Tag drei unserer Polen-Tour – ein Abschied mit gemischten Gefühlen

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Die Interimsställe für die aus der Ukraine evakuierten Pferde in Lesna Wola. (© Thomas Ix)

An unserem letzten Tag in Polen haben wir zunächst das Reitsportzentrum Lesna Wola besucht, das aktuell sozusagen als Umschlagsplatz für Pferde und Hilfsgüter funktioniert. Danach ging es zurück nach Deutschland – und diesmal gemeinsam mit vielen Autos aus der Ukraine in unserer Richtung und Hilfskonvois auf der anderen Straßenseite gen Osten.

Unser Ziel am letzten Tag unserer Tour ist die Stadt Rzeszów im Südosten Polens, zu der das Pferdesportzentrum Lesna Wola gehört. Bis zur ukrainischen Grenze sind es von hier aus 90 Kilometer, bis zur Slowakei 100. Das macht die Stadt, zu der auch ein Flughafen gehört, zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Wie wichtig, wird uns klar, als wir einige Stunden später die Nachrichten verfolgen und feststellen, dass ungefähr 30 Minuten nach unserer Abfahrt US-Präsident Joe Biden dort gelandet ist. Aber das nur am Rande. Wir sind verabredet mit Charlie. Ist Charlie ein Mann, oder eine Frau? Ich habe keine Ahnung. Wir hatten nur über WhatsApp Kontakt, das allerdings sehr zuverlässig und ich hoffe, dass alles klappt. Als wir kurz vor unserer Ankunft eine Textnachricht bekommen, dass die Pfleger nicht wollen, dass sie oder die Pferde fotografiert werden, sinkt mir das Herz. Hoffentlich redet dann wenigstens jemand mit uns …

Als das Navi meldet „Ziel erreicht!“ (Was hat man bei solchen Touren eigentlich früher ohne Navigationsgerät gemacht? Nur mit einer Landkarte wäre ich jedenfalls hoffnungslos verloren!), staunen wir nicht schlecht! Rechts neben der Straße tut sich ein richtig großer Turnierplatz auf mit gepflegten Grünanlagen (die zu dieser Jahreszeit freilich auch eher braun sind), gestutzten Zierbäumchen und gepflegten weißen Zäunen. Wir biegen auf das Gelände ein in Richtung von vier großen Stallzelten, wo wir die provisorischen Stallungen für die evakuierten Pferde vermuten. Richtig gedacht. Davor wird gerade ein Pferd locker am Halfter an der Longe gejoggt, ein anderes vergnügt sich alleine auf dem eingezäunten Reitplatz, der kurzerhand zum Paddock umfunktioniert wurde, und vor den Stallzelten rupfen andere Pferde an der Hand ihrer Menschen das noch kaum vorhandene Gras. Ich rufe Charlie an und diesmal habe ich Glück. „Ja, ihr seid richtig. Ich hole euch.“ Okay, Charlie ist eine Frau, eine die wirklich sehr gut Englisch spricht. Auch das ist ja nicht selbstverständlich, wie wir auf unserer Reise täglich aufs Neue gelernt haben.

Dass Charlie so gut Englisch spricht, ist allerdings leicht zu erklären, sie ist nämlich Engländerin. Daheim arbeitet sie für die Veranstalter, die unter anderem die Royal Windsor Horse Show und das Turnier in der Londoner Olympia Hall organisieren. Hier ist sie als freiwillige Helferin, gibt aber zu, dass ihre berufliche Erfahrung mit Interimsinfrastruktur und der Notwendigkeit, immer wieder improvisieren zu müssen, hier von unschätzbarem Wert ist. Wir fragen, was denn eigentlich ihre Aufgaben hier in Lesna Wola sind. In erster Linie sei sie nach Polen geschickt worden, um Orte zu finden, wo gerettete Pferde erst einmal hinkönnen, „Safe Zones“, wie sie sagt.

Gemeinsam stark

Thomas Ix

Charlie kümmert sich vor Ort in Lesna Wola um die Organsiation.

Wie eine Engländerin zu dieser Aufgabe gekommen ist, erklärt sie so: „Die ukrainische FN ist Teil des Weltreiterverbandes FEI. Die FEI und alle nationalen Verbände haben sich mit British Equestrian und anderen Organisationen des Vereinigten Königreichs zusammengeschlossen um gemeinsam zu versuchen, die Pferde aus der Ukraine herauszuholen.“ Das Ganze laufe dadurch sehr organisiert ab. Hilfsgesuche können gesammelt und gemeinsam „bearbeitet“ werden. Wenn beispielsweise ein LKW mit Futter & Co. in die Ukraine hereinfährt, kann er ja mehrere Ställe anfahren und womöglich gleichzeitig Pferde aufnehmen und rausbringen. Es wird dokumentiert, welche Pferde welcher Besitzer von wo kommen und wohin sie gehen. „Wir können mehr Pferde herausholen, wenn wir zusammenarbeiten, als wenn einzelne Splittergruppen, mal hier und mal da ein Pferd retten“, ist sie sicher.

Dafür arbeitet nicht nur Charlie als Freiwillige, sondern es gibt viele Schnittstellen, die dabei helfen. „Als Einzelperson vor Ort können wir Feedback geben, was benötigt wird und wo die Probleme liegen. Aber es braucht Menschen, die die strategische Übersicht behalten, Prioritäten setzen können und die Kontakte haben, um Probleme effizient zu lösen. Wenn man alleine ist, kann es leicht passieren, dass man sich in einer Einzelgeschichte verliert, obwohl da Hunderte sind, die Hilfe benötigen. Mit vielen Menschen in ganz Europa kann man viel mehr erreichen.“

Schwierige Abwägung

Die Hauptschwierigkeiten lägen aktuell in der Kommunikation. Die Sprache sei ein Problem. Und dann natürlich die Transportfrage. „Es ist gefährlich, es ist ein Kriegsgebiet. Und Menschen, die normalerweise die LKW fahren könnten, kämpfen derzeit.“ Aber das ist nicht das einzige: „Es ist schwierig, Pferde zu retten, während es zugleich auch Menschen gibt, die Hilfe brauchen.“

Sie berichtet von dem, was die Fahrer ihr erzählen – dass sie mit einem Transporter voller Pferde an Menschen vorbeifahren, die sich mit dem einzigen Hab und Gut, das sie retten konnten, an der Straße entlangschleppen; dass sie zum Teil durch ihre eigenen Heimatorte fahren, in denen kein einziges Haus mehr steht. Sie erzählt auch von einem alten Mann, der mit seinem uralten Auto und einem noch viel älteren Anhänger, der nur noch von Stricken zusammengehalten wurde, 500 Kilometer aus der Ukraine zu ihnen nach Lesna Wola gefahren ist, um hier Futter für die Tiere zu bekommen, die ihm von den Besitzern anvertraut worden sind, damit er sie versorgt. Er selbst schläft inzwischen bei den Tieren, denn sein eigenes Haus wurde dem Erdboden gleich gemacht. „Er war total abgemagert. Wir haben ihm erstmal im Restaurant etwas zu essen gegeben und dann seinen Anhänger und das Auto bis unters Dach vollgeladen mit Futter und Einstreu. Aber dann mussten wir ihn zurückfahren lassen.“

Charlie macht einen hoch professionellen Eindruck. Aber trotz der Sonnenbrille sieht man, dass sie bei dieser Geschichte mit den Tränen zu kämpfen hat. Der Mann ist angekommen. Er hat eine SMS geschickt. Aber wie sieht seine Zukunft aus? Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Wir alle haben sicherlich Filme über solche Szenarios gesehen. Aber das hier ist kein Film. Das ist echt.

Trost

Thomas Ix

Wie heißt es so schön? „No words needed“ …

Wie lebt man damit weiter? Wieder einmal stellt sich diese Frage. Und dann sieht man einen kleinen Jungen, der zu den Pflegern gehört. Er ist vielleicht neun Jahre alt. Neben ihm steht eine hünenhafte Dogge, die wahrscheinlich ihr eigenes Abteil in den Pferdetransporter benötigte. Der Junge hängt sich mit einer Zärtlichkeit an den Hals des Hundes, die schon fast an Verzweiflung grenzt.

Und dann sind da die Pferde. Jenes, das voller Lebensfreude über den Platz bockt, obwohl es – wie die anderen auch – vollkommen erschöpft war von den acht Tagen auf dem Transporter, als es in Lesna Wola ankam. „Da sah man nicht mehr, dass das eigentlich hochwertige Sportpferde sind“, sagt Charlie. Aber nun sind sie hier, haben wieder gut gefressen, getrunken, sich ausgeruht und sich ausreichend bewegt. Sie sind wieder mit ihrer Welt im Reinen. Gibt es einen schöneren Anblick, als ein Pferd, das sich vor Wohlbehagen grunzend im Sand wälzt? „Die Menschen brauchen keine Therapeuten, sie brauchen ihre Tiere“, kommentiert Charlie den Anblick. Wie recht sie hat! Diese Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu sein, davon können wir uns tatsächlich eine Scheibe abschneiden.

Aber so sind wir Menschen nun mal nicht. Und auch diese Pferde haben größtenteils eine recht ungewisse Zukunft vor sich. Sie werden in den kommenden Tagen weiterreisen zu Ställen, die das Supportteam in ganz Europa ausfindig macht, wo sie erst einmal bleiben können. Auch nach Deutschland werden wohl welche gehen. Zumindest diese Sportpferde werden teilweise auch verkauft werden. Denn wer braucht in der aktuellen Situation ein Pferd? Aber sie leben! Dabei wird Lesna Wola nicht nur Interimsheimat für Pferde, die sechsstellige Summen kosten, erfahren wir. „Diese hier waren im Grunde in sehr gutem Zustand, haben Papiere und es ist klar, woher sie kommen. Aber wir nehmen auch Pferde mit, die frei auf der Straße herumlaufen und bei denen erst einmal geklärt werden muss, ob sie gechippt sind und hoffentlich auch, wer ihre Besitzer sind bzw., ob diese noch leben“, so Charlie.

Was passiert mit den Spenden?

Derzeit nehmen die Pferde eines der vier Stallzelte mit jeweils 36 Boxen ein, die eigentlich als Turnierzelte gedacht sind. Charlie berichtet, dass die Besitzerin der Anlage in Lesna Wola hier eigentlich regelmäßig Turniere durchführt. In der Region ist Lesna Wola berühmt. Gut möglich, dass die aktuellen vierbeinigen Gäste aus der Ukraine hier selbst schon am Start gewesen sind. Es hat lange gedauert, bis man Wege gefunden hat, die ersten Pferde zu evakuieren. Nun werden es mehr werden, ist Charlie sicher. Und sie glaubt, dass sie für diese dann häufiger einen Tierarzt und mehr Helfer brauchen werden. Unter anderem dafür werden die Spenden verwendet werden, die die Ukraine-FN gesammelt hat. Oder für so hilfreiche Geräte wie einen Gabelstapler. „Gestern haben wir sieben Stunden lang Säcke von einem LKW abgeladen …“ Klar, da hilft das passende Arbeitsgerät. Verwaltet werden die Spendengelder von bereits erwähnter Dachorganisation mit den nationalen Verbänden und der FEI. „Es ist wie in einem normalen Unternehmen. Ich muss einen Antrag stellen, was ich brauche und das auch begründen“, so Charlie. Und dann wird entschieden, was dafür freigegeben werden kann.

Das zweite Stallzelt ist aktuell voll mit gespendeten Waren. Um alle unterzubringen, wurden einige Boxen abgebaut. Auch die Bundesvereinigung der Berufsreiter war ja mit einem LKW nach Lesna Wola gereist, um Futter und Späne zu bringen. In der Tat sind die meisten Säcke auf den Paletten mit den Namen deutscher Firmen bedruckt. Es wurden aber nicht nur große Gebinde geliefert. Immer wieder hält auch ein DHL Auto und liefert einzelne Futtersäcke an von Menschen, die helfen möchten und Amazon bemüht haben. Dafür ist das Team vor Ort unendlich dankbar. Aktuell haben sie allerdings so viel Material, dass sie es kaum unterbringen können und mit dem Ausliefern in die Ukraine nicht hinterherkommen. Aber was ist in einem halben Jahr? „Was wir am nötigsten brauchen, ist die Sicherheit, dass wir auch noch in einigen Monaten genügend Material haben werden“, sagt Charlie. Ein Problem, das man ja beispielsweise auch im Sommer 2021 im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Deutschland erlebt hat. Wenn das Gesehene frisch ist, ist die Hilfs- und Spendenbereitschaft groß. Aber die Rückkehr zur Normalität ist ein langwieriger Prozess – der in den von der Flut betroffenen Regionen auch noch nicht abgeschlossen ist, wie wir jüngst erfahren haben. Davon an anderer Stelle mehr.

Rückreise

Nach rund zwei Stunden steigen wir ins Auto. Nun geht es für uns wieder nach Deutschland, rein in unser normales Leben. Ich jedenfalls freue mich jetzt auf Zuhause. Gleichzeitig fühlt sich das unglaublich falsch an, wenn man weiß, dass Millionen Menschen gerade überhaupt nichts haben, worauf sie sich freuen können. Weil ihnen alles genommen wurde, ohne dass sie im geringsten die Schuld daran trifft. Den Gedanken, dass dies eine Situation ist, die sich eigentlich 365 Tage im Jahr genauso irgendwo auf diesem Planeten abspielt, verdränge ich lieber gleich wieder. Sonst drehe ich durch.

Nun liegen gut zehn Stunden Autofahrt vor uns. Ich bin ein sehr schlechter Beifahrer, also fahre ich selbst. Wir nehmen diesmal eine andere Route, von Süden kommend und dann in Cottbus über die Grenze. Diese Autobahn ist wesentlich belebter. Und diesmal sehen wir sehr viele Autos aus der Ukraine, voll beladen bis unters Dach. Über der Autobahn werden die elektronischen Geschwindigkeitsbegrenzungsanzeigen benutzt, um die Nummern von Hotlines einzublenden, damit die Flüchtlinge wissen, wo sie Hilfe bekommen. Manchmal steht dort auf Polnisch auch etwas, was wir nicht genau verstehen, wohl aber, dass es ein Satz ist, in dem die Wörter „Solidarität“ und „Ukraine“ vorkommen. Wir überholen einen Bus aus Spanien voller Flüchtlinge. Wie tröstlich können solche Empathiebekundungen und Hilfsangebote für diese Menschen sein?

Auf der gegenüberliegenden Seite kommen uns Konvois von Feuerwehren aus ganz Europa entgegen, die Material und Gerät in die Ukraine bringen und Flüchtlinge mit zurück nehmen. Der Kontinent ist auf Achse. Wieder wegen eines Krieges. Ich hätte nicht gedacht, dass das noch einmal passieren würde. Aber wie sagte Ilona am Tag zuvor? „Wer weiß, was noch passiert?“ Hoffen wir, dass die aktuellen ja ein wenig Mut machenden Nachrichten von Substanz sind …

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Dominique WehrmannRedakteurin

Studierte Politologin, seit 2006 bei St.GEORG. Als Jugendliche Dressurtraining bei Hans-Georg Gerlach, Michael Settertobulte und Reitmeister Hubertus Schmidt und das auf einem selbstgezüchteten Pferd. Verantwortet die Bereiche Spitzensport und Pferdezucht. Im Presseteam des CHIO Aachen und der Pferdemesse Equitana, hat für den NDR im Fernsehen kommentiert.