Moment mal! CHIO Aachen 2023 mit Sternstunden und Visionen

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Die einen sind zufrieden, wenn ein paar Scheichs auf goldenen Stühlen sitzen oder Fürstlichkeiten hold von der Tribüne winken. Der Aachen-Laurensberger Rennverein (ALRV) hat seine Aachener, die für Stimmung sorgen, die man woanders lange suchen muss, 40.000 an manchen Tagen. Und es soll Reiter geben, denen das nicht egal ist.

Aachen 2023 ist Geschichte, wie immer brauchten wir eine Stunde, bis wir uns am Sonntagabend durch das Chaos des allgemeinen Aufbruchs gewühlt und auf der Autobahn wieder freie Fahrt hatten. Der letzte CHIO-Tag war eine echte Herausforderung. Schon vormittags schoben sich die Menschen auf Tuchfühlung durch die Gassen der Ausstellung, nutzten die Last-Minute-Rabatte für ein paar neue Gamaschen, einen schicken Blouson fürs Après-Ride oder doch ein buntes Sommerfähnchen (obwohl der Hochsommer ja gerade pausierte).

Wir Journalisten durften mit dem Parcoursassistenten vor dem Großen Preis den Kurs einmal abgehen. Wenn man vor diesen veritablen Einfamilienhäusern steht, wächst die Hochachtung vor dem, was Reiter und Pferde da leisten, ganz ungemein. Im Parcours tummelte sich so ziemlich alles, was zur Szene gehört, jetzt, vor 20 Jahren oder vielleicht auch erst in 20 Jahren. Ich entdeckte Ulrich Kirchhoff, den Olympiasieger von 1996. Er war quasi professionell in Aachen. Der britische Olympiasieger von 2021, Ben Maher, durch eine Schulterverletzung ein paar Wochen außer Gefecht, hatte ihn angerufen, ob er seine Pferde zwischenzeitlich trainieren könnte. Seitdem fliegt Kirchhoff von seinem italienischen Domizil regelmäßig nach England, um Hilfestellung zu leisten.

Große Freude von allen Seiten für Ehning

Der Große Preis von Aachen war entschieden, der Name des Siegers schon in die große Tafel am Einritt graviert, noch bevor Marcus Ehning auf dem zwölfjährigen Hengst Stargold – welch passender Name für den heutigen Tag – zur Ehrenrunde galoppierte. Auf dem Abreiteplatz hinter der Tribüne wurde er schon sehnsüchtig erwartet. Da stand seine Frau Nadia, einst Weltmeisterin im Voltigieren, mit den vier Kindern. Den großen Moment des Vaters hatten sie live miterlebt: Wie Ehning als letzter Starter im Stechen mit einer souveränen Runde nach 2006 und 2018 zum dritten Mal den Großen Preis von Aachen, einen Klassiker des internationalen Springsports, gewann. Die Stimmung war bombig, nicht nur bei Familie Ehning. Alle kamen, um zu gratulieren, zu umarmen, die Reiterkollegen, die deutschen Funktionäre, Bundestrainer Otto Becker, der sich für Ehning freut, als hätte er selbst gewonnen. Der musste von Mikrophon zu Mikrophon, von Handy zu Handy eilen und immer wieder erzählen, wie es kam, wieviel dieser Erfolg ihm bedeutet, nach Jahren, in denen nicht alle Blütenträume reiften. Das sind die schönsten Momente, auch für uns Sportreporter.

Zehn Meter weiter neben der allgemeinen Gratulantenschar stand ein Mann allein, ruhig und nachdenklich. Die Locken sind grau geworden in den 40 Jahren, in denen Ludger Beerbaum den Springsport prägte, als Supertalent, als Leitwolf der Springreiter, als Gewinner fast aller Großen Preise und Titel, als Widerspruchsgeist, der es sich und den Funktionären nicht immer leicht gemacht hat, als Trainer, Pferdehändler und Turnierveranstalter. Am 23. August wird er 60. Soeben hatte er den Entschluss gefasst, seine internationale Sportkarriere zu beenden. Er hatte es nur wenigen Menschen gesagt, seine Frau wusste davon, auch seine Mäzenin Madeleine Winter-Schulze und die Aachener Turnierleitung. Denn es sollte ein würdiger Abschied werden, in der mit 40.000 Menschen vollbesetzten Soers, vor dem Abschied der Nationen, für den traditionell die Zuschauer mit ihren weißen Taschentüchern winken. Die wurden am Sonntag besonders dringend gebraucht.

Eine großartige Sportwoche liegt hinter uns. Sie begann mit der Media Night, in deren Rahmen das Silberne Pferd verliehen wurde. Früher ein Preis für professionelle Medienvertreter, wird es seit fünf Jahren ausschließlich für Online-Medien verliehen, um jüngere Akteure zu motivieren und auch ambitionierten Amateuren ein interessantes Betätigungsfeld zu eröffnen. Das ist ein löbliches Unterfangen. Aber um keine Verwirrung zu den klassischen Medien mit ihrem Anspruch an Sprache und Qualität aufkommen zu lassen, sollte man vielleicht das Silberne Pferd auf die erste Kategorie beschränken, professioneller Qualitätsjournalismus passt nicht mehr ins Konzept.

Weltreiterspiele in Aachen 2026?

Wie noch sehr zurückhaltend gemunkelt wird, kann man sich in Aachen vorstellen, 2026, also in drei Jahren, einmal mehr Weltmeisterschaften auszurichten, vielleicht sogar in allen fünf Disziplinen, die jetzt schon beim CHIO zu Hause sind: Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Fahren, Voltigieren plus Para-Dressur. Das wären dann quasi Weltreiterspiele reloaded, ohne Reining, das sich ja von der FEI getrennt hat, und ohne Distanzreiten, was auch keiner vermisst nach den Erfahrungen von 2006. Noch ist gar nichts entschieden, alles hängt von den Verhandlungen mit der FEI ab, von etwaigen Mitbewerbern und ob man einen Vertrag zustande bringt, den alle unterschreiben können und wollen. Da Aachen bisher der einzige Veranstalter ist, der nach Weltreiterspielen nicht pleite war, wäre das wohl eine gute Idee.

Das Kapitel Totilas

Am Samstag konnte ich beobachten, wie Paul Schockemöhle den Buschis beim Abspringen half. Seine Expertise ist immer noch hoch gefragt. Das Kapitel Totilas scheint jetzt endgültig abgeschlossen, erzählte er mir später. Nachdem Kees Visser, Verkäufer des „Wunderhengstes“ ,auch den Prozess in den Niederlanden verloren hat, und seine Millionenforderung an Schockemöhle zurückgewiesen wurde, ließ er in der vergangenen Woche den restlichen Samen von Totilas, den er zurück gehalten hatte, nach Mühlen bringen. Dazu hatten ihn die Gerichte verpflichtet. „Ich muss jetzt erstmal sehen, ob man den überhaupt noch verwenden kann“, sagt Paul Schockemöhle. „Ich glaube nicht.“ Totilas -Samen, der mit dem Hengst beim Verkauf nach Mühlen gekommen war, musste wegen ansteckender Keime vernichtet werden. Visser hätte noch in Berufung gehen können, Schockemöhle rechnet nicht damit, dass es dazu noch kommen wird.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.