Das Glück der ersten Tage

Von
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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

Für den Züchter ist das Frühjahr die Erntezeit. Wenn die Fohlen zur Welt kommen und er sieht, ob er alles richtig gemacht hat. Und noch jedes Fohlen ein Kracher zu werden verspricht. Die Ernüchterung kommt später.

Mitten im Corona-Trübsinn gibt es auf einmal Tage, an denen die Welt wieder in Ordnung ist. Sozusagen alles wieder auf Null gestellt wird. Gefühlt kann es nur noch besser werden. Für die meisten Pferdezüchter, auch für mich, ist es der Tag, an dem nach elf Monaten Warten endlich ein gesundes Fohlen im Stroh liegt. In meinem Fall in Stutfohlen, wie bestellt!

Es steht, erst wackelig, dann immer sicherer, es findet irgendwann das Euter und säuft, um sich danach entspannt wieder schlafen zu legen, am liebsten auf der Seite, ein Vorderbein angewinkelt. Die Nachgeburt ist runter, ein paar Stunden später auch das Darmpech – alles paletti. Stute, Fohlen und Züchter sind erschöpft aber glücklich. Und am nächsten Morgen, beim ersten Ausgang, läuft der Neuankömmling, der vor ein paar Stunden noch zusammengefaltet im Mutterleib schlummerte, schon schneller als jeder Mensch.

Dieses ganz alltägliche kleine Wunder macht mich jedes Mal fassungslos. Und ich denke, es geht meinen Züchterkollegen nicht anders.

Sorgenfreie Zeit

Es sind die Tage ungetrübter Freude, die Sorgen kommen später. Wird das Fohlen groß genug? Wahrscheinlich ja, mit den langen Beinen bekäme es beim Germany’s Next Top Model jedes Mal ein Foto. Steht es gerade auf den Beinen? Zum Glück auch. Also kein mühsames Korrekturraspeln in den ersten Monaten und Jahren. Wie bewegt es sich? Der Schritt ist ja bei allen Fohlen mit gewaltigem Übertritt, auch das ist den überlangen Gliedmaßen geschuldet. Wie sie trabt, behält meine kleine Stute im Moment noch für sich, aber der Galopp, in dem sie in großen Kreisen um die Mutter fegt, schreit nach Badminton. Bilde ich mir jedenfalls ein.

Fohlen machen immer das, was sie am besten können, höre ich meine Freundin sagen. Also eher keine Bella Rose. Wenn sie dafür einen feinen Satz über die zufällig herumliegende Stange macht, dann ist der Ruf aus dem Busch nicht zu überhören. Und erst die „Ausstrahlung“, die ja heutzutage ein Synonym für einen hübschen Kopf ist: Großes Auge, wie der Vollblut-Vater, schon mal gut. Nach innen gebogene Stirn-Nasenlinie, kein Wunder bei dem vielen angloarabischen Blut in der Mutterlinie.

Prinzip Hoffnung

Ich glaube, es sind diese ersten Tage, in denen sich die Hoffnungen ungebremst in unsere Seele drängen, die uns „kleine Züchter“, und das sind ja die meisten, bei der Stange halten. Die uns sofort überlegen lassen, welcher Hengst es nächstes Mal sein soll. Nochmal derselbe oder doch mal einen anderen probieren? Wir nerven Freunde und Fachleute unseres Vertrauens mit Anpaarungsdiskussionen, verbringen Stunden vor dem Rechner, um im Internet nach dem passenden Partner für unsere Stute zu stöbern, etwa bei Horsetelex, wo man in den Pedigrees bis zurück ins Mittelalter wühlen kann, bei der FEI-Datenbank, wo man sieht, wie sich die Verwandtschaft im Sport schlägt, ja und auch im digitalen Jahrbuch Zucht der deutschen FN, das allerdings an die beiden erstgenannten nicht rankommt.

Kleine Unvollkommenheiten können wir uns jetzt noch schön reden: Wächst sich alles aus, versichern wir uns. Man staunt ja, was sich tatsächlich noch alles auswächst.

Manche Fohlen werden im Laufe des Erwachsenwerdens so grottenhässlich, dass man wünscht, sie gehörten einem nicht. Da muss man einfach durch und seine ganze Loyalität bemühen, man hat ja eh keine Wahl. Und darauf vertrauen, dass der Dreijährige dann wieder Ähnlichkeit mit dem wunderschönen Fohlen bekommt, das er einst war.

In diesen frühen Tagen ist jedes Fohlen noch zu Höherem berufen, die Ernüchterung kann warten. Drei Jahre später, wenn das junge Pferd die ersten Schritte unter dem Sattel macht, kommt der Moment der Wahrheit: Ist es klar im Kopf oder vermutet es hinter jedem Busch ein pferdefressendes Ungeheuer? Ist der TÜV gut genug, um das Pferd reinen Gewissens anzubieten?

Da warten zuweilen böse Überraschungen, das Schreckenswort heißt „Chip“. Raketenschnell rast der Verkaufspreis in den Keller. Und dann die ersten Freisprünge. Hängebein oder schön gewinkelt? Macht er hinten auch richtig auf? Kann er höher, oder ist bei 1,10 Meter Schluss? Scheint unser Hoffnungsträger sich regelrecht vor den Stangen zu ekeln, oder scheppert er auch beim dritten Versuch noch ungerührt über die Stangen, bis die Bande bebt?

Daran denken wir heute, in diesen sorglosen Frühlingstagen noch nicht. Vielleicht wird aus dem Olympiasieger und Aachen-Starter doch „nur“ ein feines Reitpferd, das seinem Besitzer zwar keine Schleifen, aber jede Menge Freude bringt. Auch nicht schlimm.nike air force 1 uv color change da8301 100 101 release date | how often does nike release jordan 1

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.