Hintergrund: Barren im Pferdesport, Reitsport und die Barr-Affäre

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Barren-20Jahrhundert

Barren im 20. Jahrhundert (© Archiv St.GEORG)

Ist das Barren? RTL und die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) streiten sich öffentlich über Videomaterial, das dem Kölner TV-Sender vorliegt, das er aber nicht veröffentlichen möchte. Steht eine neue Barr-Affäre im Reitsport an? Was meint der Begriff eigentlich. Unser Dossier erläutert, wie der Begriff „Barren“ , der 1990 dem Ansehen des Reitsports geschadet hat, publik wurde. Wie Springreiten und der Pferdesport ein massives Problem bekamen. Dabei auch die St.GEORG-Berichterstattung von vor mehr als 30 Jahren.

Pferde springen, ein Mann – leicht als Paul Schockemöhle zu identifizieren – schlägt mit einer Holzstange gegen die Beine der Pferde. Das Video, das als „Barr-Affäre“ in die Annalen des Reitsports eingegangen ist, erschütterte 1990 Deutschland. Plötzlich kannte jeder das Wort „barren“. Es war im Sommer 1990, als erstmals die Weltmeisterschaften mehrerer Disziplinen als „Weltreiterspiele“ in Stockholm stattfanden.

Wie sich damals die deutsche Delegation vor Ort bemühte, mit der Situation umzugehen, beschreibt St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer in ihrer Kolumne. Sie war damals in der schwedischen Hauptstadt vor Ort. Ihre Erzählungen von damals, als Faxgeräte noch das modernste Kommunikationsmittel und Mobiltelefone bierkistenschwere Kästen für Superreiche waren, kennen wir in der Redaktion. Auch wie das Barren im Pferdesport noch über Jahre Bestandteil der Berichterstattung war.

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Springreiten und „Barren“ wurden synonym. Das Bild des bösen Reiters, der sein Pferd quält, machte damals die Runde. Dass Paul Schockemöhle, Dr. Reiner Klimke und andere Größen des damaligen Reitsports mit Fernsehauftritten (siehe Artikel aus St.GEORG Ausgaben 1990 weiter unten) versuchten, das Bild zurechtzurücken, half nur bedingt.

Die Erfindung des „Touchierens“

Auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) reagierte. Es wurde getagt. Es wurde diskutiert. Aus „barren“ wurde „touchieren“ und das dann nicht mit armdicken Knüppeln sondern klar definiertem Gegenstand: nicht länger als drei Meter, maximal zwei Kilogramm schwer. Noch heute ist das Barren in Band 2 der Richtlinien für Reiten und Fahren klar definiert als eine Trainingsmethode für Pferde.

Beim Touchieren handelt es sich um ein fachgerechtes Sensibilisieren des Pferdes durch gezieltes Berühren der Pferdebeine im Sprungablauf.

Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 2, Ausbildung für Fortgeschrittene, FN-Verlag

Was aber bedeutet denn „fachgerecht“? Nach Expertenrunden formulierten die Richtlinien-Autoren:

Wird die Touchierstange gehalten, darf dies nur von sehr erfahrenen, routinierten Pferdefachleuten durchgeführt werden, die über genügend Gefühl, Sensibilität und Erfahrung verfügen.

Und wie sieht eine solche Stange fürs Touchieren aus?

Die Touchierstange darf ein maximales Gewicht von 2.000 g bei 3 m Länge haben. Die Beschaffenheit der Stange muß rund sein, mit glatter Oberfläche aus nicht splitterndem Material. Sie darf jedoch nicht aus Metall sein.

Wie ist das Touchieren zu praktizieren?

„Dazu wird, wenn die o.g. Voraussetzungen gegeben sind, über ein niedriges Hindernis gesprungen. Das Anheben der Stange muß aus der Höhe der oberen Hindernisstange erfolgen. Der „touchierende Ausbilder“ hält die Touchierstange so, daß entweder die Vorderbeine oder die Hinterbeine im Sprungablauf berührt werden. Dabei muß das Touchieren in der ersten Häfte des Sprungablaufs erfolgen bzw. im höchsten Punkt der Flugbahn. Ein Kontakt zwischen Stange und Pferdebeinen in der zweiten Hälfte der Flugbahn sollte auf alle Fälle vermieden werden, da sonst die Stange entgegen der Bewegungsrichtung des Pferdes wirkt und die Stoßkräfte entsprechend höher werden.“

Und wozu das ganze dienen soll, steht ebenfalls in den Richtlinien geschrieben:

Das Touchieren bestimmter Beinpartien während des Sprunges dient dazu, daß das Pferd die Kapal- und Tarsalgelenke im Sprung vermehrt beugt, also die Beine stärker anzieht, um einen Stangenkontakt zu vermeiden.

Wer darf die Stange in die Hand nehmen?

Heutzutage musste Thies Kaspareit, für die Abteilung Ausbildung bei der FN zuständig, zugeben, dass hier knapp 30 Jahren nach dieser Wortwahl Bedarf besteht, neue Formulierungen zu finden. „Wir arbeiten damit in den letzten Jahrzehnten ganz gut“, trotzdem wolle man sich nun in einer Kommission, „vergleichbar mit dem ,runden Tisch Dressur‘“, der nach der Rollkur-Debatte einberufen wurde, beraten: „Wir möchten die Grenzbereiche beleuchten, an denen wir weiterarbeiten müssen“, so der Vielseitigkeits-Olympiasieger von 1988.

Knackpunkt ist, wie denn solch ein Fachmann aussieht, der touchieren darf. „Die Qualifikation, wie man das erwerben kann“ zu definieren, sei schwierig, so Kapareit. Auch die Fragestellung, „wie wir in der Öffentlichkeit damit umgehen“. Schließlich sei es „kein Zufall, dass wir keine Filme gedreht und kein Buch geschrieben haben, wie man vorgeht“.

Die Grundlage für die nun gültigen Richtlinien wurden 1990 und 1991 gelegt. In die LPO sind die Formulierungen in den Richtlinien nie vorgerückt. Da Touchieren nur zu Hause und Barren gar nicht geschehen soll, haben sie auch nichts in der Leistungs-Prüfungs-Ordnung zu suchen. Sie regelt ja das Geschehen auf dem Turnier.

Allerdings stellt sich heute wie damals Anfang der 1990er-Jahre die Frage, wie man kontrollieren kann, dass die Pferde zuhause nicht gebarrt, sondern „fachgerecht touchiert“ werden.


St.GEORG hat in seinen Ausgaben von September und Oktober 1990 das Thema „Barren im Pferdesport“ aufgegriffen. Wir haben hier PDFs der damaligen Veröffentlichungen hochgeladen.


In der September-Ausgabe 1990 hatte die Redaktion des St.GEORG kurzfristig vier Seiten zu den Vorwürfen gegen Paul Schockemöhle, die als „Barr-Affäre“ das Barren im Pferdesport in die Öffentlichkeit getragen hatte, dargestellt. (Hier finden Sie den Artikel aus dem September 1990)

www.st-georg.de

St.GEORG 9/1990 (© www.st-georg.de)

Historischer Blick aufs Barren beim Pferd

Barren ist keine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts. Schon die ersten, die sich in Springwettbewerben maßen, wussten, wie es geht. Dieser Artikel, damals verfasst von Professor Heinz Meyer, zeigt unter anderem, was die Urväter des modernen Pferdesports in Sachen Barren sich haben einfallen lassen. Und ebenfalls noch in dieser Ausgabe des St.GEORG: Wie die allgemeinen Medien mit der Barr-Affäre umgegangen sind.

Archiv St.GEORG

Artikel: Barren im 20. Jahrhundert (© Archiv St.GEORG)

Die journalistische Aufarbeitung der Barr-Affäre folgte dann in der Oktober-Ausgabe. In diesem PDF (wir bitten die teilweise schlechte Qualität zu entschuldigen), lesen Sie, welche Folgen die Veröffentlichung des Barr-Videos hatten.

www.st-georg.de

St.GEORG 10/1990

Nach dem Barr-Video hatte das Magazin Stern noch weitere Namen und andere tierquälerische Maßnahmen veröffentlicht. Darauf hatte die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) damals reagiert. Das formulierte Statement des FN-Präsidiums hat Gabriele Pochhammer im Oktober 1990 so kommentiert:

Barr-Verbot“: Die Mogelpackung

Wenn die FM mit ihrem markigen generellen „Barr-Verbot“ ein Zeichen setzen wollte, ist ihr das gelungen. Das Zeichen: die Wetterfahne. Die Windrichtung bestimmt die öffentliche Meinung. Damit beugte sich der Reiterverband, wider besserer Überzeugung einiger Warendorfer Funktionäre, zunächst dem Druck von außen, von Medien, Sponsoren und „dem Mann auf der Straße“. Er verzichtete damit auf die Chance, sich der Öffentlichkeit als die Instanz darzustellen, die die Richtlinien des Pferdesports bestimmt und die fachlich beurteilen kann, wie in diesem Sport trainiert werden soll, ganz egal, welchen Namen man für welche Trainingsmethoden verwendet.

Das Statement, das FN-Präsident Dieter Graf Landsberg-Velen – dem Vernehmen nach fertig formuliert – in die entscheidende Präsidiumssitzung mitbrachte, ließ den Mitgliedern nur noch die Möglichkeit, Wortkosmetik zu betreiben. Es löst keine Probleme und wird, bei Licht besehen, weder Öffentlichkeit noch Sponsoren ruhigstellen können.

Denn was da als Weißwasch-Aktion verkauft wird, ist unschwer als Mogelpackung auszumachen. Wie in Punkt vier angekündigt, wird eine Kommission – ihr sollen ein Tierarzt, ein Verhaltensforscher, der Bundestrainer und ein Aktiver der jeweiligen Sparte angehören – die Trainingsmethoden aller Disziplinen unter die Lupe nehmen und neu definieren. Vieles, was heute unter Barren fällt, wird dann anders heißen und nicht verboten sein. Der Gebrauch der Bambusstange heißt dann „Bambooing“ zum Beispiel.

So einfach ist das und für so dumm hält man die Leute! Wieviel einfacher wäre es gewesen, geradeheraus zu sagen, dass man Barren mit einer leichten Bambusstange für ein akzeptables Ausbildungsmittel hält! Bis heute weiß kein Mensch in der FN, wie das generelle, in den privaten Bereich hereinreichende Barr-Verbot kontrolliert werden soll.

Graf Landsberg hofft auf „Selbstkontrolle“ der Reiter untereinander. Doch die Frage der lückenlosen Kontrolle ist eigentlich nicht entscheidend. Wichtig ist, dass der Verband eine Möglichkeit bekommt, Sünder auch für Untaten zu bestrafen, die außerhalb des Turniergeschehens begangen wurden.

Bisher weiß auch noch kein Mensch in der FN, wie dieses generelle Verbot in die Rechtsordnung eingebaut werden kann, ohne dass das nächste Zivilgericht dem Verband etwaige Sanktionen wieder um die Ohren schlägt, wie oft genug passiert.

Alle 540.000 Mitglieder von Reitvereinen und Zuchtverbänden sollen durch das Verbot erfasst werden – wie aber will man jemanden bestrafen, der gar nicht auf einem Turnier startet – außer mit einer Anzeige beim Staatsanwalt?

Gebarrt wird in der Regel in Vorbereitung auf ein Turnier – es wäre effektiver und wahrscheinlich ausreichend, nur die Reitausweisinhaber (Anm. d. Red.: heute Inhaber einer Jahresturnierlizenz) per Unterschrift zu einem „Ehrenkodex“ zu verpflichten.

Grundsätzlich jedenfalls ist das Bestreben der FN, Missständen auch außerhalb des Turnierplatzes zu begegnen, zu begrüßen. Zur Zeit ist das nur begrenzt möglich, und deswegen wird es auch schwierig sein, die im „Stern“ namentlich der Tierquälerei beschuldigten Reiter – Kurt Gravemeier, Norbert Nuxoll, Detlef Brüggemann, Franke Sloothaak, Paul Voßkamp und Peter Wernke – zur Rechenschaft zu ziehen.

FN-Justitiar Hans-Dietrich Wagner versuchte vergebens, die Namen der anonymen Informanten, von denen eidesstattliche Versicherungen vorliegen sollen, vom „Stern“ zu erfahren. Das Ergebnis eines zweiten Versuchs bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg steht noch aus. Für den Staatsanwalt sind die Vergehen wahrscheinlich verjährt. Die FN-Gerichtsbarkeit kennt keine Verjährung. Die Reiter müssen also noch mit FN-Ermittlungen rechnen.

Es stimmt allerdings nicht, was das Präsidiums-Statement behauptet, dass einige der „Stern“-Anschuldigungen widerlegt wurden. Keiner der betroffenen Reiter hat einen Widerruf verlangt oder den Verlag Gruner und Jahr verklagt. Lediglich Kurt Gravemeier ließ einen Leserbrief veröffentlichen, in dem er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweist. Von Franke Sloothaak und Voßkamp liegen der FN Briefe vor, in denen die Betroffenen ihren Standpunkt erklären.

Die Reiter reagierten auf die Stellungnahme des Präsidiums, wie zu erwarten war: empört. Über all die Unzulänglichkeiten dieses Papiers wird allerdings vergessen, dass nicht die Burandts, Wendts und Harings (Anm. d. Red.: hohe FN-Funktionäre zum damaligen Zeitpunkt) gebarrt, geblistert und mit Elektroschocks gearbeitet haben, sondern Springreiter. Und da sollte sich der ein oder andere lieber an die eigene Nase fassen, bevor er sich anderswo einen Sündenbock sucht.

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).