Pferde in der Ukraine – eine unübersichtliche Lage

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer hat zur Lage in der Ukraine recherchiert.

Wenn diese Zeilen im Netz stehen, hat der Großangriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew vielleicht schon begonnen. Die TV-Sender berichten heute, 1. März 2022, von 60 Kilometer langen Schlangen russischer Panzer Richtung Metropole. Seit vergangener Woche tobt in Europa ein Krieg und beherrscht all unsere Gedanken. Menschen verkriechen sich in U-Bahn-Schächten, fliehen vor Putins Bomben, andere leisten tapfer und entschlossen Widerstand. Unsere heile Welt, unser mentaler Ponyhof, wo wir uns so trefflich aufregen konnten über zu wenige Tritte in der Piaffe, über eine ungerechte Fohlenbeurteilung, eine Pferdenase hinter der Senkrechten – alles so weit weg und sowas von egal. In einem Nachbarland der EU sterben Menschen, brennen Häuser und stürzen Brücken ein, eine neue Realität wurde uns aufgezwungen. Und das betrifft natürlich auch das Leben der Reiterwelt und ihrer Pferde.

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Comme il faut und Cornet Obolensky

Der Kontakt zu ukrainischen Pferdeleuten ist zur Zeit naturgemäß schwierig. In der Hengststation Hubert Vornholt in Münster-Wolbeck wurde am Donnerstag der 18-jährige Comme il Faut für die Decksaison zurückerwartet. Der von Marcus Ehning zu EM-Teamsilber gerittene Cornet Obolensky-Sohn sollte vom Gestüt seines Besitzers in der Ukraine, 150 Kilometer südlich von Kiew, gen Westfalen reisen, wo er die Saison über für die Frischbesamung aufgestellt werden sollte. „Comme il Faut steht aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine nicht zur Verfügung“ ist seit Montagmittag lapidar in roten Lettern auf der Website der Station zu lesen. „Wir kriegen ihn nicht heraus“, sagt eine Mitarbeiterin. Die Reise war genau einen Tag zu spät geplant. Es gibt keine LKW-Fahrer, denn Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine nicht verlassen, sondern müssen sich zum Militär melden, um ihr Land zu verteidigen. Auch der inzwischen 21-jährige Cornet Obolensky steht auf dem Gestüt. Von seiner Boxe aus kann er die Panzer rollen hören. Auf der einzigen Straße, die zur Grenze führt, ist zur Zeit kein Platz für Pferdetransporter, dort rollt die Kriegsmaschinerie. Überflüssig zu sagen, dass derzeit kein geordneter Samenversand der beiden Top-Vererber möglich ist. Das Gestüt arbeitet eng mit dem Westfälischen Pferdestammbuch zusammen. In der Ukraine stehen 200 Pferde. 50 Fohlen sollen dort in diesem Frühjahr zur Welt kommen, die alle westfälisch eingetragen werden. Wie viele der rund 30 Mitarbeiter sich noch um die Pferde kümmern können, wisse er nicht, sagt Carsten Rotermund, Vermarktungsleiter des Pferdestammbuchs. Und ob Menschen und Pferde schon in Lebensgefahr sind auch nicht.

Alle Turniere in Russland und Belarus gestrichen

Die Politik hat Sanktionen verhängt und auch der Sport will nicht tatenlos zusehen. Die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) strich, wie viele Sportverbände vor ihr, alle russischen Turniere aus dem Terminkalender, 49 an der Zahl. Auch Seminare, Zuwendungen des Solidaritätsfonds und andere Entwicklungsprojekte wurden vorläufig gestrichen. Stattdessen legte das FEI-Exekutiv Board einen Hilfsfond von einer Million Schweizer Franken für die ukrainische FN auf, um Rettungsmaßnahmen wie Evakuierungen zu finanzieren.

Der gesamte russische Pferdesport wird quasi aus dem Reiterverband ausgeschlossen. Das gilt auch für das mit Putin verbündete Belarus. Ob auch Personen aus diesen Ländern, also Reiter und Offizielle, gesperrt werden, so wie es das Internationale Olympische Komitee (IOC) empfiehlt, werde in wenigen Tagen entschieden, so eine Pressemitteilung der FEI. Die Sperren werden voll von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) übernommen. Zwar seien russische Turniere nicht die erste Priorität deutscher Reiter, „aber auf unseren deutschen Turnieren reiten etliche Russen, entweder mit Gastlizenz oder weil sie hier ständig leben“, sagt FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach.

Sperrt die FEI diese Reiter international, dann seien sie automatisch auch für nationale Turniere gesperrt, so Lauterbach.

Auch die Europäische Equestrian Federation (EEF), deren Mitglied die Ukraine ist, sieht nicht tatenlos zu. Der EEF-Präsident, der Belgier Theo Ploegmakers, steht in engem Kontakt mit der dortigen FN und versucht derzeit, die Evakuierung von Pferden aus den Kriegsgebieten zu organisieren. Dazu ist er auf Hilfe aus Brüssel angewiesen. „Die EU muss zustimmen, aber es gibt dabei Probleme“, sagt er, „denn die Pferde brauchen Papiere, um die EU-Grenze zu passieren. Und die können nicht vom Reiterverband, sondern nur von den Veterinärbehörden ausgestellt werden.“ Zur Zeit bemüht er sich, Quarantänestationen in den angrenzenden Ländern wie Polen, Slowenien Rumänien und Bulgarien zu organisieren. „Dort könnten die Pferde eine Zeitlang bleiben, aber die nächste Aufgabe wird sein, für sie Ställe in anderen EU-Ländern zu finden.“ Auch für die Menschen, die die Pferde begleiten, müssen Vorkehrungen getroffen werden. Das alles kostet Geld, die zugesagte FEI-Hilfe ist vermutlich erst der Anfang.

Und selbst wenn die EU grünes Licht gibt, hält Ploegmakers in der derzeitigen Situation Pferdetransporte für „absolut unmöglich“. Das gehe nur, bei einem „Cease Fire“, also einer Waffenruhe. Doch darauf wagt er so schnell nicht zu hoffen.

Im Internet bittet die FN der Ukraine um Hilfe, schildert die verzweifelte Lage der rund 100.00 Pferde und ihrer Betreuer und bittet um Spenden: helpukrainehorses.euair jordan 1 low outlet | 2018 nike air force 1 mid just do it white black orange bq6474 100

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.


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