Helden mit vier Beinen

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Was haben Halla, Fury, Totilas und Ostwind gemeinsam? Sie sind Helden, vierbeinige Helden, die sich auch Menschen ins Gedächtnis prägten, die nie einen Pferdestall betreten haben. Ein paar kleine Beispiele von großen Helden unseres Sports.

Was braucht es, um ein Held zu werden? Man muss etwas Außergewöhnliches bewerkstelligt haben, dafür kriegt man das Bundesverdienstkreuz oder sonst irgendeinen Orden. In England wird man zum Ritter geschlagen und darf sich fortan Sir oder Dame nennen. Auf jeden Fall sollte es was Gutes sein, sonst wird man zum Antihelden, und das will ja keiner. Es müssen auch genügend Leute die Heldentaten mitkriegen, sonst wird man zum stillen Helden; das reicht allenfalls für eine Reportage in der Wochenendausgabe der Lokalzeitung. Sportler werden gerne mit Ehrungen überschüttet und zu Helden erklärt, sofern sie genügend Titel und Medaillen für ihr Vaterland gesammelt haben. Im Pferdesport gibt es ja immer zwei, die sich um einen Heldentitel bewerben, nicht nur der Reiter, auch sein Pferd.

Viele Pferde, die aktuell vorne auf den Ranglisten stehen, kennt die Szene, kennen auch die Turnierbesucher oder die Clipmyhorse-Gucker. Aber die Pferde, deren Namen jedes Kind auf der Straße nennen kann, auch wenn sie schon lange auf der großen Weide in Ostfriesland grasen, die sind doch selten. Im Folgenden eine kleine Auswahl, mit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Ich fange mal in grauen Vorzeiten an, bei Halla und Hans Günter Winkler, Olympiasieger 1956. Allenfalls wir Babyboomer, von denen ein großer Teil ja schon die Rente verzehrt, der andere diesem Stadium entgegenfiebert, haben noch eine Ahnung, wie das war, damals in Stockholm, als Halla ihren schwerverletzten Reiter ohne Fehler über den Olympiakurs trug. Man sah den zusammengekrümmten Winkler, der seinem Pferd nicht helfen konnte, sondern Mühe hatte, im Sattel zu bleiben und dabei mehrmals vor Schmerzen schrie, im Blut eine Mischung aus Kaffee und Morphium, und die edle Stute, die unbeirrt ihren Weg zog.

Ich glaube, Halla wäre auch heute noch Spitzenklasse mit ihrer Intelligenz und Sensibilität, wenn nicht mehr unter Winkler, dann vielleicht unter Steve Guerdat? Die „Zicke“, eine abenteuerliche Mischung aus einer französischen Beutestute, wahrscheinlich Vollblut, und einem Traberhengst, stand in Warendorf im DOKR rum, keiner wollte sie haben ob ihres schwierigen Charakters. Winkler nahm sie schließlich, weil ihm seine finanzielle Lage nicht erlaubten, allzu wählerisch zu sein. Eine unglaubliche Karriere nahm ihren Lauf, die in der Heldentat von Stockholm gipfelte, keine zehn Jahre nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg für die Leute fast so schön wie der WM-Titel der Fußballer 1954. Fast.

Zu selben Zeit war auch Meteor unter Fritz Thiedemann zumindest in Holstein jedem Kind ein Begriff. Zwischen den Meeren wurde er liebevoll „der Dicke“ genannt. Seine Karriere begann vor dem Milchwagen und endete mit Olympiamedaillen und einem Denkmal vor dem Landwirtschaftsministerium in Kiel. Auch wenn Meteor in den heutigen trickreichen Parcours wahrscheinlich keine Schleife mehr abkriegen würde – ein Held seiner Zeit bleibt er trotzdem.

Dann kommen sehr viele sehr erfolgreiche Pferde, Heldenstatus haben wenige von ihnen erlangt. Rembrandt vielleicht, unter Nicole Uphoff zweimal Olympiasieger, der mit seiner Leichtigkeit und Eleganz zeigte, dass Dressur nichts mit Kraft zu tun hat. Eine besondere Geschichte kann den Heldenstatus beflügeln, etwa bei Marius, Olympiasieger 2008 unter dem Zahnarzt Hinrich Romeike. Ein Amateur in einem Profisport, dessen Erfolg nur möglich wurde, weil er seinen klugen unverdrossenen Schimmel machen ließ und der alles richtig machte.

Schaut man sich in anderen Ländern um, um vor allem in England, dann sind es oft die großen Rennpferde, die zu Legenden wurden, wie etwa der Schimmel Desert Orchid, der 34 Siege in den schwersten Hindernisrennen, wie dem Cheltenham Gold Cup, einfuhr. „Er brachte Pferderennen zurück in die Wohnzimmer der Briten“, schreibt ein enthusiastischer Reporter. Es war nicht nur die Zahl der Siege, es war die Kämpfernatur und der Mut des auf den ersten Blick eher derben Schimmels, der die Herzen der Menschen gewann.

So wie ein anderer Schimmel, der seine Heldentaten im Parcours unter John Whitaker vollbrachte. Mit wehender Mähne galoppierte Milton in den Parcours, und glich dabei einem dieser altmodischen Pferdchen auf Kinderkarussells. Bevor „der Weiße“ nicht über die Ziellinie war, hatte noch keiner gewonnen. Seine alten Tage verbrachte Milton hochgeehrt und heiß geliebt von einer riesigen Fangemeinde mit Fußballspielen und dem Eröffnen von Supermärkten. Das sind nur ein paar Namen, jedem von uns fallen noch viele weitere ein, von Pferden, die einen Orden verdient hätte.

Ein Name noch darf auf keinen Fall fehlen, nämlich der von Totilas. Kein Pferd, schon gar kein Dressurpferd, hat jemals so viele Menschen begeistert, wie der lackschwarze Hengst erst unter Edward Gal, dann unter Matthias Rath. Jeder kannte ihn, und das lag nicht nur an der ausgefeilten PR-Strategie, die jeden seiner Auftritte begleitete. Auch Menschen, die wenig bis gar nichts mit Pferden zu tun hatten, waren von ihm fasziniert. Unter Fachleuten war seine Art zu gehen, umstritten, driftete häufig ins Zirzensische ab. Seiner Popularität tat das keinen Abbruch. Der Abschluss der Sportlaufbahn war traurig. Überfordert und lahm endete Totilas‘ Karriere bei der Dressur-EM in Aachen 2015. Am Ende sah man ein resigniertes Pferd, das immer alles gegeben hatte und von dem die Menschen immer alles gefordert hatten, bis es zu viel wurde. Das ist dann die Kategorie tragischer Held.

Helden müssen übrigens nicht immer aus Fleisch und Blut sein. Wer erinnert sich noch an Fury, der in den 50er- und 60er-Jahren laut wiehernd über die damals noch vorwiegend Schwarz-weiß-Fernsehschirme galoppierte, 114 Folgen lang? Der Rappe ist TV-Geschichte, aber Ostwind lebt und trägt sein Erbe weiter. Fünf Filme und sechs Bücher gibt es über den wilden scheuen Rapphengst und seine Reiterin Mika, die natürlich den Schlüssel zu seiner verstörten Pferdeseele findet, Dressurprüfungen wie Dauerritte gleichermaßen grandios bewältigt, auch wenn der Stern auf seiner Stirn jedes Mal ein bisschen anders aussieht, je nach Geschick des Maskenbildners. Wir wollen gar nicht wissen, dass Ostwind insgesamt drei verschiedene Pferde sind. Es gibt Hörspiele, Magazine und Computerspiele über Mika und Ostwind, der – hab ich’s nicht geahnt – ein Urenkel von Halla ist. Selbst wenn nicht: Die Geschichten von Halla bis Ostwind zeigen, dass die Faszination des Pferdes auf den Menschen, nicht nur auf Reiter, ungebrochen ist. Seien sie nun Helden oder nicht. Oder sagen wir es andersherum: Ein bisschen sind sie alle Helden, die uns jeden Tag tragen und ertragen, ihr Bestes geben und, wo immer ihr Arbeitsplatz ist, uns im Grunde nur Freude machen wollen.

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Desiree

    Vielen lieben Dank für diesen wunderschönen Artikel, der doch ein bisschen Licht spendeten in diesen Tagen, wo es in meiner Reitsportseele doch eher dunkel zu geht.

    Unsere Pferde sind alle Helden und sollten als solche behandelt werden. Ohne die Pferde sind wir alle nur noch Menschen, keine Reiter und keine Sportler mehr.

    Wer schenkt uns so viele wunderschöne Momente, Momente, die wir selbst erleben, Momente, denen wir als Zuschauer bei wohnen? Es sind die Pferde. Es sind immer die Pferde.

  2. RS

    Es gibt leider nicht nur diese Helden, sondern auch tragische Helden. Ich nenne da mal Poetin, Matiné, Allstar. Auch an diese tragischen Helden muss ich immer denken, wenn man von „Helden“ unterm Sattel spricht.


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