Richter in der Vielseitigkeit: Keine Lust auf Pöbeleien

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Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Gehen der Vielseitigkeit demnächst die Richter aus? Drohungen und wüste Beschimpfungen in den Sozialen Medien, Beleidigungen von Angesicht zu Angesicht und ewige Diskussionen über Richterentscheidungen vor Ort vergällen den Offiziellen bei Vielseitigkeitsturnieren zunehmend ihren Job.

Von der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI), bzw. den für die Vielseitigkeit zuständigen Hauptamtlichen, fühlen die Richter sich dabei im Stich gelassen. Der Schweizer CCIO-Richter Christian Landolt ist nicht der erste, der jetzt die Reißleine zog.

„Der Unwille der FEI, die immer häufiger werdenden verbalen Übergriffe und Respektlosigkeiten gegen Offizielle auch nur zu diskutieren, haben mich dazu gebracht, mein Amt als FEI Eventing Richter nach 26 Jahren niederzulegen. Das war keine leichte Entscheidung, sie macht mich traurig, aber meine Werte sind so weit von denen der FEI entfernt, dass ich diesen Verband nicht länger repräsentieren kann.“

So beginnt das Schreiben des Schweizer Eventing-Richters Christian Landolt an die FEI, mit dem er seinen Rückzug aus einem Sport ankündigt, den er selbst im Sattel international ausgeübt und am Richtertisch bis hin zu Fünf-Sterne-Prüfungen begleitet hat.

Das Fass zum Überlaufen brachte die Whatsapp-Nachricht eines US-Reiters, der von Landolt wegen aufgescheuerter Maulwinkel seines Pferdes nach einem Fünfsterne-CCI in den USA im September 2022 die Gelbe Karte erhalten hatte. Der Chefrichter hätte es bei einer Verwarnung belassen können, griff aber aufgrund der erheblichen Maulverletzungen zur Gelben Karte, wie es das Regelwerk zulässt.

Die „Blood Rule“, der zufolge jede Blutspur am Pferd aufgrund menschlicher Einwirkung zum Ausschluss führt, gilt anders als in Springen und Dressur, in der Vielseitigkeit nicht. Der besagte Reiter durfte weiter machen und blieb in der Wertung. Da stellt sich natürlich sofort die Frage, warum gilt diese Regel für Vielseitigkeitspferde eigentlich nicht? Ist ihr Schmerz geringer bei aufgescheuerten Maulwinkeln als der ihrer Artgenossen in den anderen Sparten? Wohl kaum! So viel nur zum Thema Social License.

Dies sind Fotos der verletzten Maulwinkel des Pferdes, wegen derer der Reiter eine Gelbe Karte bekommen hat, woraufhin er den Offiziellen anging.

Jener Reiter warf Landolt in besagter Textnachricht „Bigotterie“, Mangel an Professionalismus und Lügen vor. Er sei „eine Schande für den Sport“. Zwar gab auch FEI-Generalsekretärin Sabrina Ibanez in einer Mail an Landolt zu, dass das Verhalten des Reiters „inakzeptabel“ gewesen sei, aber anstatt dass sich wie in anderen Fällen das FEI-Tribunal damit beschäftigte, ging der Fall zur USET, der FN der USA, mit nicht veröffentlichtem Resultat.

Eine andere Reiterin beschwerte sich auf Facebook darüber, dass sie ihren Start bei einem Cross, ebenfalls in USA, nicht wiederholen durfte, weil sie angeblich die Startglocke nicht gehört hatte. Auch hier folgte Jury-Präsident Landolt dem FEI-Reglement und vermisste erneut die Rückendeckung durch die Eventing Abteilung der FEI.

Mehrere Fälle

Damit ist er nicht der erste Offizielle, der sich vom Weltreiterverband FEI im Stich gelassen fühlt, vor zwei Jahren legte Martin Plewa, Reitmeister und früherer Bundestrainer, sein Amt als FEI-Richter nieder. „Weil sich die Leitung des Eventing-Departments mir gegenüber geradezu unverschämt, lügnerisch und ehrabschneidend verhalten hat und eine normale Kommunikation auf Augenhöhe nicht mehr möglich war“, sagt er.

Die Kluft zwischen denen, die vor Ort Entscheidungen treffen und denen, die im FEI-Büro sitzen, und wenig Erfahrungen mit den Bedingungen vor Ort geschweige denn eigene Praxis im Sport haben, sei groß, so Landolt. „Deswegen ist ihr Unwille, zuzuhören, zu diskutieren und konstruktives Feedback anzunehmen, erstaunlich und schädlich.“

Andere Offizielle reden nur hinter vorgehaltener Hand oder schweigen lieber ganz. Sonst, so fürchten sie, machen sie sich womöglich bei der FEI unbeliebt oder werden von den Veranstaltern nicht mehr eingeladen. Dazu muss man wissen, dass die Richter in den USA bezahlt werden, viele finanzieren damit ihren Lebensunterhalt. Das wissen auch die Reiter. Die Scheu vor Drohungen und Erpressungsversuchen nähme ab, sagt nicht nur Christian Landolt.

Durch Regeländerungen ist es in den letzten Jahren zu mehr Streitfällen zwischen Reitern und Richtern gekommen. Etwa bei der „Flaggen-Regel“, der zufolge ein Hindernis nur dann als korrekt überwunden gilt, wenn Kopf, Hals und Schulter innerhalb der Flaggen bleiben. Fällt die Flagge um oder biegt sich nach außen, was häufiger passiert, muss die Hinterhand mindestens so hoch springen wie der feste Teil des Hindernisses. Ansonsten gibt es 15 Strafpunkte. Eine Regel, die zu unterschiedlichen Interpretationen geradezu einlädt.

Aus der FEI-Zentrale in Lausanne kommen andere Töne. Fälle wie der von Landolt geschilderte seien wenige Ausnahmen, schreibt die Generalsekretärin. „Vielfache verbale Angriffe auf FEI-Offizielle entspricht nicht den Informationen, die wir erhalten“.  Nur fünf von 4500 Offiziellen hätten sich im vergangenen Jahr beklagt.

Auch beim Eventing Forum in Jardy im Januar 2023 wurde eine stärkere Unterstützung der Offiziellen durch die FEI gefordert. „Aus dem Umfeld der Athleten werden zunehmend die sozialen Medien für brutale Angriffe auf Offizielle benutzt“, heißt es im Seminar-Bericht. Also doch keine Einzelfälle?

Rückendeckung bekommt Landolt vom renommierten britischen Dressurreiter und -ausbilder Carl Hester. Auch er fordert in der Pferdezeitschrift Horse and Hound von den Reitern einen respektvollen Ton gegenüber Offiziellen – eigentlich selbstverständlich. „Alles andere ist nicht akzeptabel.“ Wenn die FEI sage, dass sie keine Informationen über häufige verbale Angriffe habe, dann, so Hester, „vielleicht, weil die Betroffenen Angst haben, laut ihre Meinung zu sagen“. Schon dieser Verdacht sollte in Lausanne die Alarmglocken schrillen lassen.

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. berndride

    Habe ich das richtig verstanden? Mit diesen Verletzungen des Pferdes durfte der weiter reiten, es ist in der Vielseitigkeit international erlaubt, und dann hat er auch noch die Unverschämtheit sich über eine gelbe Karte zu beschweren? Da kann es keine andere Entscheidung geben als sofortige Sperre und Änderung des FEI Reglements. Aber ich hoffe ja, dass ich das falsch verstanden habe.

  2. Torsten Sonntag

    Sämtliche Richter, welche das Wohl der Pferde vor den sportlichen egoistischen Ergeiz der Reiter stellen und sich trauen, auch Entscheidungen im Sinne der Pferde zu treffen, müssen unterstützt werden. Leider trauen sich viel zu wenige Richter, aufgrund verschiedener möglicher Konsequenzen, eher einzuschreiten. Besonders auch auf ländlichen Turnieren vermisse ich mehr sachdienliche Hinweise an die Reiter. Das Bewusstsein für besseres feinfühligeres Reiten muss weiter geschult werden. Wieviele Parcours oder Dressuraufgaben sind die pure Qual für die Pferde aufgrund groben und schlechten Reitens. Und zum Schluss muss man jemanden auch mal vermitteln können, das er sich lieber ein anderes Hobby zulegen sollte….


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