hier und da ist der einst kräftige Farbton verblasst. Und auch die zahlreichen Helfer können nicht verhindern, dass der Wind immer wieder Stroh über das Gelände bläst und alles etwas verwildert aussehen lässt.

Naturgewalten

Die Gefahr des rauen Klimas der Insel darf nicht unterschätzt werden. „Alles muss orkansicher sein“, erklärt Klaus Gosch. „Wir hatten schon mal einen solch schlimmen Sturm, dass die Stallzelte gewackelt haben“, erinnert sich der Turnierleiter. Damals wurden Lkw rund um die Zelte geparkt, um den Wind abzufangen. Der Besitzer der Reitanlage Tammingaburg im ostfriesischen Detern ist es gewohnt, das Zepter in die Hand zu nehmen. Mit Herzblut organisiert er den Transport der Hindernisse, Toilettenwagen, Zelte oder Stühle nach Norderney.

Jeder Blumenkübel muss einzeln verladen werden, ganz zu schweigen von tonnenweise Heu, Stroh und Späne für die Pferde.

25 Lkw haben wir im Einsatz,

erzählt Gosch.

Jeder der 40 Tonner kommt vollbepackt per Fähre auf die Insel. Allein der Transport des Gastronomie-Zeltes erfordert etlichen Aufwand. „Das stellen wir in diesem Jahr zum ersten Mal auf“, verrät Gosch. Das große Zelt am Springplatz wird eigens vom Bauamt auf Sturmsicherheit überprüft. Die Veranstalter wollen den Reitern eine Möglichkeit geben, abends gemütlich beisammen zu sitzen. Besonderes Angebot: ein VIP-Ticket für 84 Euro inklusive vier Tage leckere Verköstigung vom Grill-Abend bis zum Vier-Gänge-Menü. Bevorzugter Dresscode: Reit-Outfit. „Während der Ferienzeit gibt es abends in der Stadt sowieso keinen freien Tisch“, weiß Gosch. „Es ist auch viel schöner, wenn alle noch ein bisschen beisammen bleiben.“

Ausgelassene Stimmung, nettes Beisammensein

Die Zuschauer denken unterdessen gar nicht daran, dem Turnierplatz den Rücken zu kehren. Am Rand von Parcours und Viereck genießen sie den Sport entspannt zurückgelehnt in ihren Strandkörben. Auf den Tischen bilden Aperol Spritz, Prosecco und Bier bereits am Vormittag ein ansehnliches Stillleben.

Sollte es ein Drink zu viel gewesen sein, kann sich hier allerdings nicht jeder schnell ein Taxi ordern. Auf der Insel sind Autos nur eingeschränkt erlaubt. Bevorzugte Verkehrsmittel: Fahrrad und Elektro-Golfwagen. Moderne trifft Tradition. Einzige Ausnahme: Der ein oder andere Richter wird von Ekko Gosch zur Strandprüfung chauffiert. In dessen Porsche Cayenne. Das Elektromobil versinkt sonst nur wieder haltlos im Sand.

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