Moment mal! Die feine englische Art

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Wie man einen Kurs baut, der allen Spaß macht, den Pferden, den Reitern und den Zuschauern, das zeigte der Brite Mike Etherington-Smith wieder mal in Luhmühlen. Anders als sein Kollege in Badminton sechs Wochen zuvor, bekamen die Pferde alle Chancen, es gut zu machen. Martin Plewa erklärt, wieso.

Ob die Vielseitigkeit überleben wird, auch olympisch, hängt von vielen Menschen ab. Von denen, die die Regeln machen, also der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI), von den Richtern und Stewards, die sie umsetzen sollen, vor allem aber von zwei Gruppen, von den Reitern selbst und von den Parcourschefs. Dass die meisten Reiter inzwischen wissen, worum es geht, haben wir beim Fünfsterne-Event in Badminton im Mai erleben können, dass durch nassen tiefen Boden schon Richtung sechs Sterne tendierte. Man sah, bis auf eine Ausnahme, keinen Reiter sein Pferd rücksichtslos antreiben, alle fuhren einen Gang zurück und nahmen Zeitfehler in Kauf. Ich gehe davon aus, dass die Reiter vor allem die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Pferde im Auge hatten und nicht, weil sie in der Öffentlichkeit oder bei so genannten Tierrechtlern Punkte sammeln wollten. Aber das haben sie und das dürften auch die ewigen Kritiker mal zur Kenntnis nehmen.

Chance für jeden, heile nach Hause zu kommen

Die andere Gruppe, die über das Fortbestehen des Cross Country-Reitens mit entscheidet, sind die Parcourschef, moderner auch Kurs-Designer genannt. Tatsächlich werden von ihnen viele Talente verlangt, eigene reiterliche Erfahrung und damit das Wissen, wie sich welche Hindernisanordnung reiten lässt, ein Gefühl für den Boden und die Landschaft, in der der Kurs entsteht, die richtige Einschätzung des Starterfeldes, der Wetterbedingungen und kreative Fantasie, damit es nicht überall gleich, sondern überall anders aussieht. Gefragt ist ein Multigenie und auf kaum jemanden trifft das wohl besser zu als auf Mike Etherington-Smith, der seit einigen Jahren in Luhmühlen die Kurse verantwortet. Der Brite ist der einzige Kursdesigner, der zwei Olympische Spiele gebaut hat, er ist für mehrere große Prüfungen in England zuständig und zeigt, wie man mit Fingerspitzengefühl Kurse so bauen kann, dass sie genügend aber nicht zu viel abfragen. Es soll niemand sich über einen zu einfachen Kurs nach oben qualifizieren können, aber jeder die Chance haben, heil nach Hause zu kommen. Das gelang ihm auch diese Mal in Luhmühlen sehr viel besser als seinem Kollegen Eric Winter in Badminton, der sich trotz Drängens von Reitern und anderen Fachleuten geweigert hatte, die durch Dauerregen aufgeweichte Strecke zu verkürzen.

Ohne Rhythmus wird es noch anstrengender

Ich hatte die Gelegenheit, in Luhmühlen zusammen mit einer Gruppe Persönlicher Mitglieder der FN, mit Martin Plewa den Kurs abzugehen. Plewa selbst ist ja nicht nur Reitmeister, sondern hat auch als Bundestrainer die deutschen Vielseitigkeitsreiter 1988 zu Olympiagold geführt und danach als Aufbauer, Richter und Technischer Delegierter den internationalen Sport mitgestaltet. Er weiß also, wovon er redet und entdeckt Feinheiten in so einem Kurs, auf die man nicht so ohne weiteres kommt. Und er kann sehen wie ein Pferd und denken ein Pferd.

„Rhythmus, Rhythmus, Rhythmus – das ist mit das Wichtigste,“ sagt Plewa. Wer die Ritte von Michi Jung sieht, in Luhmühlen leider nicht am Start, oder Laura Collett, der Fünfsterne-Siegerin in der Heide, der weiß, was gemeint ist. „Geländestrecken werden im Galopp gewonnen“, erklärt Plewa, „das Pferd atmet bei jedem Galoppsprung ein und aus. Es passt seine Atmung, dem Galopprhythmus an. Es ist sehr anstrengend, wenn das Pferd immer wieder aus dem Rhythmus genommen wird.“ Gute Parcourschefs ermöglichen dem Pferd diesen Rhythmus. Und zwar von Anfang an. Schon die ersten Hindernisse in Luhmühlen, Vier- wie Fünfsterne-CCI, waren respekteinflößende Hochweit-Sprünge.

„Das macht man heute anders als früher, man versucht von Anfang an die Pferde zum Springen zu bringen, ihnen klar zu machen, jetzt geht es zur Sache“ sagt Plewa. Früher hatten die Pferde beim Start in die Geländestrecke schon zwei Wegestrecken und eine Rennbahn hinter sich, sollten durch die ersten freundlichen Hindernisse wieder an feste Sprünge gewöhnt werden. In der Zwangspause durfte kein Sprung gemacht werden, heute stehen auf dem Abreiteplatz bereits respektable Hindernisse. Es kann also gleich losgehen, wenn sie aus der Startbox kommen.

Hilfestellungen für die Pferdeaugen

In Luhmühlen waren, wie heute fast überall, viele Hindernisse, vor allem Hochweit-Sprünge, mit dem MIM-Sicherheitssystem versehen. Auch Tische sacken dann bei heftigem Anschlagen zusammen, womit möglicherweise ein schwerer Sturz oder gar ein Überschlag verhindert wird. Mike Etheringon-Smith hatte in Luhmühlen bei den Tischen nicht nur die vordere Kante mit zwei Flaggen versehen, sondern auch die hintere. Dadurch konnten die Pferde besser sehen, wie breit das Hindernis ist. Überhaupt die Augen! Das Pferd sieht anders als der Mensch, das zeigen viele wissenschaftliche Studien. Nicht nur, dass es Farben anders wahrnimmt. „Das Pferd sieht ein Drittel schlechter als der Mensch und kann Distanzen schwer abschätzen“, sagt Plewa. Deswegen gibt es kleine Hilfestellungen. Etwa indem man dem Pferd einen Durchblick auf das gestattet, was hinter dem Sprung liegt, eine Kuhle (Hindernis 7 der Fünfsterne-Prüfung) oder Wasser (LeMieux-Lagune, Hindernis 13).

Nicht zu vergessen, auch der Verstand des Reiters soll zum Zuge kommen. Ganz zum Schluss als vorletzte Aufgabe der Fünfsterne-Prüfung warteten zwei respektable, mit MIM-System ausgestattete versetzte Holz-Oxer, leicht bergab. Alle Pferde sprangen hier noch sehr sauber, keinmal wurde das MIM-System ausgelöst, übrigens in der ganzen Fünfsterne-Prüfung nicht, in der kurzen Vierersterne-Prüfung nur einmal. Auch das spricht für die Reiter. Das Vielseitigkeitsreiten mag sich verändert haben seit den Zeiten, in denen Martin Plewa selbst querbeet ritt. Er erinnert sich noch gut an die Worte seines Mentors, des unvergessenen Paul Stecken: „Wenn du gleich im Gelände bist“, sagte der um 6 Uhr morgens vor dem Start, „und nicht mehr weißt, was du machen sollst, denk dran: Druck in den Absatz, Hand in die Mähne, Daumen dachförmig. Reihenfolge egal.“ Passt doch heute auch noch, oder?

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.