Moment mal! Wildwuchs beschneiden – aber bloß nichts überstürzen!

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) passt alle vier Jahre ihr Reglement neuen Gegebenheiten und Entwicklungen an, zwischendurch wird nur in dringenden Fällen etwas geändert, vor allem, wenn das Tierwohl betroffen ist. Aber die jetzt veröffentlichte Liste von Reformvorhaben zeigt, dass die Mühlen der FEI mal wieder langsamer mahlen als die vom lieben Gott.

Die turnusmäßige Regel-Renovierung steht in diesem Jahr nur für das Distanzreiten an, aber auch für alle anderen Disziplinen konnten in den vergangenen Wochen und Monaten die Verbände Vorschläge einreichen, die jetzt in Lausanne vorsortiert und vorgestellt wurden, entschieden wird erst im Herbst bei der Generalversammlung in Mexico City.

Reichten Moses noch zwei Steintafeln für die zehn Gebote, auf denen alles draufsteht, was der anständige Mensch tut und lässt, nähert sich der Umfang der Regeln und Vorschriften nicht nur im Pferdesport inzwischen der Gesetzessammlung eines mittleren Staatswesens. Schwerpunkt der geplanten Neuerungen war die Verbesserung des Pferdewohls, getragen vom Zeitgeist und im Sinne der vielbesungenen Social License.

Zum Thema Tierwohl gehört unter anderem die gründliche Durchforstung der Ausrüstung im Springsport, ein Thema, dem wir uns auch im St.GEORG ausführlich und viel beachtet gewidmet haben (St.GEORG 6/2023). Was sich da so im Laufe der Zeit an Gebissen, Reithalftern, Zügeln, Sporen und anderen Marterinstrumenten eingeschlichen hat, gehörte eher in Ausstellungen mittelalterlicher Folterwerkzeuge denn auf den Turnierplatz. Bleibt die Frage: Warum hat die FEI so lange zugesehen, warum hat sie es überhaupt so weit kommen lassen, dass die Ausrüstung nun zum viel diskutierten (und fotografierten) Ärgernis wird? Leichter kann man es den Gegnern unseres Sports nicht machen als mit Bildern von aufgerissenen Mäulern und herumgezogenen Pferdeköpfen! Obwohl es natürlich nicht um die Gegner geht, sondern um unsere Pferde. Entschieden wird auch jetzt noch nichts, es sollen aber mehr Kontrollen durchgeführt werden. Das Thema wurde erstmal verschoben auf die nächste reguläre Änderung des Springreglements. Ist wohl nicht so dringend. Aus der Social License wird auf diese Weise schnell die Lizenz zur Folter. Interessanterweise kam der Vorschlag nicht vom Reiterclub, sondern vom irischen Verband und der internationalen Besitzervereinigung, die nicht zu Unrecht Verletzungen ihrer Pferde fürchtete.  Die Chance, selbst ein Zeichen zu setzen und in ihren eigenen Reihen aufzuräumen, haben die Springreiter vertan.  Immerhin sollen so genannte Kammsporen verboten werden, Sporen ohne Dorn, aber mit einer gezackten Innenkante, also einer kleinen Säge innen an der Ferse. Und der unbedarfte Zuschauer fragt sich: Welche Sadisten denken sich das alles aus?

Schlussnoten bleiben im Gespräch

Auch in der Dressur ist die Überarbeitung der Regeln erst im nächsten Jahr turnusmäßig fällig. Aber vor allem die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) nutzte die Gelegenheit, um das Thema Schlussnoten am Kochen zu halten, ein Thema, das seit ihrer Abschaffung 2018 die Szene beschäftigt. Diese Noten – Reinheit und Taktmäßigkeit der Gänge, Schwung und Elastizität, Gehorsam und Durchlässigkeit, Sitz und Einwirkung des Reiters – wurden bis auf die letztgenannte abgeschafft, mit der Begründung, sie ermöglichten den Richtern, ihre Noten zu manipulieren, also ihre „Favoriten“ nochmal mit zusätzlichen Punkten zu beglücken. All die genannten Kriterien würden bereits in jeder Einzelnote berücksichtigt. Das stimmt leider gar nicht. Es würde zum Beispiel bedeuten, dass ein Pferd, das durchgehend zu eng geht, keine Note besser als maximal „sechs“ haben dürfte. Die Schlussnoten, richtig vergeben, können zum Ausdruck bringen, ob das Pferd gemäß den klassischen Richtlinien ausgebildet ist und den Reitern Hinweise für ihren weiteren Weg geben. Der Antrag der deutschen und der österreichischen FN, sowie der europäischen Föderation EEF wurde nicht vertagt, sondern abgelehnt. Man müsste dann wohl zugeben, einen Fehler gemacht zu haben und das fällt nicht nur der FEI ungemein schwer. Aber Dranbleiben ist wohl die einzige Methode, wenigstens eine Schlussnote für das „Gerittensein des Pferdes“ zu retten. „Leider fehlt uns noch die Mehrheit“, sagt Bundestrainerin Monica Theodorescu.

Kognitive Belastbarkeit

Treibende Kraft für die Streichung der Schlussnoten war unter anderem der britische Dressurreiter Richard Davison, der einer Task Force der Nottingham Trent University angehörte, die 2018 zu dem Schluss kam, dass die Fußnoten „die kumulierte Auswirkung auf die kognitive Belastung verschlimmern“. Vielleicht sollte man Richter vor ihrem Einsatz auf „kognitive Belastbarkeit“ testen. Wo blieb der Protest der Richter, dass man sie offenbar durchweg für geistig minderbemittelt hält?

Gewiss im Sinne des Tierwohls ist die Abschaffung der Sporenpflicht in der Dressur. Wer sein Pferd ohne Sporen reiten kann und will, sollte das dürfen, eigentlich selbstverständlich.

Das Thema Wahlmöglichkeit zwischen Kandare und Trense wurde erstmal vertagt, auch hier soll eine „interdisziplinäre“ Studie abgewartet werden, und das kann natürlich dauern.

Pferde dürfen nicht mehr geschminkt werden. Das klingt jetzt absurd, aber ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, als eine schiefe Blesse oder ein einzelnes weißes Bein, das den vielleicht kognitiv überbelasteten Richtern ein Verwerfen oder eine Taktunreinheit suggerieren könnte, angemalt wurde. So ging man dem Problem aus dem Weg. Damit ist es jetzt vorbei. Aber ganz wichtig: Glitzersprays sind weiterhin erlaubt, selbst auf die Gefahr hin, dass sie manchen kognitiv überlasteten Richter ablenken könnten. Sonst bräche wohl für manche „Influencerin“ oder „Creatorin“ eine Welt zusammen. Sieht doch soo schön aus!!

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Sabin Brandt

    Wo ist der Like-Button für diesen Kommentar?!
    Danke, Frau Pochhammer!

    „Immerhin sollen so genannte Kammsporen verboten werden, Sporen ohne Dorn, aber mit einer gezackten Innenkante, also einer kleinen Säge innen an der Ferse. Und der unbedarfte Zuschauer fragt sich: Welche Sadisten denken sich das alles aus?“
    … und ich dachte, ich hätte schon alles gesehen …

  2. Ralf Claus

    Hallo Frau Pochhammer,
    es ist traurig, dass sich so gut wie nichts geändert hat. Das Pferd steht auch diesmal nicht im Mittelpunkt. Sporen, Reithalfter, als auch Gebisse gibt es dank Internet in rauhen Mengen. Wo der Tierschutz anfängt, oder aufhört ist auch diesmal nicht zu erkennen. In den hohen Klassen (S) ist alles möglich. In Aachen ritt eine Reiterin ihr Pferd im Springen mit einer Kombination aus Hackamore und Springkandare. Soll diese Zäumung ideal für Pferde sein. Diese Pferde tun mir nur Leid. Nach dem Sport sind diese Pferde kaum noch reitbar. Traurig, dass es auch heute noch sowas gibt. Lieben Gruß
    Ralf Claus

  3. Sylvia

    Wieder mal einfach lächerliche Worthülsen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, heißt es so schön. Irgendwelche Lippenbekenntnisse kann man sich dann auch sparen. Von all den genannten Punkten sehe ich die Zäumungen im Springen als den dringendsten Punkt an, denn die kann man kaum noch mit ansehen. Wenn Marcus Ehning aufgrund seiner Wassertrense und hannoverschem Reithalfter dermaßen abgefeiert wird, läuft etwas ganz gehörig schief.
    Ja, die Anpassung wird vielleicht komplizierter und langwieriger – ein Grund mehr, es auf der Stelle in Angriff zu nehmen.

  4. Andreas

    Am schlimmsten sah es bei Nicola Philipaerts mit Katanga v/h Dingeshof aus – einfach grausam.
    Wenn das der Laie sieht, ist es kein Wunder, daß die Diskussion um Tierschutz (berechtigterweise) munter weitergeht.
    Aber: Philipaerts wurde mit diesem Pferd für die EM nominiert…

  5. Bernhard

    Reiter richten sich nach dem Reglement. Wenn alles erlaubt ist, wird alles gemacht. Ein fachkompetentes Gremium sollte ein vernünftiges Reglement aufsetzen und das wird dann befolgt. In der Formel 1geht es ja auch und dort ist es technisch wesentlich komplizierter. Es braucht allerdings den politischen Willen.


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