Blaue Zungen bei Dressurpferden von Patrik Kittel, Charlotte Fry und Isabell Werth?

Von
Zungen-Neumünster-2024

Blaue Zunge? Originalbild (oben links) und drei leichte Veränderung en (oben rechts und unten). (© st-georg.de)

Hatten Pferde in den Weltcup-Dressuren von Patrik Kittel, Charlotte Fry und Isabell Werth blauen Zungen? Ja, schreibt die schwedische Tageszeitung Aftonbladet und bezieht sich auf die Aussagen mehrerer Tierärztinnen. Es geht um Ritte in Amsterdam und Neumünster und um die Pferde Touchdown, Forever Young, Quantaz und Everdale. Aber wie blau ist blau? Zum Stand der Dinge.

Blaue Zungen in der Dressur wurden vergangene Woche von Schwedens größter Boulevardzeitung thematisiert. Der umfassende Artikel in „Aftonbladet“ ist überschrieben, „Stjärnans häst fick blå tunga – djuren plågas • Bilderna avslöjar Kittel“. Frei übersetzt heißt das: „Pferd eines Stars hat eine blaue Zunge – die Tiere leiden sehr • Bilder zeigen Kittel“. Die Autorin nimmt Bezug auf die Ritte von Patrik Kittel in Amsterdam (mit Touchdown) und Neumünster (mit Forever Young). Außerdem werden die Vorstellungen von Isabell Werth und Quantaz sowie Charlotte Fry (GBR) und Everdale in Amsterdam kritisiert.

Mehrere Bilder zeigen dunkelviolette Zungen. Entstanden sein sollen diese Bilder auf besagten Weltcup-Turnieren. Tenor des Artikels: Diese Zungen seien mit Sauerstoff unterversorgt. „Aus einer Reihe von Fotos, die Sportbladet (dem Sportteil von Aftonbladet) vorliegen, geht hervor, dass er (Kittel) und mehrere andere Spitzenreiter zu viel Druck auf das Maul ihrer Pferde ausgeübt haben.“

Wer steckt hinter den Fotos der blauen Zungen?

Im Publikum macht Crispin Parelius Johannessen Fotos. Später, so schreibt Aftonbladet, habe der Fotograf auf seinen Bildern die blauen Zungen entdeckt. Johannessen ist ein Name, der auch schon früher im Zusammenhang mit u.a. blauen Zungen bei Pferden von Patrik Kittel und Andreas Helgstrand aufgetaucht ist. Ob die blauen Zungen wirklich ein „Zufallsfund“ sind, muss man in Frage stellen. Denn der Fotograf hat in weiteren Interviews seine Intention beim Fotografieren von Turnieren klargemacht.

Die schwedische Internetseite Hippson.se schreibt, Crispin habe gegenüber Sportbladet erklärt, dass „die üblichen Reitsportfotografen, die bei Turnieren vor Ort sind“, gute Bilder von Prüfungen und der Siegerehrung auswählen und sie an die Zeitungen schicken. Er sieht seine Rolle anders:

Sie (die andern Fotografen) konstruieren das Bild, das wir sehen wollen. Ich mache Fotos von allem anderen.

Der Urheber der Bilder sagte demnach weiter, er sei ein vertrautes Gesicht für Veranstalter und Stewards geworden. Dabei sei er schon auf Widerstand gestoßen: „Ich habe schon erlebt, dass Stewards die Arme einhaken und sich vor mich stellen, um die Pferde zu verstecken. Es kommt auch vor, dass sie die Kontrolle der Nasenriemen an einen anderen Ort verlegen, außer Sichtweite von mir, wenn sie merken, dass ich da bin“. Das soll Crispion Parelius Johannessen Sportbladet gegenüber betont haben.

Tierärztliche Meinung einhellig

Tierärztinnen und Tierärzte, die die Bilder im Auftrag von Aftonbladet begutachtet haben, kommen alle zu einem ähnlichen Fazit: „Die Zunge ist blau-violett. So sieht eine gesunde Zunge nicht aus.“ Das ist die Aussage von Christine Levring, einer Tierärztin, die sich unter anderem mit Zahngesundheit beschäftigt. Die finnische Tierärztin Kati Tuomola, die an der Universität von Helsinki über Verletzungen durch Gebisse promoviert hat, unterstützt die Kollegin. Sie sieht auf den Bildern Zungen, die stark geschwollen sind. Damit einher gehe eine Sauerstoffunterversorgung, so die Tierärztin.

In die gleiche Richtung argumentiert der Australier Paul McGreevy von der University of New England. Bei den Ritten von Kittel, Fry und Werth in Amsterdam erkennt er blaue Zungen und zu eng geschnallte Nasenriemen in Verbindung mit strammen Kinnketten. Daraus resultiere eine eingeschränkte Durchblutung, eine Ischämie, der Zungen der Pferde. „Ischämie ist schmerzhaft. Wenn die Zunge blockiert ist, kann das Pferd nicht schlucken und die Atemwege nicht frei machen. Das kann für das Pferd sehr belastend sein“, zitiert das Blatt den dekorierten Verhaltensforscher McGreevy.

Tierärztin sieht neben blauen Zungen deutliche Stresssignale

Schließlich verweist Katarina Brunstedt, Zahnärztin an einer Stockholmer Pferdeklinik, neben den blauen Zungen auf andere Parameter, die ihrer Meinung nach belegen, wie hoch das Stresslevel der Pferde gewesen sein muss. Wie die drei zuvor Zitierten verweist sie explizit auf das Sperren, auf verkrampfte Gesichtsmuskulatur und den Umstand, dass das Weiße im Auge der Pferde von Kittel, Fry und Werth in Amsterdam zu sehen sei. Sie spricht von Anzeichen für das sogenannte Schmerzgesicht, das in einem Extraabschnitt des Artikels ausführlicher beschrieben wird.

Kittel antwortet auf blaue Zungen Vorwurf

Der schwedische Dressurreiter Patrik Kittel hat gegenüber Sportbladet Stellung bezogen. Das Blatt zitiert eine Textnachricht des 47-Jährigen: „Ich verstehe, dass die Bilder Fragen aufwerfen können. Aber ich weiß auch, dass sie kein repräsentatives Bild von den Ritten geben, die im Fernsehen übertragen wurden und die jeder in ihrer Gesamtheit auf Clipmyhorse sehen kann. Es handelt sich um einige Standbilder aus einem sechsminütigen Dressurprogramm, das von fünf Richtern vor Tausenden von Zuschauern bewertet wurde und bei dem ich mit beiden Pferden auf den vorderen Plätzen landete. Wie bei allen Wettbewerben auf diesem Niveau kontrollierten die Offiziellen unmittelbar nach dem Ritt Nasenriemen, Gebiss und Pferdemaul. Bei keinem meiner Pferde gab es nach den Ritten irgendwelche Beanstandungen. Ich habe Sportbladet auch einige Bilder von beiden Wettbewerben zur Verfügung gestellt, die sie gerne verwenden können.“ Kittel stand schon 2010 wegen blauer Zungen in der Kritik

Auch Charlotte Fry und Isabell Werth im Visier

Laut Aftonbladet wurden auch Charlotte Fry und Isabell Werth sowie die jeweiligen nationalen Verbände um Stellungnahme beziehungsweise Kontakt zu den Sportlerinnen gebeten. Eine Funktionärin des schwedischen Verbandes wird mit den Worten zitiert, man nähme das Wohlehrgehen der Pferde äußerst ernst. Um einen Kommentar gebeten wurden von Sportbladet des Weiteren die finnische Richterin Maria Colliander, die auf dem Bild von Touchdown in Amsterdam zu sehen ist. Auch der niederländische Richter Maarten van der Heijden wurde angefragt. Er richtete in Neumünster und ist auf dem Bild mit Forever Young zu sehen.

Darüber hinaus hat die schwedische Redaktion sich mit der Frage, welche Regeln gelten, wenn Pferde im Wettkampf eine blaue Zunge zeigen, an FEI-Generalsekretär Ingmar de Vos gewandt. Alle Anfragen blieben bis Freitag unbeantwortet, schreibt Aftonbladet. In der Pressestelle der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) war allerdings bis keine Anfrage diesbezüglich von Aftonbladet eingegangen. Das wurde gegenüber St.GEORG noch einmal bestätigt.

Isabell Werth möchte Metadaten sehen

Auf ihrem Instagram-Kanal hat Isabell Werth am Wochenende zu dem Artikel Stellung genommen. In Deutsch und Englisch schreibt sie, dass sie die Verfasserin des Textes um die Metadaten gebeten hat und erst zum Artikel Stellung beziehen möchte, wenn sie das Originalbild auswerten und „seine Authentizität sicherstellen konnte“. In diesen Metadaten sind nicht nur der Aufnahmezeitpunkt, sondern beispielsweise auch Bildinformationen zu den Originalfarben vermerkt.


Manipulation?

Fotos sind leicht zu manipulieren. Selbst Menschen, die keine Profis in Bildbearbeitung sind, können mit Standardprogrammen den Helligkeitsgrad und andere Parameter leicht beeinflussen. Wir haben bei diversen Fotografen, die in Amsterdam und Neumünster vor Ort waren in deren Bildarchiven Aufnahmen von den Ritten der besagten Pferd-Reiter-Paare angeschaut. Einige Bilder zeigen tatsächlich wie die Pferde sperren. Dabei sind die Zungen deutlich zu erkennen. Teilweise sind auch Teile der Gebisse zu erkennen. Bei Patrik Kittels Ritt mit Forever Young in Neumünster konnte man auch als Zuschauer mitunter die Zunge sehen. Dunkelblau erschien sie von der Tribüne an der kurzen Seite aus betrachtet aber nicht.

Um die unterschiedliche Farbwiedergabe zu demonstrieren haben wir in einem der Bilder aus Neumünster, das oben zu diesem Artikel veröffentlicht wurde, drei leichte Veränderung (oben rechts und unten) der Einstellungen des Originalbilds (oben links) vorgenommen, um zu zeigen. So kann man sehen, wie die Farbe der Zunge sich bei farblicher Abwandlung des gesamten Bildes mit verändert. Professionelle Bildbearbeitung könnte auch nur die Zunge einfärben. Solche Bearbeitungen lassen sich nachweisen, wenn man das Original vorliegen hat.

Auch interessant

Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).

  1. Jana

    Die unteren beiden Bilder sind leider abgeschnitten. Auf den oberen BEIDEN Bildern, sieht man jedoch deutlich dass die Zunge die gleiche Farbe hat wie das Zahnfleisch und das wird nicht blau.

      • Jana

        Ach nein? Gut, dass jeder selbst Augen im Kopf hat. Jetzt sieht man es auch auf den anderen 2 Bildern deutlich.
        Hat der Fotograf die unbearbeiteten Bilder schon rausgerückt? Nein? Komisch.
        Es läuft sicher nicht alles glatt, aber so langsam wird ganz schön übertrieben und anscheinend auch gerne mal nachgeholfen um die nächste gewinnbringende Schlagzeile zu produzieren.

  2. Brigitte Farmer

    Wenn es stimmt , ein Skandal!
    Die ganze Reiterei von A bis Z gehört überholt ! Angefangen mit Horsemanship! Das Pferd ist! eine Seele, ein Individuum u kein Sportgerät!!!

  3. Susanne

    blaue Zungen hin oder her, wirklich losgelassen wirken die Pferdegesichter auf allen Bildern nicht und gerade Profis sollten eigentlich so reiten können, dass ein Pferd zufrieden aussieht. Würde man da ansetzen, würden solche tierschutzrelevanten Stories vielleicht gar nicht mehr auftauchen…

    • Kim

      Das ist falsch.
      Die FEI verbietet nur die Veröffentlichung (nicht die Aufnahme!) von bewegten Bildern, also von Videos und das auch nur bei bestimmten Veranstaltungen.
      Weil bei denen die Bildrechte an jemand teuer verscherbelt wurden, der die Rechte dann nicht mit 1000 Influencern teilen möchte.
      .
      Die Veröffentlichung solcher Fotos bleibt also weiterhin jederzeit legal.

  4. Stini

    …die wissen schon warum sie die Veröffentlichung von Bildern von solchen Veranstaltungen untersagen wollen.
    Ein ernsthaftes Aufräumen und eine ernsthafte Aufklärung sieht anders aus. der Sport schafft sich selber an!!! Und das ist bei der Einstellung auch gut so!!! Der Wille für ein Leistungssport der dem Tier gerecht wird ist leider nicht da!!! Schade das man die Kehrtwende verpasst hat. Und den Heuchlern von PETA in die Karten spielt.🙄🙄🙄

  5. Ralf Claus

    Hallo liebe Pferdefreunde,
    solche Fotos sind keine Seltenheit. Vor ca. 30 Jahren bat mich eine Pferdebesitzerin ihr Pferd zu reiten. Dieses Pferd wurde von einem Springreiter aus den Niederlanden bis zur Klasse S gesprungen. Das Pferd sah im Maul furchtbar aus. Zudem war dieses Pferd auf dem rechten Auge blind. Das Pferd hatte einen Reitunfall (Ständer) und verlor das Augenlicht. Zählt nur noch der Erfolg?
    Was wird aus den Pferden nach der Turnierzeit? Reitet ehrlich. Dann habt Ihr noch viel Freude an eurem Vierbeiner.


Schreibe einen neuen Kommentar