Moment mal! Gefundenes Fressen für Gloria

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Obwohl sie mehr als 100 Weidetiere gerissen hat – die Angaben schwanken zwischen 90 und 140 – und dabei mindestens siebenmal einen angeblich sicheren Schutzzaun überwunden hat, darf die Wölfin GW965f, besser bekannt als Gloria, nicht geschossen werden. Ihre Opfer sind Schafe, Rinder und Ponys – für die Richter des Oberverwaltungsgerichtes Düsseldorf leicht kompensierbare wirtschaftliche Schäden, für die das Tierschutzgesetz nicht gilt.

Die Stellung des Pferdes und anderer Tiere ist vom Gesetzgeber widersprüchlich geregelt, Tier ist nicht gleich Tier. Einerseits gilt es als „Sache“, wenn es in den Handel geht, andererseits sind „Tiere keine Sache und werden durch entsprechende Bestimmungen geschützt.“ (BGB §90a) Das sind etwa Bestimmungen zum Transport und der Haltung und betreffen die Grundforderung des Tierschutzgesetzes. Dort heißt es nämlich schon in Paragraf 1: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf, dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Wann ein Grund, ein Tier zu quälen und zu töten vernünftig ist, müssen notfalls Gerichte entscheiden. Eines hat in der vergangenen Woche entschieden, das Düsseldorfer Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Nordrhein-Westfalen, bereits das zweite Gericht nach dem Verwaltungsgericht Düsseldorf, das sich mit der Wölfin, die in der Bevölkerung den hübschen Namen Gloria trägt, beschäftigen muss. Sie soll in den letzten Jahren im Raum Schermbeck (Niederrhein) bis zu 140 Weidetiere – Schafe Rinder und Ponys – gerissen und dabei mehrere auch angeblich sichere Schutzzäune überwunden haben, auch Weiden, in denen Schutzhunde die Herde bewachen sollten. Die Wölfin mit der amtlichen Bezeichnung „GW965f“ darf nicht geschossen werden. Damit wies das Gericht in einer Eilentscheidung eine bis zum 15. Februar befristete Ausnahmegenehmigung des Kreises Wesel zurück. Begründet hatte der Kreis die Abschusserlaubnis mit der Gefahr, dass die Wölfin weitere Weidetiere reißen und damit erhebliche landwirtschaftliche Schäden verursachen könnte. Dem widersprach das OVG.

Tierschutz versus Artenschutz

Als erstes fällt auf, dass in dem gesamten Prozess immer nur von wirtschaftlichen Schäden die Rede ist, die gegen den Artenschutz aufgewogen werden und die nach Meinung der OVG-Richter leicht kompensierbar seien, vom Steuerzahler versteht sich. Nie ist auch nur mit einem Wort die Rede von den Tieren – inzwischen ja auch vielen Pferden –  zwischen Brandenburg und Nordsee, die aufs grausamste zugerichtet, bei lebendigem Leib gefressen oder noch Stunden lang mit heraushängenden Gedärmen dahinsiechen müssen. Ist so viel Tierleid mit ein paar Euros „kompensierbar“? Da machen es sich die Richter aber verdammt leicht. Oder haben sie Angst vor dem Unmut von Teilen Bevölkerung und entscheiden deswegen lieber populistisch? Gilt für Weidetiere der Paragraf eins des Tierschutzgesetzes nicht?

Sind manche Tiere gleicher als andere? Die, für deren Wohl wir verantwortlich sind und die, die ruhig leiden dürfen für den höheren Zweck? Sind all die hilflosen, von Wölfen gemeuchelten Kreaturen keine „Mitgeschöpfe“? Natürlich werden auch andere Tiere, Rehwild, Damwild, von Wölfen gerissen, aber sie haben in der Regel eine Chance zu fliehen. Meist bleibt dann das schwächste Tier auf der Strecke. Das mag man als natürliche Auslese hinnehmen. Aber die Chance zu fliehen haben Schafe, Rinder und Pferde nicht. Sie werden in die Enge getrieben und können nicht weg aus ihren elektro-eingezäunten Weiden, in der sie eigentlich vor Angreifern geschützt sein sollten. Gelingt es ihnen doch, preschen sie in Panik durch die Gegend, rennen auf Straßen und Wege und werden so zur Gefahr für die Allgemeinheit.

Lukratives Geschäftsmodell

Es waren drei Tierschutzverbände, unter anderem der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die gegen die Ausnahmegenehmigung des Kreises Wesel vor Gericht gezogen sind, die alle drei für sich in Anspruch nehmen, sich für das Wohlergehen von Tieren zu engagieren. Verbände, die immer wieder Missstände in der landwirtschaftlichen Tierhaltung anprangern, sehr oft zu Recht. Aber wie glaubwürdig ist diese selektive Besorgnis um das Tierwohl? Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) verkauft Wolfspatenschaften und verdient daran. Offenbar soll das Geschäftsmodell nicht gefährdet werden.

Im Fall von GW965f wird zur Begründung vom Gericht der Artenschutz angeführt: Gloria sei die einzige Wölfin im Umkreis, sie sei dringend für die Vermehrung, sprich die Erhaltung des Wolfsbestandes, notwendig. Sonst was? Gäbe es im Kreis Wesel weniger oder vielleicht bald gar keine Wölfe mehr, was dem einen oder anderen Schäfer und Milchbauern wohl eine Flasche Sekt wert wäre. Dass die Wölfe in Deutschland aussterben, darauf sollte niemand hoffen dürfen, es leben inzwischen rund 1500 von ihnen zwischen Brandenburg und der Nordsee. Sie verdoppeln alle drei Jahre ungestört ihre Population und sind streng geschützt, auch wenn sie in manchen Regionen inzwischen ins Jagdrecht aufgenommen wurden. Ein paar Zahlen zum Vergleich: In Schweden, wo der Wolf nie ausgestorben war, leben auf 528.447 Quadratkilometern zehn Millionen Menschen, 29 pro Quadratkilometer. Im ganzen Land werden von den Behörden 300 Wölfe toleriert, die genügend Platz haben, sich fernab von Siedlungen und Höfen aufzuhalten. In Deutschland leben auf wesentlich kleinerer Fläche, 357.592 Quadratkilometern, 83 Millionen Menschen, 236 pro Quadratkilometer, also fast zehnmal so viele wie in Schweden. Hier kommt es naturgemäß häufiger zu Kollisionen zwischen Menschen, Autos, Weidetieren und Wölfen. Sind die Schweden weniger tierfreundlich, weil sie eine klare Linie ziehen, mit der alle leben können? Warum werden bei uns in Gebieten mit intensiver Weidehaltung keine wolfsfreien Zonen ausgewiesen, damit die ständige Angst der Tierhalter und die allgegenwärtige Bedrohung der Tiere endlich aufhört? Damit nicht Tiere in Ställen gehalten werden müssen, wo jeder weiß, dass die Weidehaltung die beste, natürlichste und gesündeste ist. Damit nicht Tierhalter vor unlösbare Aufgaben gestellt werden, indem sie ihre Tiere jeden Abend reinholen müssen und vom Hof entfernte Weiden nicht mehr nutzen können. Auch wenn es mancher nicht glauben will, für viele Tierhalter und ganz besonders für uns Pferdehalter geht es nicht nur um wirtschaftlichen Schaden. Sondern um „Mitgeschöpfe“, genauso wie es im Tierschutzgesetz steht. Die man nicht einfach dem Wolf zum Fraß vorwirft.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Anja Sieg

    Danke, Frau Pochhammer, für diese klaren Worte. Das Problem: Hier auf dieser Plattform und bei dieser Leserschaft, rennen Sie offene Türen ein. Die, die dieses Editorial lesen sollten, erreichen Sie leider nicht. Und deshalb müssen unsere Ponys nachts weiterhin im Stall bleiben statt im Offenstall mit Paddock.

  2. Jens

    Ein sehr kontroverses Thema, aber sehr gut argumentiert. Ich kenne nur Geschichten mit Schafen, bei uns in der ländlichen Region. Von Pferden habe ich noch nie gehört. Natürlich ist es für die Pferde, wenn sie den Wolf riechen, Stress auf der Weide und als Halter viel Arbeit.
    In diesem Sinne wünsche ich eine wolfsfreie Zeit.

  3. Ella Esdo

    SSS – Scharren, Schießen, Schweigen, sagte mal ein Jäger zu mir.

    Die Wölfin soll sich auch noch vermehren? gut dann lernen die Welpen sicher auch von ihr wie man über Zäune springt und dass man davor auch keine Angst haben muss. Ganz toll!

    Die Gerichte in Deutschland sind nur noch lächerlich und von der Regierung besetzt und gelenkt. Gewaltenteilung war gestern!

  4. Nica

    Homo Equis lupus!
    Im Ernst? Jetzt dieses Thema? Nebenkriegsschauplätze werden nur zu gern eröffnet, um vom Hauptproblem abzulenken und Kräfte zu splitten. Im Zentrum des Interesses sollten derzeit doch wohl die tierquälerischen Methoden im Umgang mit dem ´Sportpartner´ Pferd stehen. Mit Schlaufzügeln geknebelt, von trotzenden Kandarren gehalten, gebarrt, bis zum Sturz in die Bande getrieben, mit Peitschen geschlagen und an den Beinen gefesselt – den rüden Umgangsformen in der Ausbildung und auf dem Turnier kann das Pferd nicht entkommen. Zu viele Funktionäre, Richter und Pferdebesitzer schauen weg, tolerieren sie oder halten sie gar für geboten.
    Für Reporter vom Fach täte sich ein weites Feld auf. Sie könnten z.b. nachfragen, warum so manche bekannten Persönlichkeiten sich kaum zu den Missständen äußern und stattdessen Reit- und Gymnastikkurse posten. Sie könnten z.b. mal anhand von Videoanalysen herausfinden, wie sich die Gangbilder von Dressurpferden im Lauf der Zeit verändern. Trotz Training bei den besten Reitern des Landes stark taktende Piaffen, ungleiche Passagen, seltsam anmutende Vorderbeinaktionen ? – wie das, wo doch das Jungpferd in der Lage war, taktischer zu laufen? Sie könnten neue Diskussionsrunden wie z.b. die Barn net Connect Gesprächen von der Spoga besprechen oder Ausbilder vorstellen , die noch die klassischen Ziele der Reitausbildung verfolgen und den Pferden die Zeit zum Reifen lassen. Dies würde neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen und vielen zeigen, dass sie mit ihrer Kritik am derzeitigen Reiten nicht alleine sind. Sie könnten so manchen Skandal der Vergangenheit intensiver aufarbeiten. Zur Erinnerung: In Bayern erhielt ein bekannter Turnierreiter für das Schlagen seines Pferdes eine dreimonatige Turniersperre, die natürlich in die Winterpause fiel!
    Der Wolf erscheint – zumindest derzeit – nicht als der größte Feind des Pferdes im Alltag!

    • Britta

      Guten Tag,

      sagen Sie das doch mal den Eigentümern des gerissenen Trabers in Bayern ins Gesicht! Oder der Eigentümerin des gerissenen Fohlens in Hessen! Von den hunderten Besitzern von Schafen, Rindern, Puten, etc.! Wohl dem, der noch einen Stall….Haltungsklasse 1…..hat, indem er seine Tiere nachts einsperren kann! Die Mehrzahl der Pferdebesitzer hat den nämlich nicht! Da stehen die geliebten Tiere in Offenställen….so wie dies seit 50 Jahren von Tierschützern gefordert wird! Und jetzt dürfen wir zusehen, wie unsere Tiere vom Wolf bedroht werden! Und das weil im Umweltministerium Menschen sitzen, die Mitglied beim NABU/BUND sind und die Position als Lobbyisten für die Naturschutzverbände nutzen, um die finanziellen Pfründe zu schützen! ….und dabei sogar das ursprüngliche Anliegen, den Vogelschutz aufgeben, oder machen die so beliebten Wölfe einen Bogen um die Vogelschutzgebiete und räubern keine Gelege von seltenen Vögel?

  5. Anja Sieg

    @Nica. Im Ernst?? Haben Sie Pferde? Wenn ja, halten Sie diese am Haus?? Die Ausbildung von Dressurpferden und das, was dort schief läuft, ist ein Thema, ganz klar. Aber hier geht es um die Sorgen, die „normale“ Pferdehalter mindestens genau so, wenn nicht noch viel mehr, seit einiger Zeit beschäftigen. Dort, wo Wölfe Tiere reißen – auch Equiden – schläft es sich nachts nicht mehr so gut. Zumindest auf dem Land. Einfach mal drüber nachdenken!

  6. Stahlberg Hans-Christoph

    Die „Wolfsmanie“ habe ich nie verstanden, als Fan von Hélène Grimaud ist der Wolf ein spannendes Thema, aber Kanada ist nun mal ein weiteres Land als die EU

  7. Nica

    Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!
    Laut dem St. Georg – Bericht vom 12.10.23 gab es 2022 30 tote Pferde aufgrund von Wolfsüberfällen. Jeder einzelne Vorfall ist schlimm. Auch die vielen Schafe tun wohl jedem leid.
    Gerade weil Nutztiere dem Wolf zum Opfer fallen und der Aufwand, sie zu schützen, enorm geworden ist, wurde die Diskussion über den Wolf schon im April 2023 geführt. (Demonstration in Berlin am 28.4.23.)
    Unter den Leserbriefen zu dem entsprechenden Artikel finden sich weitere interessante Zahlen, die gerade angesichts des letztes Jagdopfers – am 9.2.24 hielt ein Jäger einen Haflinger für ein Wildschwein – nicht vergessen werden dürfen.
    Eine Leserin schrieb unter Berufung auf eine offizielle Seite:
    Regelmäßig werden Pferde, Kühe, Schafe und Hunde Opfer von Jägern, wie z. B.:

    – 23.02.23: Berner Sennenhündin beim Gassigehen mit Kopfschuss von Hochsitz aus getötet
    – 17.03.23: Hund in Jena beim Gassigehen von Jäger erschossen
    – 10.02.23: Jäger aus NRW erschießt 14jährige Stute auf Koppel in der Südpfalz
    – 01.02.23: Jagdhunde töten 15 Schafe bei Treibjagd in der Vordereifel
    – 05.01.23: Jäger erschießt versehentlich Galloway-Kuh in Plön (S-H), die gerade gekalbt hatte
    – 20.10.22: Jagdhunde greifen bei Drückjagd im Pfälzerwald Schafe an
    – 20.10.22: Drei Jagdhunde töten zwei Chihuahuas in Rheinland-Pfalz
    – 08.08.22: Jäger erschießt einen Hund unmittelbar neben einem Spielplatz mit Kindern in Starnberg
    – 22.07.22: Jäger erschießt Hund von Urlaubern in Unterfranken
    – 13.04.22: Jäger erschießt Rheinisch-Deutsches Kaltblut in Wohratal – mit Wildschwein „verwechselt“
    – 17.12.21: Jäger erschießt Golden Retriever in Erkrath (NRW)
    – 07.12.21: Jäger erschießt Hündin beim Gassigehen in Gelsenkirchen
    – 18.10.21: Jäger erschießt zwei Pferde auf Koppel in Wertheim – mit Wildschweinen „verwechselt“
    – 11.08.21: Jäger erschießt Quarter Horse in Usingen – mit Wildschwein „verwechselt“
    – 10.12.20: Jäger schießt auf Islandpferd in Ebersbach-Musbach – mit Wildschwein „verwechselt“
    – 02.12.20: Jäger erschießt zwei Hunde beim Gassigehen in Bensheim
    – 01.10.20: Jäger erschießt Stute Gina auf der Koppel in Rohrbach – mit Wildschwein „verwechselt“
    – 15.06.20: Jäger erschießt versehentlich Haflinger in Hanroth
    – 20.01.20: Jäger erschießt Esel auf Koppel in Bad Kreuznach – wollte eigentlich Wildschwein schießen
    – 18.10.19: Jäger erschießt Pferd in Lützkampen
    – 02.09.19: Jäger erschießt Fohlen in Blankenheim – mit Wildschwein „verwechselt“
    – 17.08.19: Jäger erschießt Pferd in Weiskirchen
    – etc. etc. etc.
    Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wer mehr Vorfälle lesen will, wird bei facebook schnell fündig. Die Jäger erhielten im Übrigen kaum Strafen.
    Quintessenz des Ganzen – mein Pferd steht über Nacht im Stall !


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