Moment Mal: Die Qual der Wahl

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

Ist das Fohlen geboren, plant der Züchter schon das nächste. Am liebsten mit eingebauter Olympiagarantie.

Das Frühjahr ist die Erntezeit des Züchters. Endlich ist das Fohlen geboren, liegt im Stroh und bemüht sich mit seinen langen Beinen aufzustehen. Irgendwann klappt es, wackelig noch, aber doch. Und nach ein paar Minuten, die dem ungeduldigen Züchter wie Stunden vorkommen (denn er will endlich ins Bett), hat es begriffen, dass sich die Milchbar nicht zwischen den Vorderbeinen der Mutter, sondern genau am anderen Ende befindet. Es säuft und zeigt sich zum ersten Mal in Gänze dem Auge des Betrachters. Der ist in diesem Moment in der Regel gnädig bis euphorisch. Tolle Schulter, klasse Kruppe, schickes Gesicht – das kann was werden. Und gerade steht es auch. Was noch nicht perfekt ist, kommt noch, ganz bestimmt. Und schon gehen die Gedanken des Züchters weiter, ins kommende Jahr. Nicht alle haben schon ganz feste Vorstellungen, wer der Vater des nächsten Fohlens sein soll und nur ganz wenige, hoffe ich, werden mit Blick auf die desolate Weltlage, auf Krieg, Inflation und Teuerung verzagen und die Stute nicht decken lassen. Doch da die meisten von uns hoffnungslose Optimisten sind, vertrauen wir darauf, dass es weitergeht, trotz explodierender Preise auch in der Pferdehaltung und der bangen Frage, wie viele Leute sich das teure Hobby Reiten in Zukunft noch leisten können.

Jetzt wird erstmal nach vorne geschaut. Das nächste Fohlen ist quasi das Apfelbäumchen des Züchters, das jeder Mensch noch kurz vor Weltuntergang pflanzen sollte (findet Martin Luther). Welcher Hengst soll es denn sein? Derselbe nochmal? Warum nicht, wenn das Fohlen gut gelungen ist. Und vielleicht wird es ja das nächste Mal ein Hengst/Stutfohlen, jedenfalls das Geschlecht, das man sich gewünscht und diesmal nicht bekommen hat.

Es beginnt die spannende Zeit der Partnersuche und die ist eindeutig komplizierter als in der Welt der Menschen. Dort gibt es Tinder oder Parship oder wie die digitalen Verkupplungsportale sonst heißen. Einmal wisch und weg, und schon ploppt der nächste Kandidat auf. Den Traumpartner für die eigene Stute herauszufiltern, ist entschieden mühsamer. Man weiß, was man züchten will, das ist ja in der Regel in der Stute schon vorgegeben, also Dressur, Springen oder der Busch. Gesucht wird ein Hengst mit eingebauter Olympia-Garantie. Schritt eins: Man durchforstet die Websites der Hengststationen und Verbände und macht eine Liste, nach Pedigree, Aussehen, Eigenleistung und Nachkommen. Olympiapferde darunter oder andere Grand Prix-Sieger? Das macht sich gut bei der Vermarktung. Passt das Blut zur eigenen Stute? Zieht er überm Sprung die Füße an? Wie bewegt er sich? Wobei Fotos und Videos natürlich nicht den Live-Augenschein ersetzen.
Hat man ein paar Namen notiert, fragt man seine besten und zweitbesten Freunde nach ihren Ideen. Die sind, wen wundert’s, bei jedem anders. Hengst X: „Von dem hatte ich ein paar, die waren alle total hysterisch.“ Beschäler Y: „Macht mit seinen Nachkommen die ganze Familie glücklich, leider oft etwas kurzbeinig.“  Hengst Z: „TÜV schwierig.“ Die Liste wird schnell übersichtlich.

Natursprung oder TG-Samen?

Je bewährter und erfolgreicher Hengste sind, umso unwahrscheinlicher ist es, dass man von ihnen Frischsamen bekommt. Oft bleibt nur der Griff in die Kühltruhe. Tiefgefriersperma (TG)  ist empfindlich und hält nicht lange. TG-Besamung muss ein Tierarzt können und bereit sein, unter Umständen mitten in der Nacht tätig zu werden, um den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Das ist nicht jedermanns Sache. Also keine Hofbesamung, die ja den Vorteil hat, dass Mutter und Kind zu Hause bleiben können und nirgendwo hingefahren werden müssen, also alle möglichen Risiken schon mal wegfallen, wie Transportverletzungen, Aufregung, fremde Keime.  Stattdessen führt der Weg zur nächsten Besamungsstation.

Bestellt man Frischsperma, kann es passieren, dass gerade keins da ist, wenn der Eisprung lockt, oder dass aus irgendeinem Grund die Qualität zu wünschen übrig lässt. Dann machen sich statt Millionen nur einige wenige bewegliche Spermien auf den Weg und ob einer von ihnen es bis zum Eileiter schafft, steht in den Sternen. Also empfiehlt sich, Hengst B oder C im Hinterkopf zu haben, um rechtzeitig umdisponieren zu können. Denn der ideale Zeitraum für Fohlengeburten ist kurz, zwischen März und Ende Mai sollte es schon sein.

Liegt das Problem bei der Stute, lohnt sich ein Versuch mit einem Hengst, der im Natursprung deckt. Das sind allerdings selten die Kracher, die alle Welt haben will. Ausnahmen gibt es, wie den legendären Capitol: Der tat’s nur mit Live-Stute und guckte das Phantom gar nicht erst an. Was uns lehrt: Zwingen kann man so einen zentnerschweren Hengst zu gar nichts. Wenn er nicht will, dann will er nicht. „Ich kann ihn schließlich nicht vorne hochheben“, sagt der Holsteiner Hengsthalter und -aufzüchter Jochen Ahsbahs. Das sollte man den so genannten Tierschützern, die überall Gefahr für das Tierwohl wittern, mal sagen.

Bleibt noch der Weg in die Welt der Labore und chirurgischen Eingriffe: Embryo-Transfer oder sogar OPU und ICSI, also die Entnahme des Eis und Befruchtung außerhalb des Mutterleibs. Teuer, riskant, aber oft die einzige Möglichkeit, von einer Sportstute ein Fohlen zu bekommen, ohne ihre Karriere zu beenden oder mindestens zu unterbrechen. Das Geschäftsmodell ist inzwischen ausgereift: Der Besitzer bringt die Stute zur Station und pachtet gleichzeitig eine Empfängerstute. Seine eigene Stute kann er nach der Embryo-Entnahme wieder mitnehmen und fürs nächste Turnier nennen, im Herbst des folgenden Jahres holt er den Absetzer ab, wenn er ihn nicht gleich zur Aufzucht da lässt und erst das fertige Reitpferd wieder in Empfang nimmt. Auch das ist Pferdezucht. Oder sollte man lieber von Produktion sprechen?

 

 

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Helmold Baron von Plessen

    Dass Pferdezuechter zu allen Zeiten bestebt waren und sind mit dem was sie produzieren, naemlich Fohlen, von denen sie hoffen, dass aus ihnen Leistungstraeger i.d. unterschiedlichsten Bereichen werden, Geld zu verdienen, ist legitim und soll auf keinen Fall kritisiert werden. Dass man dabei jedoch heutzutage in der Warmblutzucht fast immer mehr den Weg in die Labore einschlaegt und sich der damit verbundenen chirurgischen Eingriffe zur Fortpflanzung bedient, wie dieser Blog, sehr anschaulich darstellt, halte ich aus tierethischen Gruenden fuer fagwuerdig. Ganz zu schweigen, dass die Doppelbelastung durch Zucht und Sport, weder Stuten noch Hengsten i.d. Regel gut bekommt.

    • Doris

      Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Nicht alles, was möglich ist, ist gut für uns (und unsere Pferde etc.). Mancher Erfinder, und ich kenne einen solchen, bringt sein Produkt nicht auf den Markt, weil er sich der Folgen bewusst ist bzw. diese für unkalkulierbar hält. Ich ziehe meinen Hut vor solchen Personen! Auch wir Konsumenten/Kunden habe die Wahl. Die Nachfrage regelt das Angebot…manchmal ist es so einfach.


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