Diese Folgen hätte das Antibiotikaverbot in der Tiermedizin für Pferde

Von
Spritzen

Symbolbild (© www.slawik.com)

Eine Petition im Internet hat schon annähernd 280.000 Unterschriften gesammelt. Sie wendet sich gegen eine möglicherweise bevorstehende starke Einschränkung, Stimmen sprechen sogar vom „Antibiotikaverbot“ in der Tiermedizin. Warum es sinnvoll ist, gegen die Pläne der EU zu unterschreiben.

Kaum ein Social Media Kanal, in dem Tierliebhaber nicht in den vergangenen Tagen die Online-Petition vom 10. August zum Unterschreiben gesehen haben. Der Tenor ist klar, die Überschrift lässt keinen Zweifel aufkommen: „EU will weitreichendes Antibiotikaverbot für Tiere – Gefahr für unsere Tiere“.

Antibiotika in der Tiermedizin

Antibiotika sind fester Bestandteil der Medizin, egal ob im Humanbereich oder in der Anwendung bei Tieren. Dass Keime gegen Antibiotika Resistenzen ausbilden ist ein bekanntes Problem. Manchmal helfen alternative Antibiotika, manchmal aber auch nicht – dann wenn sich beispielsweise multiresistente Keime (etwa die berüchtigten „Krankenhauskeime“) gebildet haben, gegen die kein Kraut, auch kein antibiotisches, gewachsen ist. Ein Teil des Problems sind dabei der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung. Gerade Mastbetrieben in der Geflügel- oder Schweinezucht sorgen immer wieder für Schlagzeilen, weil hier Antibiotika eher regelmäßig verfüttert als tierärztlich verabreicht werden. Einige Antibiotika haben den Nebeneffekt, dass die so behandelten Tiere bei gleicher Fütterung mehr an Gewicht zunehmen als Tiere, die keine Antibiotika zu sich genommen haben.

Der Gesetzgeber unterscheidet innerhalb der Tiermedizin nicht zwangsläufig zwischen Nutztieren und Haustieren. Wenn eine Regelung beschlossen wird, die die Tiermedizin betrifft, dann ist es egal, ob Tierärzte Zwergkaninchen, Zuchtsauen oder Reitpferde behandeln.

„Reserve-Antibiotika“ – nur noch für den Menschen

Im Mittelpunkt stehen die sogenannten „Reserve-Antibiotika“. Sie gibt es, um dem Problem der Resistenzen im Humanbereich beizukommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Antibiotika in drei Kategorien eingeteilt: Access, Watch und Reserve. Zu den unter „Access“ gelisteten Antibiotika sollte stets Zugang gewährt sein, bei „Watch“ muss man eventuelle Resistenzen bedenken, weswegen sie gezielt eingesetzt werden müssen. „Reserve“ sind diejenigen, deren Einsatz besonders bedacht geschehen sollte, dann wenn keines der Antibiotika aus den ersten beiden Gruppen einen Therapieerfolg nach sich gezogen hat. Antibiotika aus dieser Gruppe sollen nun nach Willen des EU-Parlaments nicht mehr bei Tieren zum Einsatz kommen. Dagegen wenden sich nun verschiedene Initiativen.

Welche Antibiotika sind konkret betroffen?

Die Antibiotika und antimikrobielle Mittel, die unter die neue Verordnung fallen sind:

  • Fluorchinolone
  • Cephalosporine der 3.und 4. Generation
  • Polymyxinen
  • Makrolide

Für den Laien, der überlegt, sich per Unterschrift gegen die Planungen auf EU-Ebene zu wenden, ist es schwer einzuschätzen, was ein Wegfall dieser Wirkstoffe für Folgen hätte.

Das sagt die Pferdemedizin

Professor Dr. Karsten Feige, Direktor der Klinik für Pferde an der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) und Präsident der Gesellschaft für Pferdemedizin (GPM), hat St.GEORG erläutert, was das geplante Inkrafttreten der EU-Tierarzneimittelverordnung 2019/6 im Januar 2022 für den Einsatz bei Pferden – und anderen Tieren – für Folgen hätte. Fest steht: Selbst in Einzelfällen zur gezielten Behandlung von lebensbedrohlichen Infektionen dürften Tierärzte nicht mehr zu den aufgeführten Antibiotika greifen.

Prof. Dr. Feige kann nicht nur auf das Wissen aus seinem Alltag in der Pferdeklinik schöpfen, es hat sogar im vergangenen Jahr eine Studie gegeben, die sich mit dem Themenkomplex befasst hat. „Die tatsächlich bei Pferden eingesetzte Menge dieser Antibiotika ist insgesamt schwer abschätzbar. Zahlen basieren meist auf den Verkaufszahlen der pharmazeutischen Industrie. Hier muss jedoch beachtet werden, dass eine Vielzahl von Präparaten für mehrere Tierarten zugelassen sind und zudem insbesondere beim Pferd für den Menschen zugelassene Präparate umgewidmet werden.

Studie zu Antibiotikaeinsatz bei Pferden aus dem Jahr 2020

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie der Pferdeklinik der TiHo Hannover (Anne Schnepf  et al. (2020): Antimicrobial Usage in Horses: The Use of Electronic Data, Data Curation, and First Results) wurden die verabreichten Antibiotika für 1 Jahr exakt bestimmt. Im Rahmen von 3800 Behandlungen mit Antibiotika wurde eine Menge von insgesamt 162 kg Antibiotika verabreicht. Der Anteil von Cephalosporinen betrug dabei 0,02 %, der von Fluorchinolonen 0,07 %, der von Polymixinen 0,05 %  und der von Makroliden 0,04 %.“

Die genannten Wirkstoffe spielen also „sowohl was den absoluten Einsatz der Wirkstoffmenge wie auch die Anzahl der behandelten Tiere angeht eine eher untergeordnete Rolle“.

Geringer Einsatz heißt ist nicht gleich medizinisch unbedeutend

Prof. Dr. Feige warnt aber davor, aus der Summe von 0,18 Prozent schlusszufolgern, auf diese Antibiotika könne verzichtet werden. „Im Gegenteil, sie werden auf Grund ihres Wirkungsspektrums und ihrer günstigen Resistenzlage als „antibiotische Reservemittel“  eingeordnet, deren Anwendung über die Antibiotika-Leitlinien und die Tierärztliche Hausapothekenverordnung sehr stark reglementiert ist.“ Ein leichtfertiger Umgang seitens der Tierärzteschaft ist damit ausgeschlossen: „Sie dürfen nur bei lebensbedrohlichen Infektionen und nach vorheriger Sensibilitätsprüfung eingesetzt werden, wenn keine anderen Antibiotika mehr zur Verfügung stehen. Allein auf Grund dieser Regulation werden die bezeichneten Antibiotika also sehr zurückhaltend eingesetzt.“

Wann kommen die fraglichen Antibiotika zum Einsatz?

Für den Universitätsprofessor ist klar: Es geht darum, auch weiterhin Medikamente zur Hand zu haben, um (Pferde-)Leben zu retten! „Beim Fehlen von Fluorchinolonen, Cephalosporinen der 3.und 4. Generation, Polymyxinen und Makroliden ist die gezielte und sicher in vielen Fällen lebensrettende Behandlung schwerwiegender Infektionen – es handelt sich in erster Linie um Darm- und Atemwegsinfektionen – also nicht mehr möglich. Andere, weniger wirksame Antibiotika müssten in der Folge in höherer Dosierung und über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden. Mit dem Nachteil, dass auf diesem Weg das Risiko der Selektion resistenter Bakterien deutlich erhöht würde. Abgesehen von dem durch die Verordnung hervorgerufenen Therapienotstand wird das verfolgte Ziel der Minimierung von Antibiotikaresistenzen also verfehlt.

Der jetzt auf dem Tisch liegende Vorschlag ist dementsprechend für Mensch und Pferd ausnahmslos von Nachteil.

Die Aktivitäten unserer Berufsverbände zur Verhinderung dieses Antrages werden deshalb von der Gesellschaft für Pferdemedizin voll unterstützt.“


Hier finden Sie die Unterschriftenliste des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte.

Bitte senden Sie die gesammelten Unterschriftenlisten bis spätestens zum Stichtag 8. September 2021 per Post an die bpt-Geschäftsstelle (bpt e.V., Hahnstr. 70, 60528 Frankfurt/Main).

Ziel dieser Umfrage ist es, bis zum 8. September 500.000 Unterschriften einzusammeln. So hofft der bpt ein starkes politisches Zeichen zu setzen. Die gesammelten Unterschriften werden wir dann im Vorfeld der Abstimmung publikumswirksam an die deutschen Abgeordneten im EU-Parlament übergeben.

Der politische Hintergrund

Vor zwei Jahren wurde die EU-Tierarzneimittelverordnung 2019/6 verabschiedet. Die Verordnung ist Teil des „Farm to Fork“-Strategie der EU (frei übersetzt „vom Hof auf den Teller“), die bis 2030 eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes im Tierbereich um 50 Prozent erreichen möchte. Sie soll ab dem 28. Januar 2022 für alle Mitgliedsstaaten gelten. Vorausgesetzt, dass bis zu diesem Zeitpunkt EU-Kommission, Mitgliedsstaaten und EU-Parlament in einem „Nachfolgerechtsakt“ entschieden haben, welche Antibiotika und antimikrobiellen Mittel in Zukunft den Menschen vorbehalten werden und somit keinen Einsatz mehr in der Tiermedizin finden dürfen.

Der Abstimmungsprozess ist für Mitte September 2021 vorgesehen. Deswegen laufen die Petitionen gegen die geplante Regelung bis Ende August bzw. 8. September.

Im Juli dieses Jahres wurde im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des EU-Parlaments (ENVI) über einen Verordnungsentwurf über „Kriterien für die Einstufung antimikrobieller Mittel, die für die Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten sind“ abgestimmt.

Die Kriterien dieses Entwurfs sind darauf ausgelegt, auch in Zukunft bakterielle Infektionen am Tier behandeln zu können. Das Ergebnis war ernüchternd: Der ENVI lehnte ihn ab und das trotz der Abstimmung dieses wissenschaftlichen Kommissions-Vorschlags mit allen fachlich relevanten Institutionen. Dazu gehören die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), sowie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), European Centre for Disease Prevention (ECDC), die Welttiergesundheitsorganisation (OIE) und die WHO.

Verband gegen Politik

Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) hat sich ebenfalls klar gegen die EU-Tierarzneimittelverordung 2019/6 gestellt. Deren Vorsitzender Dr. Siegfried Moder sagt, es sei nachgewiesen, dass nur etwa fünf Prozent der Antibiotikaresistenzen aus der Tierhaltung stammten. Laut Moder mache es daher wenig Sinn, den Antibiotikaeinsatz bei Tieren großflächig einzuschränken. Vielmehr müsse man dorthin schauen, „wo Antibiotika inflationär eingesetzt werden und Resistenzen in der Masse wirklich entstehen.“

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen/EFA im Europäischen Parlament und Mitglied im Umweltausschuss, hält gegen und unterstellt, der Verband verunsichere „Tierhalter*innen“.

Ein Argument, das Moder nicht gelten lässt. „Tierhalter müssen erfahren, was in Brüssel weitgehend im Verborgenen vor sich geht und welche Konsequenzen die zu befürchtende Entscheidung für ihre Tiere haben wird. Fakt ist, dass das Europäische Parlament wissenschaftliche Fakten ignoriert und nicht nur, wie vorgegaukelt wird, Nutztiere von einem Anwendungsverbot betroffen wären, sondern alle Tierarten“, äußerte sich der bpt-Präsident zur Kampagne seines Verbandes.

Der parlamentarische Ausschuss hat diesem Antrag bereits mit knapper Mehrheit zugestimmt. Fände dieser Entschließungsantrag auch im EU-Parlament Mehrheit, würde das Verbot der besagten Antibiotika nicht mehr abzuwenden sein.


Die Online-Petition gegen das Antibiotikaverbot

Parallel zur Unterschriftenkampagne des (bpt) gibt es auf Change.org eine Online-Petition, um über Social Media Tierhalter aller Tierarten zu erreichen, die in absehbarer Zeit nicht in die Tierarztpraxen kommen. Sie stammt allerdings nicht vom Bundesverband selbst.

Hier geht‘s zur Online-Petition.


Quellen: bpt , Pferd-Aktuell

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).