Moment mal! Den Schreckschuss gehört

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Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Prompt reagierte die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) auf den Brandbrief dreier „Shareholder“-Clubs, als Antwort auf die Skandalvideos im Fall des Dressurreiters Cesar Parra. Sie lud die Absender zum Gespräch, im April beim Weltcupfinale in Riad.

So deutlich hat das noch keiner gesagt. „Es ist die eine Sache, aus den Olympischen Spielen hinausgeworfen zu werden, um für neue Sportarten Platz zu machen, und eine ganz andere, wenn man wegen vermeintlicher Grausamkeit und ungebührlichen Verhaltens rausfliegt“, heißt es in einem Brief von Dressurreitern, Trainern und Offiziellen an den FEI-Präsidenten Ingmar de Vos und Generalsekretärin Sabrina Ibañez. Er bezieht sich auf die jüngsten Videos von tierquälerischen Trainingsmethoden im Stall des für die USA startenden Kolumbianers Cesar Parra, die nur wenige Wochen nach dem Skandal um den dänischen Dressurreiter und Pferdehändler Andreas Helgstrand publik wurden. Zu diesem ungewöhnlichen Schritt entschlossen sich die drei internationalen Clubs der Trainer, Dressurreiter und Offiziellen nach Gesprächen am Rande der Fünfsterne-Dressurrichter-Tagung in Hamburg. „Wir mussten etwas unternehmen“, sagte mir Klaus Röser, Vorsitzender des Dressurausschusses des Deutschen Olympiade Komitees für Reiterei (DOKR) während des Weltcupturniers in Neumünster, „es geht ja so nicht weiter“. Röser ist auch Generalsekretär des internationalen Dressurreiterclubs (IDRC), Präsidentin Isabell Werth hat den Brief mitunterzeichnet.

„Unser Sport ist ernsthaft in Gefahr“

Das Bild, das der internationale Dressursport derzeit in der Öffentlichkeit abgibt, könnte seine olympische Zukunft gefährden. Zu dem Schluss kommen die Unterzeichner des Brandbriefes an die FEI. Das IOC hat bisher keine Stellung bezogen, wie Röser versichert, soweit sollte es die FEI auch nicht kommen lassen. Aber der Schreckschuss ist erstmal losgegangen. „Unser Sport ist ernsthaft in Gefahr“ heißt es in dem Brief, „Sie kann das Ende der Dressur und Paradressur als olympische Disziplinen und das Ende seiner olympischen Zukunft bedeuten, wenn wir nicht aufpassen.“ Die Unterzeichner fordern die FEI auf, angemessene gerichtliche Schritte zu ermöglichen, um zu zeigen, dass die FEI als Spitzenverband „Zähne hat, die zubeißen können.“ Die FEI habe prompt reagiert, sagt Röser. Beim Weltcupfinale in Riad will man sich zusammensetzen. Das ist noch eine Weile hin, Mitte April.

Es fällt schwer, die beiden Fälle, Helgstrand und Parra, nicht in einem Atemzug zu nennen. Allerdings übersteigen die Bilder im Fall Parra an Grausamkeiten alles, was bisher von Pferdetraining gefilmt wurde. Die Versicherung der Dressurszene, Helgstrand und Parra seien Einzelfälle, klingt mit jedem neuen Video, das im Netz auftaucht, unglaubwürdiger. Doch anders als Andreas Helgstrand, der auf den Videos aus seinem Stall selbst nicht zu sehen ist und der bisher nicht vom Weltverband FEI suspendiert, sondern lediglich aus dem dänischen Olympiakader und damit von den Spielen in Paris ausgeschlossen wurde, haben die zuständigen Verbände im Fall Parra schneller reagiert. Die FEI suspendierte ihn sofort auf unbestimmte Zeit, damit ist er automatisch auch von nationalen Prüfungen in den USA ausgeschlossen.

Was versprechen sich Menschen von derartigen Grausamkeiten? Den Versuch einer Erklärung gibt Thies Kaspareit, Mannschaftsolympiasieger 1988 und heute Ausbildungsleiter der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN): „Damit sollen spektakuläre Bewegungen erzielt werden. Das geht auf Kosten der Harmonie, die ein richtig ausgebildetes Pferd ausstrahlt.“ Solange spektakuläre Bewegungen belohnt würden, werde nach Mitteln und Wegen gesucht, diese zu erreichen, so Kaspareit. Belohnt werden exaltierte Bewegungsabläufe durch das Publikum, das tobt, je mehr ein Pferd durchs Viereck strampelt, und durch Richter, die den Blick für ein nach den klassischen Regeln ausgebildetes Pferd oft verloren haben. Wenn sie ihn je hatten.

Hysterie ohne Augenmaß

In dieser erhitzten Atmosphäre fällt es manchen sichtlich schwer, Augenmaß und einen kühlen Kopf zu bewahren. Möchtegern-Fachleute trieben sich auch beim Turnier in Neumünster in der Abreitehalle herum und filmten alles, was ihnen vors Handy kam, auf der Jagd nach Bildern, mit denen sie in den Sozialen Medien Klicks generieren konnten, die Währung, die zählt. Sie wurden fündig bei Matthias Rath, der seinen Totilas-Sohn Thiago mitgebracht hatte, um ihn nach der Decksaison wieder an den Turniertrubel zu gewöhnen. In den Weltcup-Prüfungen ritt er den Fuchs Destacado, arbeitete Thiago nur in der Abreitehalle. Man sah ein deutlich beigezäumtes Pferd, der Kandarenzügel hing durch, der Reiter führte ausschließlich mit dem Trensenzügel. Ab und zu war die Zunge zu sehen, hing aber nicht heraus. Der Reiter trabte meistens leicht, zumindest auf der kurzen Video-Sequenz, der Hengst ging kadenziert und taktmäßig, man sah keine überdeutliche, geschweige denn grobe Hilfe.

Natürlich war das Bild nicht ideal, dazu hätte die Nase vor die Senkrechte gehört, sie war deutlich dahinter, aber es handelte sich auch nicht um einen Fall von verbotener Rollkur. Dazu ist gut zu wissen, dass ein Hengst, der eben auch seinen Hormonen gehorcht, vielleicht auch wieder an konzentrierte Arbeit unter dem Sattel erinnert werden muss. Das geschah in Neumünster durch Raths ruhige, bestimmte Arbeit, der Hengst wirkte zufrieden und aufmerksam. Auf Instagram wurden die Bilder mit entsprechend negativen Kommentaren publiziert. „Wenn wir so nicht mehr reiten dürfen“, sagt Klaus Röser, „dann können wir es gleich drangeben.“ Das wäre nun auch keine Lösung. Und es bleibt nur die Empfehlung an die Reiter, nie zu vergessen, dass sie unter Beobachtung stehen, alle, auch die, die sich nichts zuschulden kommen lassen. Denn nicht jedem, der ein Handy bedienen kann, ist es gegeben zu differenzieren, zwischen Tierquälerei und vernünftiger Ausbildung, zwischen einem konzentriert arbeitenden Pferd und einer gequälten Kreatur.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Astrid

    Es ist richtig und wichtig, dass diese Art der Reiterei, wie sie (vermutlich u.a.) von den Herren Parra und Helgstrand bzw. dessen Bereitern betrieben wird, endlich grundsätzlich und tiefgreifend ausgemerzt wird zugunsten einer vielleicht weniger spektakulären, dafür aber harmonischen Dressurreiterei, die dafür aber Pferde entsprechend ihrer individuellen Begabung fördert (und nicht überfordert) und deren oberstes Ziel die Zufriedenheit und Gesunderhaltung der vierbeinigen Sportpartner ist.

    Dass allerdings eine Isabell Werth einen solchen Brief unterschriebt, ist doch reichlich zynisch. Immerhin hat sie sich (zusammen mit Ludger Beerbaum) ganz bereitwillig im Januar 2024 und damit nach Bekanntwerden der Zustände bei Helgstrand Dressage von Herrn Helstrand nach Wellington einladen lassen, um dort an einem „clinic“ ihre Reitkünste zum Besten zugeben. Zudem hat sie eines seiner besten Pferde übernommen, nachdem Hr. Helgstrand dieses nun erstmal auf absehbare Zeit nicht auf Turnieren vorstellen darf.

    Für mich sieht das alles sehr nach Augenwischerei und Lippenbekenntnissen aus, und solange schlechtes, aber spektakuläres Reiten auch weiterhin auf höchstem Niveau belohnt wird, glaube ich nicht an den Willen zur Veränderung.

  2. Lena Santabalbina

    Mir scheint auch nicht jedem, der am Funktionärstisch sitzt, ist die Fähigkeit gegeben, zwischen korrekter Ausbildung und gequälter Kreatur zu unterscheiden. Was hier Einzelfall und die Regel ist sollte man lieber einer genaueren Betrachtung unterziehen.

  3. RS

    Ach ja…. das wievielte Mal ist das jetzt, dass man dies hektisch überdenkt und strenger regeln will? Und was hat es genutzt in den vergangenen rund 20 Jahren?
    Das ursächliche Übel ist doch, dass die sportlicher Vermarktung und die damit zusammenhängende, von Geld überschwemmte Reitsportindustrie die moralischen und ethischen Grundwerte nur allzu schnell hinten anstellt. Wirtschaftliche Zwänge von erwartungsvollen und geldpotenten Kunden, für die das Pferd ein bloßes Investitionsobjekt ist, wollen zufrieden gestellt werden. Überehrgeizige Eltern und Sporttrainer die Erfolg im Sattel nur noch an Placierungen fest machen, bringen die jungen Reiter.innen ganz schnell dahin zu lernen, „wenn das Pferd auf dem Turnier nicht funktioniert muss eben ein neues, besseres her“. Die Zucht liefert stets Nachschub mit noch mehr Gang, noch mehr „Rittigkeit“ noch mehr Sprungvermögen. Der Markt freut sich. Sich mit den reiterlichen Herausforderungen fachlich korrekt und reflektiert auseinander zu setzen, wer macht das schon, wer lehrt sowas noch, wer kann sowas überhaupt noch?
    Neindorffs sinngemäßes Credo, „wenn das Pferd nicht funktioniert suche den Fehler zuerst bei dir. Und wenn du nicht fündig wirst dann suche gründlicher“ wird doch heute nur noch müde belächelt und mit dem Scheckheft (kurzfristig) vom Tisch gefegt.
    Fast ist man gewillt zu sagen, das „sportliche“ Wettbewerbsreiten sollte komplett eingestellt werden, bevor das Reiten durch Gesetze in Gänze verboten wird. Es wäre zu schade um die wahrhaftige Reitkultur und Reitkunst. Die nicht reitende Öffentlichkeit wird diese Differenzierung dann leider nicht mehr machen.


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