Moment mal! Zur Entscheidung, Reiten aus dem Programm des Modernen Fünfkampfes zu streichen

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Moment mal! Die Kolumne von St.GEORG Herausgeberin Gabriele Pochhammer (© Foto Bugtrup/Montage: www.st-georg.de)

So viel wie in den letzten paar Tagen wurde wohl noch nie über den Modernen Fünfkampf geredet und geschrieben. Aber es sieht so aus, als ob wir, die Pferdeleute, uns nicht mehr oft damit befassen müssen. 2024 in Paris wird wohl das letzte Mal sein, 2028 in Los Angeles soll Reiten durch eine andere Disziplin ersetzt werden, durch welche, darüber wird gerade gestritten.

Es begann, hinreichend bekannt, mit den hässlichen Szenen aus Tokio: die deutschen Fünfkämpferin Annika Schleu versucht, verzweifelt und vergebens, ihr Pferd Saint Boy, ebenfalls verzweifelt und frustriert, über einen L-Parcours zu manövrieren. Die Szenen sorgten weltweit für Aufruhr und Empörung. Die Forderung, das Reiten im Fünfkampf durch eine andere Disziplin zu ersetzen, war von allen zu vernehmen, die Pferde und den Reitsport lieben, auch von uns, dem St.GEORG, aber auch von namhaften Reitern wie Isabell Werth. Auch der deutsche Fünfkampfverband sprach sich dafür aus, das Reiten durch eine andere Sportart zu ersetzen.

Der deutsche Präsident des Weltfünfkampfverbandes UIPM, Klaus Schormann, zeigte sich jedoch hartleibig, verteidigte das Reiten und gab Schleu allein die Schuld an den kläglichen Bildern. Doch offenbar war er mit seiner Meinung ziemlich allein. Dann auf einmal wendete sich das Blatt, das UIPM-Präsidium stimmte plötzlich, wie berichtet, mehrheitlich dafür, das Reiten zu ersetzen. Angeblich, so der Vizepräsident Joel Bouzou, überlege man das bereits seit 2018. Klingt ja auch besser, als wenn man zugibt, man habe sich dem Druck der Tierschützer gebeugt. Vermutet wird auch Druck vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Die IOC-Programm-Kommission, die über das Schicksal jeder olympischen Sportart entscheidet, tagt am 12. Dezember, bis zum 24. November soll die UIPM einen Vorschlag ohne Reiten einbringen. Radfahren war im Gespräch, wurde aber nicht bestätigt. Laut eines offenen Briefes der UIPM sollte die neue Sportart, kostengünstig, spannend und risiko-arm sein. Außerdem sollte es in dieser Sportart nicht bereits einen Weltverband geben, der dem IOC angehört, womit Radfahren schon wieder ausscheidet.

Dann, vor dem Wochenende, kam auf einmal leidenschaftlicher Widerstand aus einer ganz anderen Richtung, nämlich von den Athleten selbst, einschließlich der beiden Olympiasieger von Tokio, Joe Chdoong und Kate French, die sich vollkommen übergangen fühlten. Nicht weniger als 667 Fünfkämpfer, Ehemalige und Aktive, forderten den Erhalt der Disziplin Reiten im Pentathlon und den Rücktritt des gesamten Executive Boards. Dabei beriefen sie sich auf eine 109-jährige Tradition und auf den Schöpfer der modernen Olympischen Spiele, Baron Pierre de Coubertin, der den Modernen Pentathlon in seiner heutigen Form erfunden hat, als Allround-Test für den jungen Soldaten.

Militärische Vorbilder im Sport – ist das noch zeitgemäß?

Vielleicht sollte man den Fünfkämpfern mal sagen, dass schon ganz andere Dinge geändert wurden seit Coubertins Zeiten. Sie als Profis wären allesamt überhaupt nicht dabei, weil Coubertin noch den lupenreinen Amateur forderte, ein Ideal, das ja erst in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts schrittweise aufgeben wurde. Zu Coubertins Zeiten spielte das Pferd noch eine Rolle als „Kriegsgerät“, das tut es heute zum Glück nicht mehr. So mancher Kavallerist, der hoch zu Ross in den Zweiten Weltkrieg ziehen wollte, fand sich übrigens in der Fahrradkompanie wieder, insofern wäre das Radfahren vielleicht wirklich „moderner“. Man könnte sich allerdings fragen, ob militärische Vorbilder im heutigen Sport überhaupt noch zeitgemäß sind.

Natürlich gibt es auch bei den Fünfkämpfern gute Reiter, aber eben auch viele andere, und das nicht erst seit Tokio. Man könnte ihnen zurufen: Lernt erstmal reiten, bevor ihr euch aus dem Fenster hängt, zeigt mit dem Reitabzeichen, dass ihr die Grundlagen – Dressur, Springen und Theorie – beherrscht. Lernt die ethischen Grundsätze auswendig und betrachtet das Pferd nicht als Sportgerät, das man notfalls über den Kurs „zwingen muss“ (O-Ton eines erfolgreichen Fünfkämpfers), sondern als Partner, den man auf seine Seite bringen muss. Dem Weltverband möchte man zurufen: Schafft Regeln, die dem Pferd gerecht werden, mit Dopingproben, Fachtierärzten und Richtern, die bis vier zählen können. Mindestens so oft war nämlich Saint Boy bei seiner Vorreiterin widersetzlich gewesen und wenn Annika Schleu, wie es ihr zugestanden hätte, ein anderes Pferd bekommen hätte, wäre ihr und der Welt dieser ganze Schlamassel womöglich erspart geblieben. Hätte, hätte, da kommt dann wieder die Fahrradkette ins Spiel.

Uneinigkeit im Verband

So kann es den Fünfkampf seine olympische Existenz kosten, bitter für den Verband, der ohne die Fördergelder des IOC im wahrsten Sinne arm dran ist. Die Athleten frustriert, der Vorstand uneins und an der Spitze ein Präsident, den sein Geschwätz von gestern nicht stört. Als ich in Tokio nach dem Schleu-Desaster mit ihm reden wollte, kam als erstes (und letztes) die Antwort: „Ich rede nicht mit Journalisten, die lügen sowieso.“ Vielen Dank auch. Gegenüber der Sportschau sagte der 75-jährige ehemalige Berufsschullehrer am Sonntag: „Eine neue Sportart gibt es schon, Radfahren ist es nicht, aber ich sage nicht welche.“ Und feixte in die Kamera. Berichte, die fünfte Sportart sei bereits gefunden, seien falsch, informierte hingegen der Weltverband UIPM. Ja wer lügt denn nun? Mit seinem mühsamen Versuch, zurück zu rudern („Noch keine Entscheidung gefallen“), macht er sich und die Verbandsspitze einmal mehr lächerlich. Immerhin: Auf einmal dürfen die Athleten mitentscheiden, welche Sportart es sein soll, sie können sich registrieren und am nächsten Freitag in einem Videocall abstimmen. Uns ist alles recht, Hauptsache, sie lassen künftig die Pferde in Ruhe, am besten schon in Paris 2024.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Helmold Baron von Plessen

    Jedesmal, wenn i.d. St. Georg News die Ueberschrift : „Moment mal“ aufscheint, oeffne ich sie neugierig, da sie durchweg Interessantes, Kontroverses Bewegendes und auch oft Lehrreiches zur Sprache bringt. Diesmal sind allerdings einige Statements dabei, die mich erstaunen und von denen ich es schade finde, dass sie aus einer im Bereich Pferdezucht u. Sport so berufenen Feder stammen. Ich zitiere : die Forderung das Reiten i Fuenfkampf durch eine andere Sportart zu ersetzen, war von ALLEN zu vernehmen, die Pferde und den Reitsport lieben…….etc. etc. Meine Einstellung, die Disziplin Reiten im MODERNEN !!!! FUENFKAMPF durch eine andere Sportart zu ersetzten, habe ich in mehreren Kommentaren zu den entsprechenden Artikeln deutlich gemacht., die wohl mittlerweile auch der geschaetzten Redaktion des St. Georg bekannt sein duerften. Ich werde demnach als einer abgestempelt, der Pferde u. den Pferdesport nicht liebt. Aber es kommt noch besser. Ich zitiere : Militaerische Vorbilder im Pferdesport – ist das noch zeitgemaess ? Da wird unter anderem Kamerad Pferd zum „Kriegsgeraet“ degradiert. „Sportgeraet“ wird zu recht schon immer wieder angeprangert, aber Kriegsgeraet ist eigentlich noch diskrimierender, wenn man bedenkt, was, nicht das Geraet, sondern das Lebewesen, der unermuedliche Begleiter des Menschen ueber viele Jahrhunderte kriegerischer Auseinandersetzungen geleistet hat.

    Und nun die tiefe Verbeugung vor dem Zeitgeist. Ich zitiere : Man koennte sich fragen, ob militaerische Vorbilder im heutigen Sport ueberhaupt noch zeitgemaess sind. Darf ich fragen, ob der Redaktion des von mir sonst so hochgeschaetzten St. Georg bekannt ist, von wem der bis heute so oft zitierte wunderbare Ausspruch „Gutes Reiten reicht“ stammt ? Doch nicht etwa von einem militaerischen Vorbild ? Auch der letzte Satz von „Moment mal“ hat so seine Tuecken. Wenn man die Pferde total in Ruhe liesse, gaebe es sie bald nicht mehr, oder man muesste in ferne Steppen reisen, wo sie dann (laut FN Resolution) friedlich, neben den Woelfen einherleben. Spannend wird’s auf alle Faelle. Mal sehen was „Fuenkampfesstimme“ sagt. Ob man mal wieder einknickt, oder tatkraeftig die Disziplin Reiten im Modernen, wohlgemerkt modernen ! Fuenfkampf so aufstellt, dass sie in Ehren vor allen Pferdeleuten bestehen kann. Dazu wuensche ich nochmals Hals u. Bein !!!!!!


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