WFFS – ein Kommentar zur aktuellen Diskussion

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WFFS-Kommentar

WFFS (Warmblood Fragile Foal Syndrome) (© Labolin/www.st-georg.de)

Der Gendefekt WFFS (Warmblood Fragile Foal Syndrome) ist weiterhin ein Thema. Gerade so, als habe es ihn bis vor einem Jahr nicht gegeben. St.GEORG-Chefredakteur Jan Tönjes warnt in seinem Kommentar vor Hysterie.

Und hier der Text nochmal zum Nachlesen:

So. Jetzt blättern wir mal in der Zuchtgeschichte der vergangenen 30 Jahre ein paar Kapitel zurück und machen alles besser. Denn jetzt sind wir schlauer als die Altvorderen, die unwissend uns etwas ganz Fürchterliches eingebrockt haben! Dieses Fürchterliche hat, wie alle unangenehmen Dinge im Leben (Mwst. für Mehrwertsteuer, AGB, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die man zwar nie liest, aber immer brav als gelesen abhakt, oder MKS für Maul- und Klauenseuche), eine Abkürzung. WFFS steht, jeder weiß es mittlerweile, für „Warmblood Fragile Foal Syndrome“. WFFS beschreibt einen Gendefekt, der im schlimmsten Fall dazu führt, dass das Bindegewebe eines lebend geborenen Fohlens instabil ist, die Haut aufreißt und das Neugeborene stirbt. Das ist eine schreckliche Vorstellung!

Jeder Züchter kennt das Glücksgefühl, wenn das Fohlen gerade zur Welt gekommen ist, die Mutterstute sich ihm zuwendet, es mit einem leisen Wiehern willkommen heißt und trockenleckt. Wer dann erleben muss, dass bei dem Fohlen – spätestens wenn es aufsteht – die Haut einreißt und man nur zuschauen kann, wie der nicht lebensfähige Organismus sich verabschiedet, kaum dass das neue Leben da ist, wird diesen Moment vermutlich nie vergessen.

Glücklicherweise gibt es nur ganz wenige Züchter, die einen solchen Moment schon erleben mussten. WFFS ist nichts Neues. Die Symptome sind schon länger beschrieben. Und dennoch: Tierärzte müssen nachschlagen, so selten ist die Krankheit. Selbst erfahrene Tierärzte, die schon seit Jahrzehnten im Bereich Zucht tätig sind, hatten von dem Gendefekt nichts gehört, bevor er im Frühjahr 2018 plötzlich zum Thema wurde. Und all diese erfahrenen Tierärzte versichern glaubhaft, dass solche Symptome sich unter den Kolleginnen und Kollegen herumgesprochen hätte, wären gehäuft tote Fohlen aufgetaucht, deren Haut man in der Hand hatte, sobald man den Körper untersuchen oder bewegen wollte.

WFFS hat es also schon immer gegeben. Wer es als Seuche bezeichnet, weiß nicht wovon er oder sie spricht, bzw. in Social Media-Kanälen schreibt. Eine Seuche ist hoch ansteckend, ein Gendefekt kommt nur dann zum Tragen, wenn bei der Befruchtung der Eizelle gewisse Genkomponenten aufeinandertreffen. Also nochmal ganz deutlich: WFFS ist erstens keine Seuche und tritt zweitens sehr selten auf.

Das heißt nicht – und das ist der aktuelle Wissensstand, der uns von den Altvorderen unterscheidet –, dass es nicht Tiere gibt, bei denen die Genkonstellation zwar vorhanden ist, sie aber nicht zum Tode Stunden nach der Geburt geführt hat. Diese Tiere sind dann Träger des WFFS-auslösenden Gens. Sie sind WFFS positiv, so wird das verkürzt dargestellt. Heißt konkret: Sie können es an ihre Nachkommen weitergeben. Aber nur wenn zwei Pferde, die beide über das fehlerhafte Gen verfügen, angepaart werden, besteht eine 25-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass ein nicht lebensfähiges Fohlen entsteht.

Auch wenn die Fortpflanzungsmedizin viel Einfluss nehmen kann auf eine Trächtigkeit, ist doch letztendlich immer noch der Faktor „Natur“ der entscheidende. Und Mutter Natur hat es nun einmal so eingerichtet, dass viele Trächtigkeiten, die nicht (damit auch genetisch nicht) der Norm entsprechen, nur von kurzer Dauer sind oder gar nicht erst zustande kommen. Deswegen gibt es eben nicht zwangsläufig bei der Anpaarung von 200 WFFS-positiven Eltern, Hengst und Stute, 25 tote Fohlen. Vielmehr wird die Stute nicht tragend, resorbiert oder abortiert.

Soweit die Biologie.

Nun zu der Meinung vieler, man müsse WFFS ausmerzen. Kein WFFS-positives Tier sollte mehr züchterisch zum Einsatz kommen. Um es ganz klar zu sagen: Dies ist der falsche Ansatz! Noch wird mehr spekuliert als seriös geforscht, welche Hengste für WFFS ursprünglich verantwortlich zu machen sind. Dass auffallend häufig Pferde mit „D“ betroffen sind, lässt den großartigen Donnerhall in den Fokus der Diskussion rutschen. Allerdings muss es auch noch andere Ursprungsquellen geben, denn auch Hengste, die frei von Donnerhall-Blut sind, im Dressur- und natürlich erst Recht im Springlager, haben sich beim Testen als WFFS-positiv herausgestellt.

Bleiben wir bei Donnerhall. Eigentlich das ideale Beispiel. Wie kein zweiter Hengst prägt er das aktuelle Dressurgeschehen. Und das seit nunmehr gut 20 Jahren. Sein Sohn Don Schufro, WFFS-positiv, zeugte die Weltcupsiegerin Weihegold. Sein Sohn Don Frederico, WFFS-positiv, ist der Vater unter anderem von Isabell Werths Don Johnson und Diva Royal, die unter Dorothee Schneider bei den Olympischen Spielen in London für Deutschland startete. An ihrer Seite: der phänomenale Damon Hill, ein direkter Donnerhall-Sohn. Was wäre die Dressur ohne sie? Oder ohne die Nachkommen des WFFS-negativen De Niro? Ohne Desperados, Dablino und wie die vielen Pferde alle heißen, die ihrem Vater die Poleposition in der Weltzuchtrangliste der Dressurhengste seit Jahren gesichert haben? Das sind die Spitzensportler. Sie sollen hier als Beispiel stehen, weil sie nicht nur Charakter und Talent, sondern auch Härte bewiesen haben.

Und dann gibt es ja noch die unzähligen Pferde, die Donnerhall in ihrer Abstammung führen, die Tag für Tag in Ställen weltweit Menschen glücklich machen. Wegen ihres Charakters, wegen ihrer Rittigkeit, weil sie dem Menschen zugetan sind. Weil sie uns Freude bereiten. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe selbst drei Pferde, die Donnerhall in zweiter, dritter und einmal in fünfter und sechster Generation führen. Sie bereiten meiner Familie und mir teilweise schon seit mehr als 15 Jahren täglich große Freude. Keine Ahnung, ob einer aus dem Trio vielleicht WFFS-positiv ist.

WFFS zwingt zum Nachdenken. Das ist sicher nicht der schlechteste Nebeneffekt des Themas. Zum Umdenken sollte der Gendefekt auf jeden Fall führen: Jeder verantwortungsbewusste Züchter sollte seine Stute testen lassen. Und er oder sie sollte sich einmal überlegen, wie stark die Inzuchtkomponente des neu entstehenden Lebewesens ist. Denn Inzucht verstärkt das Risiko problematischer Gendefekte auf jeden Fall. Trotzdem darf es kein Ausschlusskriterium werden, wenn ein Tier als WFFS-Träger erkannt worden ist.

WFFS ist ein Gendefekt. Wer Rassehunde züchten möchte, muss mitunter eine Vielzahl von Gentests abliefern, bevor es zur Anpaarung kommt. Auch in anderen Pferdepopulationen ist es gängige Praxis, sich über gewisse Gen-Konstellationen bewusst zu sein. Kennen Sie die Glanzmann-Thrombasthenie? Oder die Cerebelläre Abiotrophie (CA), Hyperkaliämische Periodische Paralyse (HYPP). Das sind nur einige Gendefekte, die auftreten. Bei Pferden! Beim Quarterhorse sind Untersuchungen auf vier Gen-Besonderheiten Usus. Wer auf Nummer sicher gehen will, lässt auf sieben Erbkrankheiten untersuchen. Züchter, die es gerne bunt haben, sprich Schecken züchten, wissen: Overo und Overo, das sind besondere Scheck-Farben, paart man besser nicht an – das Risiko eines nicht lebensfähigen Fohlens beträgt in dieser Kombination 25 Prozent.

Mein Fazit: Kleinreden sollte man WFFS nicht. Wer bewusst zwei positive Tiere anpaart, handelt gegen das Tierwohl, das ist unethisch und verstößt gegen den Tierschutz. Insofern fordert WFFS alle. Denn, ja, es regt zum Nachdenken an. Und: Nein – alle WFFS-Träger über die Klinge springen zu lassen, wäre Unfug. Denn eines ist sicher: Der nächste Gendefekt lauert nicht nur irgendwo. Er ist schon längst da. Wir kennen ihn nur noch nicht.air jordan 1 low outlet | cheapest air jordan 1 high

Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).

  1. HHH

    Verbesserungen in der Zucht sollten genutzt werden, zumal wenn die Wissenschaft dieses auch dokumentiert. Wir züchten keine Wagenpferde mehr. WFFS, hat es das wirklich schon immer gegeben? Müsste dann nicht der Anteil mischerbiger Pferde in den Warmblutpopulationen höher sein? Ich denke ja!
    Resorbtion oder Abort sind Kosten für den Zücher, nicht für den Hengsthalter. Hier ist der Ansatz zu sehen. Was nützt es wenn wir WFFS ignorieren, andere Länder aber nicht und vielleicht in wenigen Jahren WFFS nur freie Pferde kaufen oder besser vermarkten können. Der US Markt schreit bereits danach. Unsere Züchter haben dann sehr schlechte Karten, nur der Hengsthalter hat sein Geld. Also: WFFS positive Hengste und auch Stuten schnell aussortieren, es gibt immer Alternativen.


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