Moment mal! „Nichts für kleine Mädchen“

Von
Renate Pade

Renate Pade, geborene Freitag in den 1950er-Jahren (© Archiv St.GEORG)

…schrieb der Spiegel vor mehr als 70 Jahren über einen Artikel, in dem es um den Kampf der damals 14-jährigen Renate Freitag für ihre Chancen im Top-Sport ging. Ihre größten Gegner: die damalige Springreiter-Legende Hans Günter Winkler und Warendorfer Funktionäre. Natürlich erscheint das heute, wo schon Kinder internationale Championate austragen, nur noch lächerlich. Aber die Hartnäckigkeit, mit der sich Frauen und Mädchen in einer Männerwelt durchsetzen mussten, war es, die späteren Reiterinnen, von Meredith Michaels-Beerbaum bis Jana Wargers, den Weg ebneten.

Mit zwölf ritt sie ihre ersten Springen in Hamburg beim Derbyturnier, mit 13 gewann sie den Großen Preis von Wiesbaden und trat in der Aachener Soers an. Renate Freitag, Tochter des Verdener Keksfabrikanten Hans Freitag, war eine Frühvollendete, deren Erfolge in schweren Springen in den 1950er-Jahren die Reiterwelt begeisterten. Meistens jedenfalls. Weniger begeistert waren die berühmten Konkurrenten, die hinterherritten, etwa die spätere Olympialegende Hans Günter Winkler. Er ließ im Verbund mit der Führung des damaligen Hauptverbandes für Zucht und Prüfung Deutscher Pferde, der heutigen FN, nichts unversucht, die Karriere des jungen Mädchens zu torpedieren.

Es begann im Jahr 1955, Renate hatte zunächst mit der von ihrer Trainerin Helga Köhler zur Verfügung gestellten Armalva, dann mit der hannoverschen Stute Freya von Fermor III, einem Ausnahmepferd, auf kleineren und immer größeren Turnieren Schleife um Schleife eingeheimst. Schließlich durfte sie auch beim Wiesbadener Pfingstturnier starten. Freya war zwischendurch auch vom jungen Alwin Schockemöhle geritten worden, einem engen Freund der Familie Freitag und später zeitweilig auch Renates Verlobter. Am Tag vor dem Großen Preis von Wiesbaden kam Oberst Harald Momm, ehemals Springreiter-Equipechef der Kavallerieschule Hannover, zu Hans Freitag und empfahl ihm, seine Tochter mit Freya in den Großen Preis zu schicken. Das Pferd sei am glücklichsten unter ihr, argumentierte er. „Renate kann das, lassen sie sie doch reiten, wenn sie will.“ „Mein Vater war natürlich gebauchpinselt und stimmte zu“, erzählt Renate Freitag heute. Der Erfolg gab ihm und Momm recht. Hinter dem Teenager mussten sich Hans-Günter Winkler (2.), Alwin Schockemöhle (3.), Fritz Thiedemann (8.) und Alfons Lütke-Westhues (11.) einreihen. Von sowas haben wir doch alle mal geträumt, oder?

Dem überaus ehrgeizigen Winkler gefiel es freilich gar nicht, von einem Mädchen, quasi noch einem Kind, geschlagen zu werden. Er hatte, unterstützt von seiner damaligen Frau Inge, nichts Besseres zu tun, als Vater Freitag zur Rede zu stellen, wie er sein Kind derartigen Gefahren aussetzen könne, schalt ihn verantwortungslos, sagte, er sei selbst sehr um Renates Sicherheit besorgt und warf ihm mangelnde Sachkenntnis vor. Aber Hans Freitag blieb unbeeindruckt, während Winkler zusammen mit Verbandspräsident Wilhelm Hansen und Geschäftsführer Kurt Volkmann versuchte, Renate weitere Felsbrocken in den Weg zu schieben. Da hieß es auf einmal, in höheren Springklassen müssen die Reiterinnen einen Zylinder tragen. „Ich hatte einen ziemlich kleinen Kopf, die Samtkappe fiel mir immer runter und musste mit Haarklammern festgesteckt werden,“ erzählt Renate heute, „um den Zylinder zu besorgen, mussten wir extra nach Stuttgart zum Hersteller fahren. Die mobilen Stände, die heute auf jedem Turnier stehen, gab es ja noch nicht.“

Im Juni 1956 bekam Hans Freitag einen Brief vom Reiterverband, dem er entnahm, dass alle Reiter, die international starten wollen, zusätzlich zum Reiterausweis eine Startgenehmigung vom Verband benötigten, die ohne Angabe von Gründen verweigert werden könnte, wenn die deutsche Reiterführung „die Teilnahme nicht wünscht.“ Als Grund führte Präsident Wilhelm Hansen an, das jugendliche Alter der Freitag-Tochter gebiete „Schonung und verständnisvollen Turniereinsatz.“ Der Pressesprecher des Verbandes, Mirko Altgayer, verschickte an 450 Tageszeitungen eine Pressemitteilung unter der Überschrift: „Kinder sollen nicht überfordert werden.“ Sowas fiel wohl auch damals schon unter die Rubrik „Meinungsmache“. Sogar der Freitag’sche Hausarzt wurde bemüht, um die körperliche Belastbarkeit von Renate zu bestätigen. Im Sommer 1956 beschloss der Reiterverband, unter 16-Jährigen keine Startgenehmigung für internationale S-Springen zu erteilen, womit Renate als Preisgeld-Konkurrentin für Winkler und Co erstmal ausgeschaltet war. Hans Freitag blieb unbeeindruckt und machte seine Anwälte mobil, die drohten mit gerichtlichen Schritten. Der Verband knickte schließlich ein und strich 1957 die „Lex Freitag“ wieder.

Die Karriere von Renate Freitag, die so hoffnungsvoll begonnen hatte, endete jäh im Jahr 1960. Auf dem CHIO Turin erlagt der Vater der inzwischen 19-Jährigen im Alter von nur 40 Jahren seinem dritten Herzinfarkt. Die Familie hatte jetzt andere Sorgen als die Reiterkarriere der Tochter. Hans Freitag jun. verließ mit 14 Jahren die Schule und stieg in das Unternehmen ein. „Wir haben uns in den nächsten Jahren nur um die Kekse gekümmert“, sagt Renate. Ihre aktive Karriere beendete sie kurz darauf, heiratete später den Springreiter Wolfgang Pade. Das Interesse am Pferdesport ist nie erloschen, noch heute, mit 80 Jahren, verfolgt Renate Freitag-Pade alle großen Turniere, meist über Clipmyhorse. „Das ist heute ein völlig anderer Sport sagt sie, „aber mich fasziniert er noch immer“.

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Helmold Baron von Plessen

    Koestlich, wie die oberste Heeresleitung vom St. Georg, uns ineressierten Lesern, Historisches zu vermitteln vermag. Bezeichnend, dass Oberst Momm, der mit meinen Eltern befreundet war und an den ich mich gut erinnern kann, geradezu avantgardistisch ins Geschehen eingriff und auch bezeichnend, dass er die gute Partnerschaft ( unter ihr, naemlich Renate Freitag, sei die Stute am gluecklichsten) zwischen Ross und Reiterin, als Hauptargument fuer einen Start im grossen Preis von Wiesbaden ins Feld fuehrte.

    Solche Ausfluege in die Historie des Reitsport’s geniesse ich ganz beonders.


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