Reitunterricht für Kinder: so geht’s richtig!

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Kinder müssen ihren Fähigkeiten entsprechend unterrichtet werden. (© Kathmann)

Wir wollen unseren Reitsport erhalten – dafür müssen wir den Nachwuchs fördern. Mit einem Plan, kindgerecht und den Altersstufen entsprechend. Kinder zu unterrichten macht so viel Freude! Worauf bei Reitunterricht für Kinder zu achten ist und wie er gelingt, erfahren Sie in diesem Artikel.

Pferde und Ponys machen unser Leben reicher und wir sollten alles dafür tun, dass wir unseren Sport und Pferdewirte ihren Beruf auch in Zu­kunft ausüben können. Deshalb sollte unser aller Credo lauten: Kinder auf die Ponys – aber auf die richtige Art und Weise! Denn es gibt in Deutsch­land viel zu wenige Reitschulen und zu wenige, die fundierten und nach­haltigen Reitunterricht für Kinder anbieten. Für eine Kinderreitschule braucht es ein vernünftiges (Finanz)Konzept, mit dem es möglich ist, die Pferde und Ponys bestmöglich zu halten und die Kinder fachlich kompetent zu un­terrichten und sie zu respektvollen (tierschützenden) Reiterinnen und Reitern zu machen. Gute Kinderreit­schulen sind nach wie vor eine Markt­lücke!

Reitunterricht für Kinder: drei Grundsätze

Diplompädagogin Roswitha Schrei­ber-Jetzinger betreibt eine eigene Kinderreitschule in Österreich und ar­beitet eng mit der Pferdewirtin und Be­wegungstrainerin Lisa Kreitel vom Hof Eschenhorst in Niedersachsen zusam­men. Sie formuliert drei Grundsätze, die es beim Unterrichten von Kindern zu beachten gilt.

1. Der Unterricht sollte ponygerecht sein. Das bedeutet, die Kinder sollen lernen dürfen, die Spra­che der Ponys zu sprechen. Geübt wird dabei auch auf Holzpferden, um von vornherein Fehler und Missverständ­nisse zu vermeiden. Die Kinder sollen das Pony als Lebewesen wahrnehmen und auch Grenzen setzen können, sich dabei aber immer tiergerecht verhal­ten. „Bei uns gilt beispielsweise der Grundsatz: Hände weg vom Ponykopf“, berichtet Rosi Schreiber-Jetzinger. „Die Kinder wissen, dass sie die Ponys nicht unentwegt am Kopf anfassen sollen, um ihnen ihren eigenen Bereich zu lassen.“

2. Der Unterricht sollte kindgerecht sein. Man sollte also nur Dinge ver­langen, zu denen Kinder geistig und körperlich in der Lage sind. Dann hat das Kind die Möglichkeit, die Welt der Ponys kennenzulernen. „Reiten ist die Kommunikation zweier Lebewesen – auf beide muss Rücksicht genommen werden“, bringt es die Ausbilderin auf den Punkt.

3. Die Sicherheit für Kind und Pony (Unfallverhütung und Tierschutz) muss zu jeder Zeit gewährleistet sein. Von hinten an das Pony oder Pferd heranzugehen, ist beispielsweise ein absolutes No Go, Sandalen gehören nicht in den Stall und bei Rosi Schrei­ber-Jetzinger besteht Helmpflicht – auch beim Putzen. „Der Kinderkopf ist beim Putzen auf Höhe des Ponykopfes. Es geht so schnell, dass das Pony eine Fliege verscheuchen will oder ähnli­ches…“

Außerdem ist der Ausbilderin wichtig, dass die Kinder mit den Tieren respektvoll umgehen. „Vieles machen die Kinder ja unwissentlich falsch, wenn sie in den Sattel plumpsen, am Zügel ziehen oder ähnliches. Meine Aufgabe als Reitlehrerin ist es, den Kin­dern beizubringen, wie die Ponys ihr Verhalten und ihr Handeln empfinden und welche Möglichkeiten sie haben, sich auszudrücken. Pferde geben keinen Schmerzlaut von sich. Ich habe Respekt vor den Kindern und vor den Ponys – so verhalte ich mich auch und wenn ich es schaffe, dass zwischen dem Kind und dem Pony die Kommunikation beginnt zu funktionieren, habe ich einen guten Job gemacht.“

 

Foto: Kathmann

In welchem Alter kann man reiten lernen?

Reitunterricht für Kinder ist nach Erfah­rung von Rosi Schreiber-Jetzinger ab etwa drei Jahren möglich – wenn die Kinder Anweisungen befolgen können. „In diesem Alter ist das ein Kennen­lernen der Lebenswelt Pferd. Mit der Schulreife sind die Kinder dann in der Lage, auf das Pony oder Pferd einzu­wirken, meist so zwischen sechs und sieben Jahren. Dann gehe ich also über vom ,auf dem Pferd sitzen‘ hin zum wirklichen Reiten.“

Um Kinder kindgerecht zu unterrich­ten, ist es wichtig, sich klarzumachen, in welcher Ausgangssituation sie sich befinden: Kinder haben eine kurze Konzentrationsfähigkeit, wenig Kraft, einen hohen Bewegungsdrang und eine hohe Beweglichkeit. Sie sind neugierig, haben Spaß am Erforschen, können Phantasiewelten erleben und sie wollen ihre Grenzen erfahren, ohne sich dabei zu gefährden. Kinder lernen viel durch beobachten, durch Spiele, wiederkeh­rende Rituale, soziale Interaktion und kurze Konzentrationsspannen.

Altersentsprechender Umgang

Wichtig ist vor allem: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Sie sind Heranwachsende, die verschiedene Entwicklungs- und Wachstumsphasen durchleben, denen man sich als Ausbil­derin oder Ausbilder anpassen muss. Stichwort Konzentration und Geduld: Für eine Vierjährige ist ein Jahr ein Viertel ihres Lebens, zwei Minuten füh­len sich für sie an wie eine halbe Stunde.

Auch die körperliche Entwicklung gilt es unbedingt zu berücksichtigen: „Bis zum zwölften Lebensjahr sind erst die Propriorezeptoren der Füße und Hände ausgebildet, das bedeutet Kin­der haben erst ab zwölf ein Gefühl für die Bewegung ihrer Hände und Füße. Deshalb kontrollieren jüngere Kinder mit den Augen, was die Hände und Beine machen“, erklärt Rosi Schreiber- Jetzinger und plädiert: „Lasst sie schauen!“

Was grundsätzlich in der heutigen Zeit ein Problem ist: Purzelbäume. „Kinder können keine Purzelbäume mehr – dabei ist der Purzelbaum eine der wichtigsten Sturzpräventionen. Ich übe mit meinen Kindern regelmäßig in der Reithalle Purzelbäume.“

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Was bewirkt das Reiten bei Kindern?

Reitunterricht ist mittlerweile nicht mehr nur das Unterrichten von Fertigkeiten wie dem unabhängigen Sitz, Treiben, Stellen, Biegen und halben Paraden. Reitunterricht ist das Erleben von Ponys und Pferden, die eine natür­liche Umgebung bieten, in der Kinder ihre Umwelt erkunden können. Sie können sich in verschiedenen Rollen ausprobieren und haben die Chance, mit anderen Lebewesen (Pferd) und anderen Personen (Mitreitende, Reitlehrer) zu interagieren und lernen Grenzen und Möglichkeiten kennen. Außerdem gibt Reitunterricht den An­reiz, seine koordinativen Fähigkeiten zu verbessern und zu trainieren.

Dabei fängt das Reiten nicht erst im Sattel an, sondern sobald das Kind die Reitanlage betritt. „Ich möchte die Kinder im Um­gang mit den Ponys und Pferden, in der Pflege, am Boden und im Sattel schu­len“, erklärt Rosi Schreiber-Jetzinger. „Das alles umfasst für mich den Begriff ,Reitunterricht‘. Und abgesehen davon, dass das Kind das Pferd so kennen- und verstehen lernt, kann ich durch eine gezielte Vorbereitung auch das Tier schützen. So leben wir Tierschutz.“

Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination bilden die Grundlage

Um das Reiten zu erlernen, brauchen Kinder Grundlagen (Fähigkeiten). Dazu zählen Kondition/Ausdauer sowie Kraft/Schnelligkeit und vor allem koordinative Fähigkeiten, also räumliche Orientierung, Unterschei­dungsfähigkeit, Gleichgewicht, Rhyth­musgefühl und Reaktionsfähigkeit.

Bei der Reaktionsfähigkeit geht es um das Timing und angemessene reaktive Bewegung, die für das Reiten wichtig sind, weil Pferde Fluchttiere sind und im Zweifel sehr schnell re­agieren. Auch Kinder müssen in Gefah­rensituationen angemessen reagieren können und im Dialog mit dem Pferd bleiben. Geübt werden kann die Re­aktionsfähigkeit durch Spiele wie die Reise nach Jerusalem, „Emergency get down“ (egal wo, alle steigen auf Signal ab), das Spiel „Zimmer, Küche, Kabi­nett“ auch bekannt unter „Ochs am Berg“ (ein Sprecher sagt einen Spruch auf, während sich die anderen Kinder hinter seinem Rücken auf ihn zubewe­gen, so lange bis er sich umdreht) oder die Kinder müssen auf ein bestimmtes Signal, eine Aufgabe erfüllen (Kinder reagieren besser auf akustische als auf optische Signale!).

Rhythmus ist die Fähigkeit, seine Bewegungen einer vorgegebenen Tak­tung anpassen zu können und auch in dynamischen Bewegungen beibehalten zu können. Im Sattel ist man dann in der Lage, den Takt des Pferdes zu spü­ren, in der Bewegung mitzugehen und korrekt einzuwirken. Im Reitunterricht für Kinder gibt es viele Möglichkei­ten, das Rhythmusgefühl zu festigen. Beispielsweise mit Klatschen, Singen, Wechsel der Sitzarten (Leichttraben, Aussitzen, zweimal sitzen – einmal aufstehen), unterschiedlichen Boden­stangen, Zählen von Schritten, Tritten und Sprüngen, im Gleichschritt mit dem Pferd laufen, ein Kind klatscht – das zweite Kind trabt leicht, klopfen: einmal Bein mit der linken Hand, zwei­mal Brust mit der rechten Hand (plus einmal Kopf für Fortgeschrittene), vier Cavaletti auf dem Zirkel und Zählen der Schritte oder Zählen des Leichttrabens, Ball in die Luft werfen bei jedem Galoppsprung. Die Liste ließe sich noch lange weiterführen…

„Grundsätzlich müssen meine Kin­der Schritt, Trab und Galopp am Boden imitieren können“, berichtet Rosi Schreiber-Jetzinger. „Denn wie soll das Kind auf dem Pony galoppieren, wenn es das nicht auf dem Boden kann?“ Hat ein Kind ein größeres Defizit in einer Übung, wird diese öfter wiederholt. Rosi Schreiber-Jetzinger macht mitun­ter Taktübungen in unterschiedlichen Varianten eine ganze Einheit lang und trainiert damit auch die anderen koor­dinativen Fähigkeiten.

 

Foto: Kathmann

Reitunterricht für Kinder: Gleichgewicht ist der Schlüssel

Gleichgewicht ist der erste Punkt in der Ausbildungsskala des Reiters. Ohne Gleichgewicht kann er keinen weiteren Punkt der Ausbildungsskala errei­chen. Um Gleichgewicht zu erlangen, benötigt es ein Training des vestibu­lären Systems, das sich im Innenohr befindet und mit dem Augen interagiert und des propriozeptiven Systems. Diese Propriozeptoren senden Signale über die Lage der Gliedmaßen zueinander und zum Raum an das Gehirn. Beide Systeme werden durch Lageverände­rung des Körpers im Raum trainiert, wie zum Beispiel: Schaukeln, Rollen, Purzelbaum, Veränderung der Ober­körperposition (Hand zur Zehe, auf dem Pferdehals, -rücken legen, …), Kopf schütteln, Nicken, Abklopfen und Abstreichen mit Händen, Bällen, Schwämmen, Bewegen der Gelenke, Kontrasterfahrungen und unter­schiedliche Körperhaltungen (Köni­gin, alte Frau, Katze, Kuh,…), Spiegeln (Bewegung anderer nachmachen), ohne Sattel reiten, verkehrt herum auf dem Pony sitzen, im Damensitz auf dem Pferd sitzen, die Augen schließen, Balancieren.

Damit ein Kind mit seinem Pony die Aufgaben im Reitunterricht erfüllen kann, braucht es räumliche Orientie­rungsfähigkeit. Es muss dem Pony sagen können, wohin es gehen soll – dabei muss ein Umdenken stattfinden vom Zwei- auf den Vierbeiner, das Kind muss verstehen, dass das Pferd länger ist und anders wendet als es selbst. Nur so kann es Hufschlagfiguren korrekt reiten und Hindernissen bzw. anderen Reitern rechtzeitig ausweichen. Um Kindern eine bessere Orientierung zu geben, kann man sie Wege selbst gehen lassen, Wege und Aufgaben selbst planen, bauen und ausprobieren lassen, Wege mit Aufgaben oder Zielen markieren, Hilfsmittel (z. B. Pylonen) einsetzen.

Wenn man Kinder verschiedene Ponys/Pferde auf unterschiedlichen Böden reiten lässt, mit verschiede­nen Materialien arbeitet und die Steigbügellänge variiert, verbessert sich außerdem die Differenzierungsfähigkeit – also die Fähigkeit zu unterscheiden.

Scheitern erlaubt

Wichtig ist immer, die Kinder zu beobachten. „Wenn Kinder auf ihre Lippe beißen, Grimassen schneiden, verkrampfen, mit ihrer Zunge spielen oder mit der Zunge dieselben Bewe­gungen machen wie mit ihren Armen oder Beinen, sind das Anzeichen dafür, dass der Körper überfordert ist. Man spricht dann vom Startle Reflex. Dann muss ich die gestellte Aufgabe leichter machen“, betont Rosi Schreiber-Jetzin­ger. Was aber nicht bedeutet, dass man Kindern alles abnehmen muss. Selbst scheitern hilft, sagt die Expertin. Wenn man Kindern immer die Steine aus dem Weg räumt, dann entwickeln sie keine Muskeln, sagt Hippolini©Begründerin Jeannette Wilke. Die Kinder können auch aus Erfahrungen lernen, bei denen sie etwas nicht auf Anhieb ge­schafft haben.

„Kinder sind mit so viel Neugier dabei und jeden Tag aufs Neue wissbegierig. Es macht einfach unheimlich Freude, sie zu unterrichten. Uns Erwachsenen ist irgendwann die Kreativität verloren gegangen. Kinder haben das – das macht die Arbeit mit ihnen so schön.“

 

Roswitha Schreiber- Jetzinger
Jahrgang 1968, ist Diplompädagogin, Reitlehrerin, Centered Riding© Aus­bilderin Stufe 3, EM-Bewegungstrainerin, Bewegungspädagogin der Franklin©-Methode, Neuro-Rider© Trainerin, Hippolini© Lehrkraft. Für die Bundesvereinigung der Berufsreiter (www.berufsreiter.com) gibt sie regelmäßig Online-Seminare zum Thema „Spielerischer Kinderunterricht zur Förderung der koordinativen Fähigkeiten“. Im Fokus dabei stehen theoretische Grundlagen und das gemeinsame Erarbeiten von Spielen für den Kinderunterricht.

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Laura BeckerRedakteurin

Nach der Lehre zur Pferdewirtin „Klassische Reitausbildung“ und Coach für Longier- und Reitabzeichen Studium der Germanistik. Anschließend Volontariat beim St.GEORG. Mutter von zwei Söhnen, verantwortet alle Themen rund um die Berufsreiterei. Auch Tipps und Hilfen in punkto Pferde- und Reiterausbildung sowie Recherchen rund ums Pferd gehören zu ihrem Aufgabenbereich.