Moment Mal! Rückschau auf die Dressur-EM in Riesenbeck

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Tolle Tage nicht im Sinne von verrückten Tagen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes liegen hinter uns. Die Stimmung und vor allem der Sport bei den Europameisterschaften der Dressurreiter in Riesenbeck werden noch lange in jenen nachklingen, die es miterlebt haben.

Was für Tage! Ich glaube, ich habe noch nie ein Dressurchampionat mit so vielen fantastischen Ritten miterlebt wie am vergangenen Wochenende! Noch nie so viele persönliche Bestnoten wie bei dieser EM im sonnigen Riesenbeck. Das war schon olympische Qualität, die wir da zu sehen bekamen, zum Teil mit Pferden, die vor zwei Jahren hierzulande noch kein Mensch kannte, die aber im nächsten Jahr Geschichte schreiben können. Die bewährte fachliche Analyse haben Sie ja bei meinem Kollegen Jan Tönjes gelesen, von mir nur ein paar emotionale Randbemerkungen.

Die 16-jährige Dalera war nie besser. Wenn Jessica von Bredow-Werndl mit ihr im nächsten Jahr ins olympische Viereck eingaloppiert, ist sie 17 – genauso alt wie Gigolo unter Isabell Werth, als sie 2000 in Sydney mit Anky van Grunsven um Silber und Gold kämpften. „Ich bin meinem Pferd so unglaublich dankbar“, sagte Jessi. Und: „Ich nehme nichts für selbstverständlich.“

Konkurrentinnen

Bei der abschließenden Pressekonferenz lächelten die drei Kür-Medaillenträgerinnen – Europameisterin Jessica, Silber für Charlotte Fry, Bronze für Charlotte Dujardin – freundlich und strahlten breit, wenn es um ihre wunderbaren Pferde ging. Und doch lag mehr als nur ein Hauch von Ehrgeiz und Entschlossenheit in der Luft. Pressekonferenzen sind keine Damenkränzchen und Dressurreiten kein Zeitvertreib für höhere Töchter, sondern ein Sport, in dem nur die Richternoten von heute und morgen zählen.

Jessica und Dalera hatten ihre Konkurrentinnen nochmal auf Abstand halten können, der allerdings am Ende in der Musikkür nicht mal ein halbes Prozent betrug. Silber mit der Mannschaft, drei Siege, davon die Einzeltitel im Grand Prix Special und in der Kür, jeder Ritt mit einem neuen persönlichen Punkterekord – sie hat geliefert. Das erste Duell zwischen der Olympiasiegerin und der Weltmeisterin, der Britin Charlotte Fry auf dem zwölfjährigen Rapphengst Glamourdale, das Duell zwischen der Ballerina und dem Kraftathleten, ging ins bayerische Aubenhausen, da wo Jessica und ihre Familie ihr Leben der Dressur verschrieben haben.

Sie wäre gerne eher auf Lotti und Glamourdale getroffen, sagte sie, die die WM 2022 wegen der Geburt ihrer Tochter Ella verpasst hat, etwa beim Weltcup-Finale oder in Aachen. Aber da fehlte Fry oder sattelte ein anderes Pferd. Weil sie das Duell fürchtete oder ein wenig herauszögern wolle? Da kann sich jeder selbst seinen Reim drauf machen. Ein Grund mag auch sein, dass Glamourdale als gefragtes Vatertier in der Decksaison gerade anderes zu tun hatte.

Dies wird nicht das letzte Duell zwischen der amtierenden Welt- und der alten und neuen Europameisterin gewesen sein. Spätestens bei den Olympischen Spielen in Paris ist es wieder so weit. Dalera kann alles, hat alles gesehen und muss nichts dazu lernen. Die Stute gesund und bei guter Laune zu halten, darauf kommt es für Jessica jetzt an. Sie wird viel im Wald spazieren reiten und nicht zum Weltcup-Finale 2024 nach Riad reisen. Die Stute soll in Paris ihre Abschiedsvorstellung geben. „Ich habe Dalera im Frühjahr vor dem Flug nach Omaha versprochen, dass sie nie wieder in ein Flugzeug steigen muss“, sagte Jessica.

Musikalisches

Es werden auch in Paris wie in Riesenbeck Chansons von Edith Piaf die Kür untermalen. „Ich nehme immer Musik, bei der ich selbst eine Gänsehaut bekomme“, sagte Jessica, „Dann reite ich zu der Musik und fühle, ob auch Dalera sie mag.“ Sie mochte, auch wenn sie vermutlich keine Gänsehaut bekam. Und dass das französische Publikum am Ende im Takt mitklatschen wird wie das deutsche in Riesenbeck, davon kann man ausgehen.

Queens „Another One Bites The Dust“ dröhnte zu Frys Ritt aus den Lautsprechern. „Ich wollte einfach junge Musik machen, die zu meinem Alter passt, um auch die junge Seite der Dressur aufzuzeigen“, sagte die 27-Jährige mit Seitenblick auf ihre rund zehn Jahre älteren Konkurrentinnen. Spitzen so fein wie die gelegentlichen Sporenstiche in die Flanken der Pferde.

Die Kür von Charlotte Dujardin und dem erst zehnjährigen Imhotep begann mit Löwengebrüll. „Das passt zu ihm, er ist ein Kämpfer“, sagte sie. Auch Dujardin hatte einige Monate Babypause eingelegt, die sechs Monate alte Tochter reiste mit nach Riesenbeck. Ihr Mutterglück wollte die dreifache Olympiasiegerin niemandem vorenthalten, nahm die kleine Isabella sogar bei der Siegerehrung mit aufs Podium. Seit der Geburt ihres Kindes sei vieles für sie unwichtig geworden, sagte sie. Auch die Dressurnoten. „Ich glaube, ich bin eine ideale Mutterstute und kann es gar nicht erwarten, ein zweites Kind zu bekommen. Nach Paris.“

Mehr Dressur in Riesenbeck!

Das Geplänkel auf dem Podium war der Abschluss der grandiosen EM. „Die können hier auch Dressur“, sagte Isabell Werth nach dem Grand Prix, „sie sollten das einfach öfter machen.“

Sie, das waren Ludger Beerbaum und sein Team, die auf dem heiligen Rasen von Riesenbeck ein perfektes Sand-Viereck hatten anlegen lassen. „Mit etwas Bauchschmerzen“, sagte Ludger. Das gute Wetter kam ihm zu Hilfe, die Maschinen, die eine Stunde nach der letzten Siegerehrung den Sand wieder abfuhren, konnten nichts kaputt machen.

Die Para-Dressurreiter, die auf ihren tollen Pferden ebenfalls Unglaubliches zustande brachten, hatten ihre eigene makellose Sandarena. Und vielleicht hat Ludger ja doch mehr Lust auf Dressur bekommen, bei der Begeisterung der Zuschauer, die die Reiter zum Teil mit Standing Ovations aus der Arena begleiteten.

Der Sonntag war ausverkauft, es gab nur noch so genannte Flanierkarten, mit denen man durch die Ausstellung schlendern und das Geschehen auf der Leinwand beim Public Viewing verfolgen konnte. So man ein Plätzchen bekam. War schon erstaunlich, wieviel Platz ein einzelner Mensch auf einer Bank beanspruchen kann, wenn er oder sie es sich gemütlich machen will.

Impressionen abseits der Arena

Gerade die Pferdeleute reizte auch der Abreiteplatz. Vom Rand aus konnten man alle Vierecke einsehen, den größten Teil der Vorbereitung. Ich erinnere noch mit Grausen, wie die Abreiteplätze bei den Olympischen Spielen In London mit Stoffplanen verhängt waren, damit auch ja kein unbefugter Blick durchdrang. In Riesenbeck hingegen konnte man beobachten, wie einer immer und immer wieder die Aufgabe durchritt oder piaffierte bis der Arzt kommt.  Muss sich wohl was dabei gedacht haben. Andere machten ihr Pferde nur locker, ließen sie sich in die Tiefe strecken, so wie es in der ja inzwischen als Kulturerbe geschützten Reitlehre steht.

Eigentlich sieht man keine Rollkur mehr auf dem Abreiteplatz, jedenfalls nicht im einsehbaren Bereich. Da habe ich doch ungute Erinnerungen an Abreiteplätze, auf denen hochbepunktete Reiter und Reiterinnen ihre Pferde mit der Übung „Maul berührt Brust“ traktierten. Das ist ja inzwischen verboten, und in aller Bescheidenheit darf ich sagen, dass wir vom St.GEORG daran nicht unbeteiligt waren. Eine besonders elegante Silhouette, das Genick immer der höchste Punkt, bot Bluetooth unter Frederic Wandres. Wenn die Reiter wüssten, um wieviel schöner ihr Pferd wird, wenn das Genick oben und die Nase vor der Vertikalen ist!! Das sind nur ein paar Zentimeter, aber sie verändern alles.

Alles gegeben

Gut geritten wurde nicht nur in der Spitzengruppe, gekämpft wurde auch da, wo keine Medaille mehr in Reichweite war, zum Beispiel bei Isabell Werth auf dem 13-jährigen Quantaz. Sieben olympische Goldmedaillen, 21 EM-Titel – das macht ihr auf absehbare Zeit keiner nach. Mit einem äußerst schwierigen Programm, alles auf den Punkt genau geritten, kämpfte sich die 54-Jährige auf Platz fünf vor, verließ das Viereck unter Standing Ovations des Publikums. Das ist Isabell! Never give up! Jetzt wünschen wir ihr bald eine zweite Bella Rose oder wenigstens Weihegold.

Ausblick

Im Olympiajahr 2024 steht Jessica von Bredow-Werndl gewaltig unter Druck. Die drei Paare, die ihr im Nacken sitzen – Charlotte Fry auf Glamourdale, Nanna Skodborg Merrald mit Zepter und Charlotte Dujardin auf Imhotep – haben alle noch Luft nach oben. Ich bin sicher, wir werden Imhotep in einem Jahr nicht wieder erkennen, wenn sie erstmal vorne loslassen kann.

Dalera ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie muss fit bleiben und natürlich ohne Fehler gehen. Jessica versucht den Druck abzuschütteln: „Die anderen kann ich nicht beeinflussen. Es kommt allein auf mich selbst an. Darauf konzentriere ich mich.“ Viel Glück dabei!

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.