Im Stechschritt zu Olympia

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Es kommt immer mehr in Mode und nimmt sich selbst sehr ernst: das Reiten auf Steckenpferden. Hobby Horsing hat inzwischen einen Platz in der Wettbewerbsordnung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), die mit einer Ausstatterfirma kooperiert, die alles liefert, was Hobby Horse-Reiter(innen) sich wünschen. Ein beiderseitiges Geschäft, was den einen Geld, den anderen Vereinsmitglieder bringt. Und den Kindern viel Spaß. Hoffentlich.

Früher, bevor alles ein bisschen englisch klingen musste, um cool zu sein, hatten Leute keine Hobbies, sondern Steckenpferde. Letztere erleben gerade ein interessantes Revival, pardon eine Art Wiedergeburt. Hobby Horsing, das „Reiten“ auf Besenstielen, an deren Ende ein Pferdekopf befestigt ist, ist eine „Disziplin“, der sich auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) nicht mehr verschließt und die sich inzwischen als ernstzunehmende Sportart versteht. Ja, bitte nicht lachen! Hobby Horsing boomt.

Jeder kennt die niedlichen Schaubilder auf Turnieren, in denen kleine Mädchen in Turnier-Outfit „Dressurquadrillen“ vorführen, in allen drei Gangarten, Traversalen, Piaffen, Galoppwechseln. Mancher Dressurreiter mag von Neid werden: Alles ist so einfach, die Hobby Horses buckeln nicht, sie verspringen keinen Wechsel, schlagen nicht mit dem Schweif, blockieren nicht in der Piaffe und äppeln auch nicht in der Gegend rum, so dass der Parcoursdienst herbeispringen muss.

Aus dem Vergnügen für Kinder im Grundschulalter ist ein eigenständiges Sportvergnügen geworden, ausgeübt vorwiegend von langbeinigen weiblichen Teenagern, die elegant mit gestreckten Fußspitzen durch Turnhallen oder vor der elterlichen Garage federn. Und von denen die Besten immerhin über 1,40 Meter springen, was mir schon ohne Stock zwischen den Beinen nie gelungen ist. Die männliche Jugend hat diesen Sport noch nicht für sich entdeckt, die Quote tendiert gegen Null, was einen ja nicht wirklich wundert.

Marktlücke

Entdeckt hat, wie gesagt, das Hobby Horsing auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) für sich. Denn es gibt inzwischen eigene Vereine, das heißt zahlende und zählende FN-Mitglieder. Es gibt natürlich Regeln für Wettbewerbe im Hobby Horsing, mit Richtern, die ansonsten lebende Pferde vor sich haben, aber gerne mal einen Ausflug ins Spielparadies machen. Es gibt eine sehr lukrative Zusammenarbeit der FN mit einer Firma, die blitzschnell eine Marktlücke entdeckt hat und sie raffiniert zu nutzen versteht.

Denn Hobby Horses brauchen fast alles, was „richtige“ Pferde auch brauchen. Zunächst führt auch hier der Weg zum Erfolg über das passende Pferd. Zwar bietet die FN auch Steckenpferde zum Selberbasteln an, aber die sind eher uncool im Vergleich zu Maya (Tigerschecke), Sunny (Falbe mit Schnippe), Stern (braun mit Stern), Trixi (Schecke) und Bobby (Rappe), mit ihren hübschen gepolsterten Gesichtern, großen Glasaugen und Mähnen, wie gemacht für schicke Frisuren, zu haben für knapp 90 Euro und damit deutlich günstiger als jedes Shettie. Aus Elternsicht ein nicht zu vernachlässigender Pluspunkt. Aber es gibt natürlich auch noch tollere Modelle für ein paar hundert Euro. Und damit ist es natürlich nicht getan.

Auch Hobby Horses brauchen Trensen, Ohrschützer, Halfter mit oder ohne Schaffell-Polster und, und, und. Die Dienstkleidung der Hobby Horse-Reiterinnen ist natürlich die Reithose mit Stiefeln oder Stiefeletten. Zum Transport reicht eine Tasche, in die kommt der Pferdekopf. Der Stiel ragt heraus. Da braucht man keinen Anhänger plus Zugfahrzeug. Man muss keine TT (Turniertrottel) aus dem Familienkreis rekrutieren, also durchaus eine elternfreundliche Alternative zum Reitsport, die obendrein das Haushaltsbudget schont.

Während sie sich um die Qualität der Grundgangarten ihres Holzpferdchens keine Gedanken zu machen braucht, sollte die Akteurin selbst über eine gewisse elegante Beinaktion verfügen, um zu reüssieren. Das wird besonders deutlich angesichts der Videos von TV-Reportern, die sich aus Recherchegründen aufs Hobby Horse „schwingen“, wenn man das so sagen kann, und durch die Turnhalle tölpeln und am Ende der Aufgabe völlig k.o. sind. Da gibt es schon gewaltige Unterschiede!

Charakterbildend und FN-tauglich

FNVerlag

Von Seiten der FN gibt es bereits Literatur zum Thema. (© FNVerlag)

Hobby Horserinnen – das ist jetzt mal eine gendergerechte Wortschöpfung von mir – brauchen darüber hinaus vor allem eins: eine gewisse Souveränität angesichts grinsender Gesichter und blöder Bemerkungen, wenn sie in der freien Natur „ausreiten“, wobei auch gerne mal über einen Graben gesetzt wird, sie ihr „Pferd“ durch eine belebte Vorortstraße schreiten lassen oder in den Baumarkt „reiten“, um dort ein paar Sprünge zu absolvieren.

„Beim Ausreiten werde ich doof angeguckt“, erzählt eine junge „Reiterin“ auf ihrem Youtube-Video, „und an der Bushaltestelle tuscheln sie am nächsten Tag über mich.“ Da muss man dann drüber stehen. Insofern ist das Hobby Horsing ja durchaus auch charakterbildend.

Für die FN gelten andere Aspekte. Hier will man den Nachwuchs frühzeitig an sich binden, das Steckenpferdreiten in den Reitvereinen verankern, mit Regeln einhegen, mit Turnieren Anreize für sportliche Erfolge schaffen. „So bekommen wir die Kinder in die Reitställe, sie lernen schon viel, etwa die Hufschlagfiguren“, sagt FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach. „Ist doch besser, als wenn sie im Turnverein landen.“ Für die FN auf jeden Fall.

Hauptsache, Pferd

„Wir wollen die Kinder in Bewegung bringen“, sagt auch der FN-Breitensportbeauftragte, Thomas Ungruhe. „Wenn sie zu uns in die Vereine kommen, sind sie ein Teil der Reitergemeinschaft. Die Jugendlichen denken, fühlen und handeln wie Reiterinnen.“

Wirklich? Dahinter steht der Wunsch, dass das eine oder andere Hobby Horse-Mädchen eines Tages das Pferd aus Fleisch und Blut bevorzugt, auch wenn es mal scheut und jede Menge Mist macht. So wie einst das Voltigieren, wo immerhin noch ein lebendes Pferd involviert ist, als Einstieg fürs Reiten galt, aber inzwischen eine eigene, hoch professionelle Disziplin geworden ist, mit nur wenige Umsteigern in den Reitsport.

Das kann dem Hobby Horsing auch noch blühen. Schließlich ist das das Internationale Olympische Komitee (IOC) ständig auf der Suche nach fetzigen, jungen Sportarten mit simplem Austagungsmodus, die weltweit überall betrieben werden können. Wer weiß, ob nicht in ein paar Jahren, wenn die klassischen Pferdesportarten längst ein Opfer von PETA-Umtrieben geworden sind, das Hobby Horsing als einzige olympische Pferdesport-Disziplin übriggeblieben ist. Sofern nicht statt der Pferdeköpfe Löwen, Giraffen oder einfach Kasperlefiguren auf den Stöcken herausragen, dann müsste die ganze Sache umgetauft werden. Aber das ist dann auch egal.

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. kht_lala

    Sehr guter Artikel, vielen Dank!
    Anzumerken ist evtl. das die benannten Pferde bei echten Hobby Horsern auch nicht sonderlich beliebt sind. Je lebensechter desto besser.


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