Gabriele Pochhammer zu den Alkoholexzessen im Springsport

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

Der Bericht in der aktuellen Ausgabe des Magazins SPIEGEL über ausschweifende Feierorgien junger Springreiter mit „sexualisierter Gewalt“ hat am vergangenen Wochenende für Aufregung in der Pferdeszene gesorgt. Gabriele Pochhammer ordnet das Geschehene ein.

Das, was der Spiegel auf sechs Seiten genüsslich ausbreitet, war Insidern nicht wirklich neu. Es geht um Alkoholexzesse von jungen Springreitern, in deren Folge um sexualisierte Gewalt, K.O.-Tropfen, Sex-Strichlisten von abgeschleppten Mädchen, zerlegte Hotelbetten, nächtliche Autorennen. (Eine Zusammenfassung des Spiegel-Beitrags und die Antwort der FN finden Sie auf SG-Online.)

Aber das Wenigste ist gerichtfest zu beweisen, der SPIEGEL-Beitrag wimmelt von vagen Formulierungen wie „offensichtlich“, möglicherweise“, „vielleicht“. Von den Akteuren wird kein einziger Klarname genannt, wohl auch aus juristischen Gründen, da es sich um Jugendliche handelt. Es werden 30 Jahre alte Kamellen von Trinkgelagen aufgetischt, es wird auf „die Reichen“ eingedroschen und es ist von Eltern die Rede, die nicht am Bierstand stehen, sondern „herumlungern“. Geht’s noch? Die Tendenz ist unverkennbar: Dem Pferdesport soll mal wieder eins ausgewischt werden, zwei Wochen vor Beginn der Weltreiterspiele, eine Woche vor den Deutschen Jugendmeisterschaften in München. Ein Glanzpunkt des investigativen Journalismus ist das nicht.

Aber das sollte uns über die Fakten nicht hinwegtäuschen. Diese Exzesse hat es gegeben und sie wird es weiterhin geben, wenn die Verbände, die Landesverbände ebenso wie die FN, nicht wach werden. Noch als alle Beteiligten bereits wussten, dass der Spiegel-Artikel skandalöse Details ans Licht bringen würde, randalierten junge Springreiter beim Turnier in Wallau, wie auf so vielen Turnieren. Unbeeindruckt, dickfellig, arrogant. Die Turnierparty, die ein Spaß für die Reiter sein sollte, artete aus. Die Turnierleitung brach sie gegen 2.30 Uhr ab. Angetrunkene junge Reiter bretterten anschließend noch mit ihrem Auto übers Gelände.

FN-Generalsekretär Soenke Lauterbachspricht von Einzelfällen, muss aber im gleichen Atemzug „Alkohol in nie da gewesenen Dimensionen“ zugeben. Also wohl doch keine Einzelfälle, auch wenn immer dieselben vier, fünf Namen genannt werden.

Reiche und arme Sünder

In zwei Fällen wurde bisher eingeschritten. Der Spross einer reichen Unternehmersfamilie aus dem Rheinland wurde zu einer vierstelligen Geldstrafe verurteilt. Der Landesverband Rheinland nannte als Grund „Jugendtypisches Fehlverhalten“. Wahrscheinlich ist es reiner Zufall, dass jene Unternehmerfamilie großzügig die Rheinischen Meisterschaften unterstützt. So was darf sich die FN eigentlich nicht gefallen lassen.

Im zweiten Fall schwebt über einem Reiter, der ein Mädchen sexuell bedrängt und mit der Vergewaltigung der 15-jährigen Schwester gedroht haben soll, eine anderthalbjährige Turniersperre. Dieser junge Mann, hochbegabt und erfolgreich auf Nachwuchschampionaten, kommt nicht aus reichem Haus, mit seinem Reiten finanziert er mehr oder weniger seine Familie, die durch eine Sperre in finanzielle Bedrängnis geriete. Und so einer hat auch nicht sofort eine Garde von Spitzenanwälten zur Seite. Ich will ihn nicht in Schutz nehmen, wenn die Vorwürfe zutreffen – zur Zeit befasst sich damit das Große FN-Schiedsgericht – muss eine Strafe her, die weh tut. Aber Existenzen zu ruinieren, ist nicht die Aufgabe der FN.

Die Haltung der FN

Vielmehr muss sie sich jetzt Vorwürfe vieler Veranstalter gefallen lassen, nicht viel früher eingeschritten zu sein, von Holger Baum, aber auch von Ludger Beerbaum und anderen. Nur: Mit solchen Vorfällen beschäftigt sich zunächst der Landesverband und wenn die FN nichts erfährt, kann sie auch nichts tun. Deshalb die berechtigte Aufforderung an die SPIEGEL-Redaktion, gerichtsfeste Fakten herauszurücken. Immer vorausgesetzt, dem Spiegel geht es um die Abstellung von Missständen und nicht um das genüssliche Hinhängen eines Sportes, den man schon deswegen ablehnt, weil er nicht ins linke Weltbild passt.

In der Tat wurden viel zu lange die Augen verschlossen vor dem Treiben bei den sogenannten LKW-Partys. Seitdem Pferdetransporter von Eigenheimgröße, ausgestattet mit Wohnteil, Küche und Bar, schon auf kleinen Turnieren die Parkplätze füllen, müssen die Reiter und ihre Entourage nicht mehr in Hotelbars die Sau rauslassen. Und viele Mädchen gehen gerne dorthin, reisen von weither an. Reiter werden so häufig von „Groupies“ belagert wie Rockstars – was natürlich keinen Übergriff entschuldigt. Aber wer zu einer LKW-Party geladen ist, weiß, dass es dort nicht nur Apfelsaft gibt.

Kein reitsportpezifisches Phänomen

Sauforgien und in ihrem Gefolge sexuelle Übergriffe und Randale sind natürlich nicht nur jungen Reitern vorbehalten. Der Pferdesport kann nicht besser sein als der Rest der Spaßgesellschaft, von deren Exzessen wir jeden Tag in der Zeitung lesen. Tatsache ist, dass junge Reiter häufig in einem ausgesprochen trinkfreudigen Umfeld sozialisiert werden. Das Pferd hat noch Stroh im Schweif? Das gibt ne Runde im Reiterstübchen, meistens Schnaps oder anderes Hochprozentiges. Runterfallen? Das kostet ebenfalls ne Runde. Auch wenn es genügend Geschichten von alkoholisierten Topreitern gibt, die wie durch ein Wunder noch den Weg im Parcours fanden, leisten sich Profis, die in der Weltspitze reiten, heute solche Orgien schon lange nicht mehr. Die meisten verstehen sich als Athleten, die fit sein müssen, auch wenn der Körper ein Glas über den Durst nicht so streng bestraft wie bei einem Leichtathleten. Das sollte vielleicht einer mal den jungen Leuten sagen, die immer noch glauben, alles sei okay, wenn nur das Pferd nüchtern ist. Aber von Reitern erwarte man doch ein anderes Verhalten, sagte jetzt eine Freundin zu mir. Sie trügen doch schließlich die Verantwortung für das Lebewesen Pferd. Ihr musste ich leider sagen: Träum weiter!

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In einer früheren Version dieses Kommentars hatte es geheißen, dass bei den Vorkommnisse in Wallau mit Autos über Abreiteplätze und Koppeln gefahren worden sei. Tatsächlich gibt es in Wallau nur einen Abreiteplatz. Außerdem sind die alkoholisierten Partygäste nachdem die Turnierleitung die Party um 2.30 Uhr beendete hatte, mit einem Auto über Gelände gefahren. Red. St.GEORGAir Jordan 1 Outlet Store online | mens jordan shoes release dates

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Sylvia B.

    Wenn ein ’nicht-vermögender‘, talentierter Nachwuchsspringreiter durch sein Verhalten seine Existenz und die seiner Familie auf’s Spiel setzt bzw. diese dann in letzter Konsequenz auch ruiniert, dann ist sicher nicht die FN dafür verantwortlich, sondern der Reiter selbst.
    Weder sollte ihn besondere Härte noch wohlwollende Güte treffen, sondern er sollte die angemessenen Konsequenz zu spüren bekommen.
    Und das gilt sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung – sprich, Geld und Namen sollten dabei überhaupt keine Rolle spielen.
    Das muss immer der Maßstab sein.

    Einmal mehr ist die FN gefordet, Profil zu zeigen (natürlich im Rahmen der Möglich- und Zuständigkeiten). Leider aber eine der ärgsten Schwächen des Verbandes, da offentlich in zu große Abhängigkeiten verstrickt und um Ausreden daher nie verlegen.

  2. Juliane H.

    „… und nicht um das genüssliche Hinhängen eines Sportes, den man schon deswegen ablehnt, weil er nicht ins linke Weltbild passt.“
    Als langjährige und passionierte Leserin von Spiegel und St.Georg kann ich dieser Argumentation nicht folgen. Sie erscheint mir unangebracht und nicht plausibel. Im wieder werden auch im Spiegel interessante Artikel über den Pferdesport veröffentlicht, die unabhängig von einer politischen Ausrichtung, recherchiert worden sind.
    Und auch als „Linker“ kann man den Pferden verfallen sein!

  3. Franzi

    Tja, ich sehe auch einfach ein Problem darin dass soziale Zwänge wegfallen wenn man Dorfverhalten auf ein Stadtumfeld überträgt. Wenn so ein Saufgelage auf dem Dorf passiert ist bei den Jungs deutlich mehr Hemmung vorhanden, da das Mädel die Tochter der Pferdebesitzers, Tierarzt, Freundin des Hufschmieds o ä ist. Man ist also mit jedem irgendwie verbunden und muss sich hüten niemandem auf die Füße zu treten von dem man abhängig ist. Da diese Turniere aber inzwischen auch alle ein globales Flair haben, fällt diese Kontrolle weg und wir haben die beschriebenen Szenen. Und dazu noch die Mädels die vielleicht doch nicht wissen worauf sie sich da einlassen weil sie das aus der Stadt so nicht kennen.
    Die gewisse Schuld der Eltern würde ich hier übrigens nicht wegdiskutieren. Sie betrifft halt nur nicht junge Springreiter sondern einen Großteil der Bevölkerung.

  4. A. Schmid

    Ich finde es gelinde gesagt eine Unverschämtheit, Existengründe bei solchen Vorwürfen auch nur in irgendeinem Maße zusammen anzubringen.
    Sollten die Vorwürfe tatsächlich zutreffen, ist es mir ehrlich gesagt mehr als egal, ob da eine Familie vor dem Ruin steht oder nicht, das hätte sich betreffende Person vorher überlegen sollen und verdient kein Mitleid.

    Oder wie erklären Sie einem Vater, dessenr Tochter so etwas passiert, dass derjenige wohl bestraft werden müsse, aber man die Existenz nicht ruinieren darf???
    Denken Sie, dass der Vater dafür Verständnis hat? Unter umständen wird ihm bzw. der ganzen Familie das Leben ruiniert und ich denke nicht, dass er von so einer Aussage begeistert sein wird.
    Das steht in keinem Verhältnis zueinander.

    Die FN soll sicherlich nicht der Richter sein, aber wir wollen alle mal die Kirche im Dorf lassen.
    Was Recht ist, muss Recht bleiben.
    Das ist aber auch ein allgemeines Problem unserer Gesellschaft, in diesen Fällen dann noch für die Täter zu sprechen, bzw. in einem gewissen Maße noch Nachsicht zu fordern.
    Das verachtet die Opfer und stärkt die Täter und wird sich deshalb auch nicht ändern, weder im Reitsport noch in einer Silvesternacht.

    Ich bin zugegeben schockiert, dass ich das hier überhaupt schreiben muss.

    • Friederike Scholz

      Ein schwieriges Thema. Reitenden Jungs werden in der Tat umschwärmt wie Rockstars. Auch das trinkfreudige Umfeld im Reiterlager ist altbekannt. Da kann man als junger Mensch schnell die Bodenhaftung verlieren und sich in göttlichen Sphären wähnen ohne Regeln wähnen. Das darf jedoch keine Entschuldigung sein. Hier dürfen die Sportverbände nicht weiter weg sehen, sondern müssen nachhaltig disziplinierend einwirken in Bereichen, die nicht in strafrechtliche Regionen fallen. Wenn es aber um sexuelle Belästigung/Vergewaltigung geht, geht das die Sportverbände nichts mehr an. Dann sind die strafrechtlichen Ermittlungsbehörden und Gerichte am Zuge, zu denen ich das volle Vertrauen habe, dass die Taten angemessen bestraft werden.

      • A. Schmid

        Es ist befremdlich, dass bald jede Meinung mit einer Erklärung und einer gewissen Verständnis anfängt und dann mit dem Satz „das darf jedoch keine Entschuldigung sein“ abschließt.
        Ich bezweifle, dass das jemand seiner Tochter so erklären würde, die sich gerade anvertraut hat, sie wäre sexuel genötigt worden.
        Ich glaube kein Elternteil der Welt würde mit dem Satz beginnen, dass da mal einer schnell die Bodenhaftung verliehren kann um dann anschließend mit „das soll keine Entschuldigung sein“ abzuschließen.
        Warum tun wir es dann hier?

        Wenn es um sexuelle Belästung oder Vergewaltung geht, geht das die Sportverbände nichts mehr an?
        Das seh ich aber anders. Das geht jeden etwas an, das ist eine Anstands- und Stilfrage.

        Wenn unseren Kindern sexuelle Gewalt in einem Verein oder auf einer Turnier- Veranstaltungwiederfahren würde, was würden wir tun?
        Wäre die erste Anlaufstelle dann nicht der Trainer, der Verein, die Meldestelle, der technische Deligierte und der Verband?
        Würden wir nicht lauthals nach Ausschluß und Sperren und vor allem Gerechtigkeit schreien?

        Nein, wir warten sicherlich dann alle ganz geduldig, bis eine Richterschaft, samt Staatsanwalt den Vorfall durchnudelt und zum Abschluss bringt
        und dulden in dieser Zeit natürlich weiterhin die Anwesenheit des vermeintlichen Täters bzw. derer die sich weiterhin wie die Axt im Wald benehmen dürfen.

        Im Kleinen fängt es an.
        Wie es sich außerhalb in Deutschland schon fernab jedes Sportgeländes und Veranstaltung entwickelt hat, auf freier Straße,
        erfahren wir ja zunehmend jeden Tag aus den Medien.
        Und auch hier haben wir Verständnis, denn die Täter stammen entweder aus sozial benachteiligten Familien, haben keine Arbeit oder hatten keine Chance sich zu integrieren.

  5. Heidi

    Angesichts der bestätigten Vorfälle und sollten sich die zu klärenden Vorfällen auch als wahr herausstellen, da passt für diese Täter ein Begriff aus dem amerikanischen: Trailer trash!
    Wünsche den Familien, die von diesen Menschen ins Unglück gezogen wurden viel Stärke und eine positive Zukunft!

  6. Gabriele Thombansen

    Hier kommen die Kuschelpädagogik der Eltern und die heute jederzeit verfügbaren und kostenlosen Pornos zusammen, die ein Frauenbild beim Sex vermitteln, dass es so nicht gibt, aber von den Jungs so gelebt werden möchte.
    Diese Probleme machen sich auch in anderen Bereichen des Lebens bemerkbar.

  7. JG

    Sehr geehrte Frau Pochhammer,

    hier werden, nicht nur von Ihnen, doch schon wieder unterschiedliche Vergehen in einen Topf geworfen. Nur weil hier der Alkohol-Konsum in den Vordergrund gestellt wird sollte man diese beiden Fälle doch genauer differenzieren. Randalieren im Suff ist das eine, aber KO-Tropfen und sexuelle Übergriffe haben eine ganz andere Dimension.

    Vor einigen Monaten wurde noch heiß über #Metoo debattiert und ein hartes Durchgreifen gefordert, und jetzt, wo es einen talentierten jungen Mann betrifft, der angeblich durch seine Reiterei die Familie über Wasser hält, wird Milde gefordert?

    Muss die FN nicht auch die betroffenen Mädchen schützen? Was ist mit deren Existenzen? Vielleicht hängt auch von deren Reiterei das finanzielle Auskommen ihrer Familie ab?

    Soweit ich weiß, ist die Sperre der FN zwar verhängt worden, sie wurde aber ausgesetzt bis die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgeschlossen sind.
    Sollten die Ermittlungen den Verdacht tatsächlich bestätigen, ist die Strafe noch viel zu mild.

    Das einzige was man der FN vorwerfen kann ist eigentlich das bisher in solchen Fällen zu lasch gehandelt wurde, und im Falle von sexuellen Übergriffen die Täter besser geschützt werden als die Opfer.
    So wurde in einem Fall, einem rechtskräftig zu mehr als 4 Jahren Haft verurteilten Sexualstraftäter nicht, wie angekündigt, die Trainerlizenz entzogen, und bisher auch keine Turniersperre verhängt, weil man seine Existenz nicht ruinieren will…


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