Wenn die bunten Fahnen wehen …

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

… hieß es einst in Vor-Rock und Pop-Zeiten in der „Mundorgel“, einem Büchlein für Pfadfinder und andere Jugendbewegte. Das Lied kennt heute keiner mehr, aber die Botschaft scheint beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und der Internationalen Reiterliche Vereinigung (FEI) immer noch herum zu spuken: „More flags“.

Je mehr Fahnen neben dem olympischen Feuer knattern, umso bedeutender ist das Mega-Event. Je mehr  Nationen einmarschieren, desto höher schlagen die Herzen der IOC-Mächtigen. Nicht nur, weil ihnen die Völkerverständigung so am Herzen liegt ­– wir nehmen zu ihren Gunsten an, auch das ­­– vor allem generiert die weltweite Verbreitung einer Sportart höhere Einschaltquoten und damit Werbegelder.

Wo so offen Masse vor Klasse  geht, da hat sich das IOC längst von einem anderen Credo verabschiedet: Olympische Spiele sollen Wettkämpfe der Besten sein, die sich auf allerhöchstem Niveau um die Medaillen bewerben, immer noch die höchste Auszeichnung für einen Sportler, obwohl es dort kein Geld zu gewinnen gibt.

Da die Gesamtzahl der Sportler nicht erhöht werden soll, können neue Nationen nur kommen, wenn von den Etablierten weniger da sind, einfache Rechnung. Im vorauseilenden Gehorsam hat die FEI nun bekanntlich gegen einigen, aber nicht genügend Widerstand in den eigenen Reihen die Drei-Reiter-Regelung durchgeboxt. Nur noch drei statt vier Reiter pro Team in Springen, Dressur und Vielseitigkeit, also kein Streichergebnis mehr. Dadurch dürfen mehr Nationen Reiter schicken. Die Qualität sinkt damit fast zwangsläufig. Denn so viele Länder mit Spitzenreitern gibt es nicht.

Der Blick zu den Panamerikanischen Spielen

Die Dreierregelung sorgte bei der Generalversammlung des Internationalen Springreiterclubs (IJRC) während der EM in Rotterdam für tumultartige Szenen (St.GEORG berichtete) – viel zu spät, denn der Zug ist seit mehr als einem Jahr abgefahren.

Wie es um das Niveau in einigen Teilen der Welt bestellt ist, dafür sind die Panamerikanischen Spiele in der peruanischen Hauptstadt Lima vor einigen Wochen, ein schönes Beispiel. Die Panam Games sind das Equivalent zu den Europameisterschaften für die Nationen Nord-, Süd- und Mittelamerikas. Geritten wird auf Dreisterne-Niveau (früher Zweisterne), also eine ganze Klasse tiefer als die EM und zwei Klassen unter den großen Prüfungen in Badminton und Burghley.

Neun Reiter aus sieben Nationen erhielten eine Verwarnung mit Gelber Karte, mehr als bei jeder anderen Reitsport-Veranstaltung in den letzten zwölf Monaten. Den generellen Tatbestand „Gefährliches Reiten“ erfüllten acht Reiter, je einer aus Argentinien, Uruguay, Equador, Mexiko, Chile und zwei aus Peru. Der eine ritt viel zu schnell, die nächsten boten Bilder, die den Zuschauern den Atem stocken ließen. Drei Teilnehmer ritten nach drei Verweigerungen einfach weiter, einer sprang über die Absperrung ins Publikum und einer verprügelte sein Pferd.

Aber es wehten viele Flaggen in Lima, zwölf an der Zahl, mehr als beim Fünfsterne-Event in Burghley, wo sich die Weltelite Anfang September traf. Dort zählte man nur sieben Nationen, was auch an den gerade beendeten Europameisterschaften in Luhmühlen lag. Großbritannien, dass nicht nur die drei ersten Plätze belegte, stellte weitere  13 Reiter, die den schweren Kurs beendeten, aber die wenigsten Nationen haben genügend Paare, um beide Events hochklassig zu beschicken.

Neuer Modus

Das Format für die Olympischen Spiele ist eine Karikatur dessen, was die Vielseitigkeit einst bedeutete, nämlich ein Test für das in allen drei Sparten gut ausgebildete und topfitte Pferd. Und die beste Mannschaft war die, die gleich mindestens drei solcher Paare heil ans Ziel bringen konnte. Das wurde geändert, um mehr Nationen ein Durchkommen zu ermöglichen. Ein Team, bei ein oder mehrere Reiter ausfallen, ist nicht geplatzt, sondern zählt weiter, wird lediglich mit Strafpunkten belastet: 100 für einen Reiter, der bei Dressur oder Springen nicht antritt bzw. nicht beendet, 200 Punkte für einen Reiter, im Gelände nicht startet oder ausscheidet.

Der gestrichene Reservereiter, der dann doch irgendwie mitsamt seinem Pferd vor Ort ist, kann einspringen, für einen ausgefallenen Kollegen, aber auch für einen, dessen Pferd etwa nach dem Cross nicht mehr ganz fit ist. Dazu muss man aber eine einigermaßen glaubwürdige  medizinische Begründung präsentieren, und Reiter die wegen gefährlichen Reitens und Missbrauch des Pferdes eliminiert werden, können nicht ersetzt werden. Bei Ersatz werden nochmal vergleichsweise bescheidene 20 Strafpunkte fällig, soviel wie ein Vorbeiläufer im Cross.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Regeln für die Medaillenvergabe am Ende keine Rolle spielen werden. aber bei nur drei Reitern kann auch das beste Team schnell in die Bredouille kommen.  Wie ist es überhaupt mit den Medaillen? Kriegt der, der mit angeschlagenem Pferd aus dem Gelände kommt, auch eine? Oder der Ersatzreiter, der lediglich ein M-Springen absolviert hat? Ich hoffe nur, dass es nicht so weit kommt, dass das Beste an der olympischen Vielseitigkeit die vielen Flaggen sein werden, die im Tokio Equestrian Park wehen.men’s jordan retro release dates | adidas Yeezy Boost 350 V2 Onyx HQ4540 Release Date On Foot

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.