„Des war schee!“

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Wie Karussell fahren: SG-Redakeurin Kerstin Niemann versucht einen „Spin“

(© Rottermann )

Ein Tag bei Uta Gräf, Mitglied im B-Kader Dressur, und ihrem
Lebensgefährten Stefan Schneider. Es ging nicht um klassisches Dressurreiten.
Das Programm stattdessen: ein Quarterhorse, das sich ein Küsschen verdient hat,
ein Lusitano, der Herr im Haus ist und ein „Dreiblütiger“, in dessen Sattel es
hilft, schon mal eine Zigarre in der Hand gehabt zu haben…

Quarterhorse Arnie scheint zu wissen, warum er ausgerechnet den Namen eines berühmten Schauspielers trägt: Wenn er seine Muskeln spielen lässt, sollte man aufpassen, dass man ihn zum Freund und nicht zum Feind hat. Zum Glück verfügt jedenfalls der vierbeinige Arnie über ein wirklich sanftes Gemüt, das so recht nicht zu seinen Muskelmassen passen mag. Aber wofür die ganzen Muskeln und wovon? Nicht nur das will ich herausfinden bei meinem Besuch bei Uta Gräf und Stefan Schneider. Sie hat ein Faible für Dressur, ist seit 2011 mit dem Holsteiner Hengst Le Noir (der Sprachkundige weiß jetzt, welche Farbe der Hengst hat) im B-Kader Dressur. Und sie hat eine Schwäche für mindestens zwei Haarfarben… Lebensgefährte Stefan Schneider, aufgewachsen in einer Springreiterfamilie, hat ein Faible für alles, was es sonst noch an Reitweisen gibt: Cutting, Reining, Working Equitation, Doma Classica, Doma Vaquera. Und Dressur kann er auch.

Blick über den Tellerrand

Einen Tag lang will ich über den üblichen, auf 20 mal 60 Meter begrenzten dressurmäßigen Tellerrand gucken und dafür gibt es keinen besseren Ort als Kirchheimbolanden, mitten in der Pfalz, dort, wo Uta Gräf und Stefan Schneider seit vielen Jahren ihr Domizil haben. Anders als bei meinem letzten Besuch im August 2010 spielen in diesem Jahr aber weder Gräfs Grand Prix-Pferd Le Noir v. Leandro noch der letztjährige Vizeweltmeister der fünfjährigen Dressurpferde, Damon Jerome v. Damon Hill, eine Hauptrolle. Diese Funktion haben Quarterhorse-Muskelpaket Arnie, der siebenjährige Lusitanohengst Xinocca und ein zwanzigjähriger Dreiblüter, den alle nur Professor nennen, übernommen. Très sangres oder Cruzados, so heißen die Dreiblüter eigentlich, sind eine Kreuzung aus drei Blutlinien: dem Andalusier, dem Araber und dem Englischen Vollblut.

Die Sache mit dem „Ho“

Arnie macht den Anfang. Auf ihm soll ich fühlen, wie es ist, ganz ohne Kontakt zum Pferdemaul jede Gangart zu reiten und wenn ich diese Aufgabe meistere soll ich versuchen, ein paar Spins hinzulegen, also schnelle Drehungen um die Hinterhand, eine Art Trab-Pirouette. Lustig zucken Arnies Muskelmassen auf und ab, als er unter Stefan Schneider ein paar Runden dreht. Schnell, langsam, große und kleine Runden puh, das ist mehr als Comic-Held Popeye mit seinem Spinat ausrichten kann. Das ist das Premium-Paket im Fitnessclub. Obwohl Schneider die Zügel durchhängen lässt, stellt sich Arnie quasi von allein auf dem Zirkel nach innen das macht alles mein innerer Schenkel, ruft mir Schneider zu, gibt eine Art Schnalzen von sich, beugt sich leicht nach vorn und galoppiert in vollem Tempo auf mich zu. Die Zügel hängen durch, der Abstand wird immer geringer, ich sehe die weit geblähten Nüstern des Kraftpakets schon ganz deutlich da haucht Schneider ein leises Ho von oben in Richtung Arnie-Ohren, die Zügel hängen weiter durch, Schneiders Beine wandern weit weg vom Pferdebauch trotzdem stoppt Arnie sofort. Cool.Drei Wörter muss der Westernreiter kennen, erklärt Schneider und grinst von einem Ohr zum nächsten, während ich glaube, ihn leise flüstern zu hören: So manchem Dressurreiter könnte das auch nicht schaden zum Beispiel bei Pferden, die nicht so gern still stehen…Die Wörter lauten: Easy, Ho und das Dritte ist eher ein Geräusch als ein Wort: ein schmatzendes Küsschen. Küsschen heißt: Vorwärts. Easy heißt: einen Gang runter. Ho heißt: sofort anhalten! Ist ja einfach, denke ich und schwinge mich in den weiten, weichen Westernsattel auf Arnies breiten Rücken. Bequem und schaukelig ist es. Ich probiere herum: Körper nach links Pferd geht nach links. Körper nach rechts: Pferd geht nach rechts. Unbewusst treibe ich wohl zu viel, Arnie trabt langsam los. Trot nennt man das bei den Westernreitern. Eigentlich will ich nur, dass er wieder Schritt geht und sage Ho Arnie rammt seine vier stämmigen Beine in den Boden und bremst scharf. Ich fliege nach vorn. Der hört aber gut! Das mit dem Ho wird mich noch so einige Male fast aus dem Sattel werfen, denn Ho flüstere ich gern, wenn ich auf einem etwas kernigen Pferd sitze und möchte, dass es ruhiger geht. Küsschen und weiter gehts. Oberkörper vor Arnie wird schneller. Körper nach links, er wendet. Alles ohne Zügel, geht ganz einfach und macht echt Spaß. Jetzt die Probe aufs Exempel: Stefan Schneider zeigt mir, wie man einen Spin reitet: Zügel vor, an die rechte Halsseite, noch ein Küsschen und dann ganz still sitzen, beschreibt er die Hilfen. Schnell wie auf einem Karussell drehe ich mich mit Arnie rechtsherum im Kreis, es klappt auf Anhieb. Ho raune ich zu laut, als dass es nicht an Arnies Ohren gelangen würde. Die nächste Vollbremsung, während mein Körper gern noch einen halben Meter weiter gekreist wäre…

Ein Küsschen in Ehren...

Westernreiten ist total anders als Dressurreiten: Eigentlich treibt man nur, um ein bestimmtes Tempo zu erreichen danach soll das Pferd dieses Tempo so lange beibehalten, bis eine neue Hilfe/ein neuer Impuls kommt. Hilfen als eine Art Tempomat, das ist für mich sehr ungewohnt und führt dazu, dass Arnie oft viel schneller wird als ich es will. Das wiederum führt zum unbewussten Ho und zu den schon beschriebenen Folgen… Insgesamt eine interessante Erfahrung. Aber ganz ehrlich: Dieser Western-Schnupperkurs weckt nicht wirklich eine neue Leidenschaft in mir. Dennoch, eins hat sich Arnie echt verdient: Das mit dem Losgehen auf Küsschen hat er so super gemacht, dass ich mich am Ende vom ihm verabschiede mit einem echten Kuss. See ya, Arnie!

Hier spielt die Musik!

Ganz andere Gefühle kommen bei Xinocca, dem siebenjährigen Lusitano-Hengst auf. Ein bildschöner Schimmel, dessen lange Mähne vom leichten Wind zerzaust wird, während er die ersten Runden im Viereck aufgeregt herumtänzelt und seinen Kumpels auf der Weide zuzuschreien scheint: Leute, hier spielt die Musik! Xinocca ist für seine sieben Jahre schon sehr weit ausgebildet, geht Traversalen, fliegende Wechsel, Pirouetten, spanischen Schritt. Stilgerecht ist er gesattelt mit einer Portuguesa einem Sattel, der vorne und hinten eine Art Rahmen hat. Man ist quasi eingeklemmt zwischen diesen Rahmen, ich kann gar nicht anders als supergerade sitzen. Ein stolzer, aufrechter Sitz ist in der Doma classica sehr wichtig, betont Schneider. Geritten wird auf Kandare am Ende einhändig. Vier Zügel in zwei Händen ist ja schon eine Herausforderung aber vier Zügel in einer Hand fühlen sich zuerst an, als müsste ich alle Fahrleinen eines Zehnspänners zwischen den Fingern balancieren. Das probiere ich nur kurz, dann darf ich die Zügel wieder in zwei Hände nehmen. An die Rahmen des Sattels dagegen gewöhne ich mich schnell. Xinocca ist sehr sensibel, der kleinste Druck mit dem Schenkel lässt ihn das Tempo erhöhen, genau wie Arnie wird er schnell, schneller, am schnellsten… das obligatorische Ho von mir führt zur schmerzhaften Bekanntschaft mit den Rahmen des Sattels… Das muss ich mir dringend abgewöhnen, jedenfalls für die Zeit meines Aufenthalts im Stall Gräf/Schneider! Während des kurzen Moments des einhändigen Reitens (mit links) fühlt sich mein rechter Arm völlig unnütz an. Er baumelt einfacher herunter und ich weiß nicht so recht wohin damit. Schneider erklärt, dass die rechte Hand im Schritt locker auf dem Oberschenkel ruht, im Galopp dagegen mittig auf dem Brustkorb. Wer es mit der Anatomie nicht allzu genau nimmt, könnte sich den Merksatz Hand aufs Herz einprägen…

Xinocca gibt alles

Wo aber liegt die Hand im Trab? Nun, in den spanischen Hirtenreitweisen wird kaum getrabt. Es gibt eigentlich nur Schritt und Galopp. Das finde ich ganz okay, Trab ist eh oft ziemlich anstrengend, besonders wenn Pferde mit viel Gummi tschuldigung, Schwung ausgestattet sind. Xinocca ist trotz seiner jungen Jahre ein tolles Lehrpferd. Anders als bei Arnie gibt es keinen Tempomat man muss also, wie in der klassischen Reitweise auch, nicht nur einmal, sondern eigentlich ständig ein bisschen treiben. Das kenne ich, damit komme ich gut klar, das fühlt sich super an. Der Hengst trägt an seinem Stirnriemen lauter herunterhängende Lederstreifen, Mosqueros genannt. Ursprünglich sind sie dafür da, Mosquitos, also Mücken, zu vertreiben. Aber der Mosquero hat noch eine andere, faszinierende Funktion: Er wackelt im Takt des Pferdes von rechts nach links aber eben nur, wenn das Pferd auch im Takt geht. Wenn ich Schritt reite, wackeln die Streifen munter hin und her, das Lob des Trainers lässt nicht lange auf sich warten: Super im Takt, so soll es sein. Diesmal flüstere ich, nicht er: So ein Mosquero wäre toll in großen Dressurprüfungen. Da hätte niemand mehr Probleme zu beurteilen, ob das Pferd nun im Schritt im Takt geht oder nicht…  Das Mosquero wackelt natürlich auch im Trab und Galopp naja, im Trab reitet man ja kaum. Ich probiere es, aber in der Tat spielt der Trab bei dieser Rasse nicht unbedingt eine übergeordnete Rolle, und so geht es schnell im Galopp weiter. Xinocca hat es mittlerweile aufgegeben, um Aufmerksamkeit von seinen Weidekollegen zu buhlen und widmet sich seiner Aufgabe: zeigen, was er kann. Alles für mich zu geben. Tolles Gefühl. Ich weiß ja nicht, ob sich dieser imponierende Hengst in der Pfalz so wohl fühlt falls er mal wissen möchte, wie die Luft zwischen den Meeren so riecht, biete ich ihm bei mir im hohen Norden zeitlich unbegrenztes Asyl an!

Tanz mit Hindernissen

Schließlich stolziert der Professor ins Viereck der 20-jährige Dreiblüter. Als der Fuchs noch ein Jungspund war, wurde ihm die Schweifrübe kupiert eine Quälerei, die heute glücklicherweise verboten ist. Auf ihm soll ich herausfinden, was an der Doma Vaquera, der spanischen Hirtenreitweise, so aufregend ist. Die Basis aller Ausbildung ist immer wieder Konsequenz und Dressur, schleudert mir Stefan Schneider entgegen, als ich erneut Ho sage, obwohl ich gar nicht anhalten will und erneut nach vorne geschleudert werde. Wo er recht hat, hat er recht. Ich nähe im Stillen meine Lippen zu und verbiete mir für den Rest meiner Zeit das Ho aus meinem Wortschatz. Nicht aber die Dressur. Die funktioniert beim Professor wie auf Knopfdruck, weswegen er auch für das waghalsigste Experiment dieses Tages herhalten muss: Ich möchte einmal mit einer Garrocha tanzen, mit einem etwa 3,50 Meter langen Holzstock, den die Vaqueros bei sich haben, und mit dem sie in Shows sozusagen tanzen wie mit einer Flamenco-Tänzerin. Während ich vorher viel allein ausprobieren durfte, macht Schneider es mir diesmal vor: Er hält den Stock in der rechten Hand und reitet einfach im Schritt in einem Kreis um ihn herum. Das Ende des Stocks, das auf dem Boden ruht, rührt sich nicht, hätte auf einem Kreis, der so groß ist wie ein Zwei-Euro-Stück, genügend Platz. Es sieht so einfach aus! Wendung: eine halbe Schrittpirouette auf den Stock zu, den Stock leicht anheben, Pferd geht unterdurch, und anders herum. Kinderspiel…. denke ich und schwinge mich mutig in den Vaquero-Sattel. Superbequem, allmählich überlege ich, ob das klassische Dressurreiten wirklich das Nonplusultra ist. Da liegt ein weiches Lammfell über dem Sattel, der Hintern tut einem auch nach stundenlangem Reiten nicht weh. Da ist hinter einem ein aufgerolltes Handtuch, man sitzt automatisch gerade. Die Steigbügel sehen aus wie riesige Suppenschüsseln, da muss man keinen Gedanken mehr daran verschwenden, mit der breitesten Fläche des Ballens genau auf den Steigbügel zu treffen. Ach, Reiten kann so einfach sein! Na gut, abgesehen davon, dass ich als bekennender Dressurfreak gern längere Bügel hätte… irgendetwas ist immer!

Die Sache mit der „Volkel“?

Was so einfach aussah, stellt sich als echte Herausforderung dar: Das kreisrunde Reiten im Schritt! um eine Stange. Die Volte wird zuerst zum Zirkel die Stange bleibt einfach nicht an einer Stelle liegen, sondern pflügt den Boden. Nach einigen Versuchen wird der Zirkel zum Ei, dann immerhin zur Volkel einer Mischung aus Volte und Zirkel schließlich, endlich, gelingt das angebliche Kinderspiel: im Schritt kann ich um eine Garrocha tanzen. Ich gebe zu, das klappte nur mit einem Tipp: Halte die Garrocha, als würdest Du eine Zigarre rauchen!, ruft mir Stefan Schneider zu. Hä? Ach so, Zeige- und Mittelfinger spreizen, nach oben halten, die Garrocha zwischen die gespreizten Finger legen nicht umklammern. Es klappt sofort besser – jedenfalls rechts herum. Beim ersten Versuch eines Richtungswechsels banale halbe Schrittpirouette, pah! – fliegt mir die Garrocha allerdings aus der Hand, trotz des Zigarrentipps. So einfach ist es wohl doch nicht. Nächster Versuch ich will Sie nicht langweilen, es gab noch ein paar mehr… Ich weiß nicht mehr, wer mehr geschwitzt hat, der Professor oder ich auf jeden Fall brauchten wir beide eine Pause. Um dann, am Ende, das Ganze nochmal im Galopp (!!!) zu versuchen. Okay, ich gebe zu: das war schwierig. Wir haben immerhin im Galopp auf beiden Händen eine Volkel geschafft gar nicht so schlecht für den Anfang. Ich erweise dem Professor die Ehre, er hat sich nicht nur einen der mitgebrachten Äpfel mehr als verdient.

Nach so viel Ausflug in die große weite Welt des Reitens bin ich ganz schön aus der Puste da steht schon der nächste Vierbeiner parat. Diesmal ist es ein ganz normaler Warmblüter, den Uta Gräf für mich gesattelt hat. Mit einem Dressursattel, mit Kandare, deren Zügel man in zwei Hände nehmen darf, mit drei statt zwei Gangarten. Es ist eine Rückkehr in eine bekannte, geliebte Welt. Die allerdings ganz anders empfunden wird, jetzt, wo so viele Reitweisen in so kurzer Zeit auf mich einprasselten. Von jeder habe ich profitiert, von jeder habe ich etwas mitgenommen. Wie würden es die Pfälzer sagen: Des war schee!

Hier geht’s zur homepage von Uta Gräf und Stefan Schneider.

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Kerstin NiemannRedakteurin

Die wandelnde Richtlinienkompetenz auf zwei Beinen. Liebt die Deutsche Reitlehre und kennt sie in- und auswendig. Schade, dass es "Wetten, dass ...?" nicht mehr gibt. Betreute unzählige „Promi-Stunden“. Faible fürs Dressurreiten, doch als Pferdewirtin (Schwerpunkt Reiten) und Fachbuchautorin hat sie auch schon Parcours und (Jagd-) Gelände erkundet. Macht jedem Beine, der nicht "Schenkel" sagt. Kann tagelang über Halbe Paraden philosophieren. Die Mutter eines Sohnes ist seit 2000 beim St.GEORG.