Moment mal! Nationenpreisfinale in Barcelona – kein Sieg wie jeder andere

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Das tat gut! Die deutschen Springreiter gewannen in Barcelona das Nationenpreisfinale, mit satten 1,25 Millionen Euro dotiert, davon 417.000 Euro für die siegende Mannschaft. Das Finale, das die Deutschen erst einmal im Jahre 2016 gewinnen konnten, hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, nicht nur wegen der attraktiven Dotierung, sondern auch als Meilenstein auf dem Weg zu größeren Aufgaben, in diesem Fall den Olympischen Spielen 2024. Aber das Bangen, ob nicht doch noch ein Paris-Aspirant bis Jahresende ins Ausland verkauft wird, ist noch nicht vorbei.

Wer wie ich am Sonntagabend ins ZDF Heute Journal schaltete, traute seinen Augen und Ohren kaum. Da wurde doch nach der üblichen Litanei auf die Fußballergebnisse tatsächlich vom Sieg der deutschen Springreiter in Barcelona berichtet. Das hat man selten. Dem TV-Zuschauer werden zwar nie die Ergebnisse auch noch der xten Fußballbundesliga vorenthalten, aber reiterliche Erfolgsmeldungen sind den TV-Redaktionen selten eine Sendesekunde wert. Der souveräne Sieg mit dem Idealergebnis von null Fehlern im zweiten entscheidenden Umlauf in Barcelona am Schauplatz der Olympischen Spiele 1992 war die Krönung einer Saison, die eher mau begonnen hatte und erst allmählich Fahrt aufnahm, mit Platz zwei in Calgary und dem Sieg in Brüssel und jetzt also beim Finale, zu dem weltweit die besten 15 Teams der Saison zugelassen waren. Acht qualifizierten sich für die zweite Runde. Zwei Tage lagen zwischen dem ersten und zweiten Umlauf, es waren also quasi zwei Prüfungen mit unterschiedlichen Kursen, nicht wirklich zwei Umläufe einer Prüfung. Schwer, aber nicht tricky, lobte Bundestrainer Otto Becker den Aufbauer Santiago Varela Ullastres, als ich ihn am Tag danach ans Telefon bekam.

„Der Stellenwert dieses Sieges ist sehr hoch“, sagt er, „besonders freue ich mich, dass wir uns über die Saison zum Ende hin so steigern konnten.“ Die Aussichten, im nächsten Jahr im Park von Versailles nicht nur eine Statistenrolle zu spielen, haben sich eindeutig verbessert. Von Entspannung Richtung Olympia will Otto Becker freilich nichts wissen. „Du kannst nie beruhigt sein, denn man weiß nie, was kommt.“ Zum Beispiel, dass ein Pferd einen Aussetzer hat, vom dem man es nicht erwartet, wie Ben von Gerrit Nieberg bei den Europameisterschaften in Mailand. „Oder einer im Stall gegen die Wand läuft und sich verletzt, wie Stargold von Marcus Ehning“, sagt Becker (ebenfalls in Mailand). Beides zusammen hat die deutschen Springreiter bei der EM eine Medaille gekostet. Pech hatten auch andere. „Es gab keine Nation mit Doppelmedaillen“, sagt Becker, also sowohl in der Mannschafts- als auch in der Einzelwertung.

Jetzt ist er froh, dass sich seine Auswahl für nächste Jahr deutlich vergrößert hat. Zwölf Reiter werden bis zum Jahresende für den Olympiakader benannt, so verlangt es der deutsche Olympische Sportbund (DOSB).

Da sind einmal die championatserfahrenen Reiter wie Daniel Deußer, Christian Ahlmann, André Thieme, Jana Wargers, Christian Kukuk, Philipp Weishaupt, Gerrit Nieberg, auch Marcus Ehning, wie Becker betont. Und da sind jüngere Leute, wie Richard Vogel und Kendra Claricia Brinkop beziehungsweise jene, die aus der zweiten Reihe kommen wie Maurice Tebbel und Hansi Dreher. Letzterer ist mit 51 Jahren der Senior im Kader, kann aber mit dem elfjährigen Holsteiner Schimmel Elysium v. Zirocco Blue unterm Strich das beste Saisonergebnis vorzeigen.

„Ich freue mich, wie sich manche Reiter entwickelt haben, Christian Kukuk hat noch einen Riesensprung gemacht hat, aber auch Hansi Dreher und Richard Vogel. Der Sieg in Barcelona war am Ende der Lohn und ich bin froh, dass wir nun einige Alternativen haben.“

Denn am Ende wird es darauf ankommen, dass die Pferde gesund sind und vor allem noch im Lande. „Ich hoffe, dass nicht noch welche verkauft werden“, sagt Otto Becker. „Die Nachfrage zurzeit ist riesig, der Markt ist gewaltig in Bewegung. Die ganze Welt sucht noch Olympiapferde.“ Bis zum Jahresende müssen potenzielle Paris-Pferde zumindest einen Mitbesitzer aus dem Land haben, für das sie starten sollen. Einer ist schon weg, der neunjährige Chacco’s Light, 2023 Deutscher Vizemeister von Maurice Tebbel, geht jetzt unter dem Iren Cian O’Connor, keinem Unbekannten. Dem Olympiasieger von 2004 wurde einst die Goldmedaille wieder aberkannt wegen Dopings mit einem Psychopharmakon, anschließend verschwand ein Teil der Probe spurlos auf dem Weg zum Labor in Newmarket. Nur weil das Labor in Paris noch einen Teil zurückbehalten hatte, konnte O‘Connor überführt werden. Beim Turnier in St. Tropez stellt er Chacco’s Light zum ersten Mal international vor, mit Nullrunden. Noch ein weiteres Pferd auf seiner Kaderliste stehe zum Verkauf, sagt Becker. Namen will er nicht nennen.

Das Programm, das die Reiter schon in den Wochen vor Paris haben, ist nicht ohne. Die einen gehen zur über die Welt verstreuten lukrativen Global Champions Tour, die anderen nach Florida auf die hoch dotierten Frühjahrsturniere und einige auch zum Weltcup. „Wir werden mit jedem einzelnen die Route nach Paris besprechen“, sagt Otto Becker. „Damit die Pferde vor Olympia auch noch Zeit zur Erholung haben.“ Hoffen wir, dass man auf ihn hört.

Sein belgischer Kollege, der Aachener Peter Weinberg, hat es einfacher. Er hat seinen Reitern klipp und klar gesagt, dass für ihn als Qualifikation nur Nationenpreise zählen. „Die Global Tour spielt in dem Punkt für mich keine Rolle“, sagt er. „Mal sind die Springen leichter, mal schwerer, mal ist die Konkurrenz stärker, mal schwächer, daraus kann ich keine Schlüsse ziehen.“ Vor allem nicht für einen olympischen Einsatz, der über fünf schwere Parcours in sechs Tagen geht.

Otto Becker wird sich bis zuletzt alle Optionen offenhalten. „Ich schlage keine Tür zu, ich werde mit allen reden, die in Frage kommen,“ sagt er. „Wir waren ja nie ganz weg vom Fenster, auch wenn wir mal Dritter oder Vierter waren. Wir waren immer konkurrenzfähig. Aber du musst nicht nur gut sein, du musst auch einen Lauf haben.“ Den hat er gerade mit seinem Team. Der muss jetzt nur bis zum nächsten Jahr halten, damit das ZDF öfter mal was über die Reiter berichten kann. „Wir arbeiten dran“, sagt Otto Becker.

Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Fred Archer

    Interessant Frau Pochhammer, bei Cian O’Connor auf den Gebrauch von Psychopharmaka hinzuweisen… warum weisen Sie nicht bei Isabell Werth auf den Einsatz von Dopingmitteln hin??

    • Sylvia

      Vielleicht weil es in diesem Zusammenhang gar keinen Sinn macht? Isabell Werth hat ja Chacco’s Light nicht gekauft, sondern Cian O’Connor.
      Abgesehen davon ist der Fall hier ja wohl noch einmal ganz anders gelagert, denn offensichtlich wurde hier ja mehr oder weniger mit kriminellen Machenschaften versucht, Spuren zu verwischen. Also bitte nicht alles wild in einen Topf werfen, nur um im negativen Sinne „name dropping“ zu betreiben.


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