Kür Europameisterschaft 2019: die sieben Ritte der ersten Hälfte

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Claudio Castilla Ruiz (ESP) und Alcaide, Publikumslieblinge in der ersten Hälfte der EM Rotterdam 2019 Grand Prix Kür (© Pauline von Hardenberg)

Hier ein Blick auf die erste Hälfte der Grand Prix-Küren in Rotterdam bei den Europameisterschaften. Hans Peter Minderhoud (NED) führt, Carl Hester (GBR) hatte einen heißen Delicato unterm Sattel.

Dressurhöhepunkt bei der Europameisterschaft Rotterdam: Grand Prix Kür. Die 15 besten Paare aus dem Grand Prix Special am Start. Nur Sönke Rothenberger durfte nicht starten, da nur die besten drei Teilnehmer einer Nation für die Kürentscheidung qualifiziert sind. Die Frage stand im Raum: Wird Isabell Werth ihre 25. Goldmedaille bei Europameisterschaften gewinnen?

Die ersten sieben Kür-Ritte im Telegramm:

In der Zwischenwertung hat der Niederländer Hans Peter Minderhoud die Führung übernommen. Carl Hester, eigentlich einer der Favoriten in dieser ersten Hälfte hatte einen heißen Hawtins Delicato unterm Sattel.

Hans Peter Minderhoud (NED) und Dream Boy

Die dann doch eingetroffenen Zuschauer im Stadion drücken Hans Peter Minderhoud und Dream Boy die Daumen. Das Paar reitet im hinteren Bereich des Vierecks zunächst eine Passage-Volte gefolgt von einer Piaffe bei A. Orchestrale Wucht für die Passage, Pauken, Streicher – aber ein zartes Piano bestimmt das eigentliche Thema, die wiederkehrende Melodie, was für die Ohren der Richter gedacht ist.

In den Traversalen verkantet sich der Vivaldi-Sohn leicht, Längsbiegung wünschte man sich in der Lektion mehr. Nymphenhafte Frauenstimmen intonieren ein „haaaaaaaahhaaaaaa“ zum starken Schritt (7,5).

Im Galopp zunächst Seitwärtsbewegungen, dann starker Galopp über die Diagonale und eine doppelte Pirouette am Ende, ein Kür-Klassiker. Zwischenzeitlich hat ein Streicher den Piano-Part übernommen. Aber zu den Serienwechseln (Zweierwechsel 7,4, Einerwechsel 7,6) erobert sich das Piano wieder die Vorherrschaft. Einerwechsel auf der Diagonalen, das kann man kreativer zeigen.

Passage-Traversalen leiten das Ende ein. (7,9). Die Niederländer feiern ihren „HP“. Kollektiver Aufschrei beim Resultat: 81,546 Prozent, zwischenzeitlich die Führung.

Gareth Hughes (GBR) und Classic Briolinca

Musik aus der TV Serie Outlander. Sie mutet keltisch (irisch, schottisch) an. Mit vielen „Fiddles“. Passagen, Piaffen (einige mit beinahe zu vielen Tritten) machen den Auftakt. Flöten und Geigen zu fließenden ganzen Trabtraversalen. Auch ein irischer Dudelsack (oder ist es eine mittelalterliche Drehleier?) sind zu vernehmen. Die Stute zeigt herrliche Piaffe-Pirouetten und äußerst akzentuierte Passage-Traversalen. Ihr Schritt ist eher von übersichtlicher Machart.

Pauline von Hardenberg

Gareth Hughes und Classic Briolinca – die besten Briten bei der Europameisterschaft 2019 in Rotterdam, auch in der Grand Prix Kür (© Pauline von Hardenberg)

Dann Galopp: Im starken Tempo über die Diagonale F-X-H, nicht zu originell. Gareth ist präzise mit seiner Musik an den vorgesehenen Punkten. Auch die Zweierwechsel erfolgen auf einer etwas steileren Diagonale. Kleines Stocken vor und nach der Pirouette, die aus einer Traversale entwickelt wird. In den Einerwechseln (auf einer Diagonalen, wo sonst …) sind einige nach links etwas kürzer gesprungen.

Dann Musikwechsel, mehr Rhythmus, mehr Trommeln und noch eine Piaffe mit gesenkter Kruppe und voller Aktivität. Der Schlussgruß kommt im Anschluss etwas überraschend. Fazit: Tolle Piaffen, etwas wenig kreativ die Choreographie.

80,125 Prozent – das ist nach der ersten Hälfte Platz zwei!

Therese Nilshagen (SWE) und Dante Weltino

Nach zwei Auftritten, die nicht ohne Fehler waren, reitet die Schwedin nun in die Grand Prix Kür ein und piaffiert sofort nach dem Gruß. Daraus gleich ein starker Trab und Passage. Motive aus Adeles Ballade „Rain“ – mal schnell, mal langsam – bestimmen die erste Trabtour. Tolle weit kreuzende Trabtraversalen wechseln sich mit Passage-Traversalen ab. Streicher und E-Bass untermalen das, Marke Eigenbau von Michael Erdmann. Die Piaffen müssten lebhafter sein. Auch diesmal kommt der Rapphengst nicht ohne Fehler durch die Zweierwechsel. Da hilft auch nicht, dass Sia beschwörend „The greatest“ über das Viereck schmettert. „Don’t give up“ klingt es aufmunternd zu Zickzack-Traversalen – niemals aufgeben! In den Galopppirouetten hat Dante Weltino zwischenzeitlich Fehler in den Hinterbeinen. Teuer (5,4), denn auch in der Kür zählen ja zumindest die Pirouetten doppelt. Dann noch mal Adele, bzw. eine Studiosängerin, Susan Albers, „Fire to the Rain“ auf der letzten Mittellinie. Passage und daraus im starken Trab direkt bis vor die niederländische Chefrichterin Mariette Sanders van Gansewinkel.

78,946 Prozent, knapp fünf Prozent weniger als bei der Bestleistung dieser Kür in Aachen vor ein paar Wochen.

Claudio Castilla Ruiz (ESP) und Alcaide

Der kleine Fuchshengst aus Spanien beginnt im Galopp. Piano zu einer doppelten Pirouette, dann gleich einhändig gerittene Einerwechsel die Mittellinie auf C zu. Am Ende gleich noch eine doppelte Galopppirouette. Starker Galopp über die Diagonale und Übergang aus diesem Tempo in eine Piaffe mit Richtungswechsel und anschließender Passage-Traversale – ganz ohne Kastagnetten und toll ausgeführt. Rhythmisch und gleichmäßig. So auch der starke Trab. Denn dieser iberische Hengst kann auch richtig losmarschieren. Aber die akzentuierte Passage, die Piaffe (beides mit dem Faktor zwei in der Wertung, siehe unten) macht ihm so schnell niemand nach. Schwierigkeitsgrad in einigen Lektionsabfolgen: 9,6! Die Bewertung liegt schnell bei 77 Prozent. Zweierwechsel auf einer „einfachen Schlangenlinie“, Zickzack-Traversalen links und rechts der Viertellinie – in Sachen Platzaufteilung punktet Claudio Castilla Ruiz. Und wenn Alcaide 21 Einerwechsel springt, hat man den Eindruck, es könnten noch 40 weitere folgen. Für den theatralischen Schlussgruß, in der Pose eines Impressarios, erntet er Extra-Applaus. Die Musik untermalt den Ritt, aber so richtig spannend ist sie nicht. 77,861 Prozent, das hätte noch deutlich mehr sein dürfen, gerade im Vergleich der vor ihm rangierten Paare!

Juliette Ramel (SWE) und Buriel

Die zweite von vier Küren aus der Feder von Michael Erdmann, die es heute hören gibt (Patrik Kittel, Therese Nilshagen und Isabell Werth sind die anderen, die auf Erdamnn schwören). Eine Eigenkomposition, etwas „Mystisches“, sagt der Kürkomponist. Ein Orchester, wieder mit Wucht, so wie man das häufig hört seit Jahren in der Kür weltweit.

Ramel setzt in den ersten Minuten voll auf die Piaffe-Passage-Qualitäten ihres niederländischen Wallachs. Witzig: Angaloppieren auf der Diagonalen aus dem Trab, der vermutlich stark sein sollte, so genau ist das bei der Halseinstellung von Buriel nicht zu erkennen. Doppelten Pirouetten rahmen Galopptraversalen nach links und rechts ein. Die Zweierwechsel auf zuunächst gebogener Linie (quasi die erste Hälfte einer einfachen Schlangenlinie bis zur Mittellinie reichend) vor einer eineinhalbfachen Galopppirouette vor Punkt A misslingen. Der Wallach scheint die Hilfe nicht zu verstehen.

Bei den Einerwechseln klappt aber die halbe einfache Schlangenlinie, die sich dann im Geradeaus weiter auf der Mittellinie fortsetzt. Satte Streicher plus Piano untermalen den Schritt, der knapp und begrenzt ausfällt. So findet die Musik aber wieder zu dem „großen Kino-Stil“ zurück, der am Ende für den Wechsel zwischen Fächer-Piaffen und Passagen notwendig ist.

74,346 Prozent für die junge Schwedin, die gemeinsam mit ihrer Schwester Antonia die Mannschafts-Bronzemedaille in Rotterdam bei den Europameisterschaften gewonnen hat.

Carl Hester (GBR) und Hawtins Delicato

Carl Hester hat die Musik gewählt, zu der er bei den Olympischen Spielen von London den unvergessenen Uthopia geritten hat, „meine Lieblingsmusik“. Ein buntes Klang-Potpourri, das mit Perkussion beginnt. Dazu sind Passage-Traversalen vorgesehen. Statt der entscheidet sich Hawtins Delicato aber für Galopp, schnell von Carl Hester korrigiert. Dann zum Wechsel von Passage-Traversalen und solchen im versammelten Trab „We are here“ von The White Noises (einfach mal googlen, kennt man von vielen Turnieren) – hier herrschen die Celli vor. Die erste Piaffe gelingt gut, dann eine halbe Passage-Volte vor A und ein guter starker Trab über die Diagonale, auf die Mittellinie mündend. Dann wieder ein Stocken in der Piaffe-Pirouette. Die Spannung kommt klar zum Ausdruck im Schritt, der Diamond Hit-Sohn geht wie ein Panter, dann zackelt er, man könnte auch sagen passagiert an der kurzen Seite, der versammelte Schritt fällt aus. Auch im Galopp ist die Überschrift „Spannung“. Gleich Fehler in den Einerwechseln zum Auftakt.

Pauline von Hardenberg

Carl Hester (GBR) und Hawkins Delicato, EM Rotterdam 2019 (© Pauline von Hardenberg)

Weißer Schweiß rinnt Hawtins Delicato vom Hals. Auch die Zweierwechsel glücken nicht, die doppelten Galopppirouetten sind groß.Dazu ist ein glockenklarer Sopran ohne  weitere Instrumentierung zu vernehmen. Am Ende dann „Zadok, the Priest“. Das ist wohl das älteste Stück Musik, das wir heute zu Gehör bekommen. Georg Friedrich Händel hat es komponiert. Und wie wir alle, die wir im Musikunterricht gut aufgepasst haben, wissen, war Händel erstens in London ansässig und hat die Musik zweitens zur Krönung von George II. 1727 komponiert. Passt ja irgendwie zu Carl dem Großen … Und nun klappt zum Schluss die Piaffe doch noch und der Übergang zur Passage ist der beste, den das Paar während der gesamten Europameisterschaften gezeigt hat. Die Passage-Traversale ist noch nicht vorbei, da ist die Musik am Ende. 70,732 Prozent

Henri Ruoste (FIN) und Rosetti

Der Finne aus Nordrhein-Westfalen und der Däne Rosetti v. Romanov sind die Überraschungsteilnehmer an dieser Grand Prix-Kür. Nach dem Gruß steigt der Däne, irgendwann ist der Gang nach vorne wieder drin. Schade, denn die Trabtraversalen des Elfjährigen wissen zu gefallen. Die Raumaufteilung ist aber nicht zu kreativ. Die Passage und eine erste Super-Piaffe wird von Beats unterlegt, die man in jedem Autoradio gut bei Sonne in einem Cabrio hören könnte.

Gezupfte Gitarre zum Schritt. Dann erneutes Steigen im versammelten Schritt, recht unverhofft und ziemlich hoch mit einem Satz nach vorne. Im Galopp spitzt der dänische Warmblüter immer mal wieder die Ohren und Henri Ruoste reitet geschickt sein Programm, das nicht zu kompliziert ist – die Serienwechsel stets auf der Diagonalen – zu Ende. Am Ende passagiert Rosetti schön auf der Mittellinie und trabt dann mit viel Ausdruck im starken Trab zum Schlussgruß. Die große Bühne, vielleicht noch etwas zu früh.

67,982 Prozent


Kriterien der Grand Prix Kür

Anders als in Grand Prix und Grand Prix Special gibt es in der Kür nur vier Lektionen, die in zweifacher Wertung in die Note einfließen: Die beiden Galopppirouetten, die hier auch doppelt geritten werden dürfen und die Piaffe und die Passage. Wohlgemerkt in der A-Note. In der B-Note gibt es fünf Kriterien, die mit dem Koeffizienten 4 multipliziert werden:

  • Takt, Energie und Elastizität
  • Harmonie zwischen Reiter und Pferd
  • Choreographie, Raumaufteilung innerhalb des Vierecks, Einfallsreichtum
  • Schwierigkeitsgrad, Risikobereitschaft
  • Musik und Interpretation der gewählten Musikstücke

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Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).