Schweden Team-Europameister Springen, Deutschland nach Stargold-Ausfall Vierter

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Schweden ist Team-Europameister Springen 2023! (© Pauline von Hardenberg)

Es war ein turbulentes Springen, bis die Schweden als Team-Europameister Springen 2023 feststanden. Die Skandinavier legten eine beispielhafte Konstanz an den Tag. Überraschend gewannen die Österreicher Bronze hinter den Iren. Deutschland musste auf Marcus Ehning und Stargold verzichten. Beinahe hätte es dennoch zu Bronze gereicht. Immerhin stehen drei Deutsche im Finale am Sonntag.

Das war kein Dämpfer, sondern eine Hiobsbotschaft. Beim Abreiten fühlte sich Stargold nicht so an, wie Marcus Ehning seinen Hengst kennt. Der Stakkato Gold-Sohn war morgens im Training noch unauffällig gewesen. Beim Fertigmachen habe sich der Hengst dann aber beinahe überschlagen, so Marcus Ehning. Der Braune habe sich etwas steif angefühlt, war aber nicht lahm. Irgendwie konnte er aber „den Rücken nicht so aufmachen“, wie Ehning das von seinem Aachen-Sieger gewohnt ist. Konsequenterweise verzichtete Ehning auf einen Start.

Im Nachhinein bestätigte die Physiotherapeutin des deutschen Teams, Meike Geier, Ehnings Verdacht: Ein Wirbel sei blockiert gewesen, sagte Bundestrainer Otto Becker nach Abschluss der Teamentscheidung in Mailand.

Da waren’s nur noch drei

Vier Abwürfe unterliefen den verbliebenen drei deutschen Startern. Bitter für ein Team, das immerhin, wenn auch knapp, nach dem ersten Umlauf in Führung gelegen hatte. Andererseits wurde es noch ein vierter Platz im Mannschaftswettbewerb. Andere Teams, die gestern noch aufgetrumpft hatten, mussten heute Federn lassen. Allen voran die Equipe aus der Schweiz, die sich schlussendlich auf Rang sechs wiederfand. Das Minimalziel, die Mannschaftsqualifikation für die Olympischen 2024 in Paris, haben die Eidgenossen damit erreicht. Wenn auch knapp – der dritte von drei bei der Europameisterschaft zu vergebenden Plätze.

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Steve Guerdat (SUI) liegt mit Dynamix de Belhem auf Rang zwei in der Zwischenwertung. (© Pauline von Hardenberg)

Bester Schweizer vor den beiden Finalspringen am Sonntag ist Steve Guerdat mit der überragend springenden Dynmaix de Belhem. Einmal schielte die Stute, mit der Guerdat die Spiele von Paris anpeilt, zum Wassergraben, den es aber nicht zu springen galt. Das Paar liegt mit 0,43 Punkten auf Platz zwei der Einzelwertung hinter dem auch nach drei Parcours fehlerfrei führenden Schweden Jens Fredricson mit Markan Cosmopolitan. Dritter ist nun Michael Duffy aus Irland, der bei Helena Stormans in Aachen trainiert. Mit der 14-jährigen Holsteiner Casall-Tochter Cinca bringt er 2,18 Zähler mit in den Entscheidungstag.

Zineday macht seinen ersten Fehler

Nach dem überraschenden Aus von Marcus Ehning und Stargold, musste Philipp Weishaupt mit Zineday in den Kurs. Der Fuchs, ehemals gekört und seit der Kastration konzentrierter und erfolgreicher, sprang alle Hindernisse sicher und souverän – bis auf eines. Ausgerechnet an einem Steilsprung in Brauntönen, Hindernis drei, das bislang keine nennenswerten Fehler produziert hatte, fiel die obere Stange. „Vielleicht hat er da ein bisschen zur Bande geguckt, er sprang nicht zu Ende“. Aber einen Vorwurf könne er seinem Pferd nicht machen. Dass der Abwurf zählt für die deutsche Equipe war ihm bewusst, nun müsse man halt „auf ein kleines Wunder hoffen“, versuchte er sich im Mutmachen direkt nach seiner Runde. 4,31 Zähler lassen ihn auf Rang sechs in den Finalparcours gehen.

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Eigentlich auch heute in Ausnahmequalität unterwegs, aber leider ein Abwurf: Philipp Weishaupt und Zineday. (© Pauline von Hardenberg)

Das erste Drittel des Parcours von Jana Wargers und Limbridge hatte noch gut ausgesehen. Gut und schön. Das letzte Drittel genauso. Nur mittendrin passierte das, was nicht passieren sollte. Und das gleich zweimal. Nach der zweifachen Kombination gab es einen Abwurf an einem Steilsprung mit Wasserfolie dahinter. Keine zehn Sekunden später fiel auch noch die Planke in italienischen Farben, Hindernis acht – ciao Bella Italia! Die Reiterin konnte sich vor allem den ersten Fehler nicht erklären.

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Jana Wargers und Limbridge unterliefen heute gleich zwei Springfehler. Ihren Platz im Einzelfinale haben sie aber dennoch sicher. (© Pauline von Hardenberg)

„Vielleicht lief es bis dahin einfach zu schön, vielleicht einen Moment nicht gekämpft“, zuckte sie ratlos mit den Achseln. Planken hingegen, könnten schon einmal ein Thema sein für Limbridge. Den Limbus-Sohn hätte man am Sonntag noch einmal erleben (10,28/21.) können, aber Jana Wargers verzichtet auf einen Start.

Kein „Wunder von Ben“ – aber eine Rehabilitation

Gerrit Nieberg und Ben mussten in den Jubel nach Rolf Göran Bengtssons Ritt ins Stadion einreiten. Das Mannschaftsgold für Schweden war zwar schon vorher perfekt, aber die Nullrunde des 61-jährigen Championats-Oldies riss das Publikum mit. Und Ben? Der zeigte sich in deutlich besserer Verfassung als an den Vortagen. Bis Sprung zehn, dem Steilsprung auf der Linie zur dreifachen Kombination, an dem viele Paare scheiterten, war alles liegen geblieben. Dort aber fiel die Stange, danach sprang der Westfale wieder sicher. „Ziemlich gemischt“, seien seine Gefühle, sagte Gerrit Nieberg im Anschluss. „Ich bin super happy mit der Runde an sich“. Und dennoch wollte das ganz zufriedene Durchatmen noch nicht einsetzen. „Wenn man so dicht an einer Medaille dran ist, mit einem Fehler weniger…“

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Um Klassen besser als in den ersten beiden Wertungsprüfungen zeigte sich Ben heute unter Gerrit Nieberg. (© Pauline von Hardenberg)

Bundestrainer Otto Becker hätte sich mehr gewünscht. Der Ausfall von Routinier Ehning sei aber „ein Nackenschlag“ gewesen. Den Fehler von Zineday, „erst neun Jahre alt“, wollte er nicht so hoch aufhängen. Letztendlich seien drei Deutsche fürs Finale qualifiziert. „Und Christian (Kukuk) hat heute eine super Runde gedreht, noch besser als gestern.“

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Mitfiebern in der Kiss and Cry-Corner des deutschen Teams. (© Pauline von Hardenberg)

Christian Kukuk und Mumbai qualifiziert fürs Einzelfinale

Lange Zeit sah die Runde von Christian Kukuk und Mumbai gut und sicher aus. Manchmal musste der 33-Jährige „etwas mehr Bein“ geben. Aber im Prinzip galoppierte der Schimmelhengst in der ihm so typischen Art mit wenig Beizäumung rhythmisch über den Parcours. Das Schicksal ereilte die beiden dann nach der Distanz zwischen einem Steilsprung und der dreifachen Kombination. Immerhin elf fehlerfrei überwundene Hindernisse lagen da hinter dem Riesenbecker Duo. Doch die oberste Oxerstange, der Einsprung der dreifachen Kombination, lag einfach zu hoch, bzw. der Diamant de Semilly-Sohn sprang einfach minimal zu tief – Fehler. Auch am zweiten Oxer wackelten die Stangen ein bisschen. Aber die letzte Linie war dann wieder souverän wie der Rest des Parcours es zuvor gewesen war.

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Christian Kukuk und Mumbai sind im Einzelfinale der EM mit von der Partie. (© Pauline von Hardenberg)

Vier der 15 qualifizierten Einzelreiter blieben ohne Abwurf, zwei davon ohne Zeitfehler. Weil aber der Pole Przemyslaw Konopacki nach seinem Ritt disqualifiziert wurde, war Kukuk Zweiter nach den Einzelreitern. 6,04 Strafpunkte stehen für ihn vor dem Finale auf dem Konto, am Ende war das Rang neun. Der französische Individualstarter Olivier Perreau und Dorai d’Aiguilly (2,79/4.)  rangieren nach einem Zeitfehler vor ihm. Auch der Brite Ben Maher schob sich noch mit Faltic davor, auch vor Philipp Weishaupt. Maher, bester der glücklos agierenden Briten (Team: Neunter) liegt auf Platz fünf (3,13).

Schweden Team-Europameister im Springen

Die Schweden überzeugten nicht nur mit dem Abstand zu den zweitplatzierten Iren – 8,49 Strafpunkte, mehr als zwei Abwürfe, sondern durch die Teamleistung. Alle vier Teamreiter sind für das Einzelfinale qualifiziert. Der in Führung liegende Jens Fredricson bringt es auf den Punkt: „Es gab keine Diskussion, wir sind hierher gekommen, um eine Goldmedaille zu gewinnen. Und das haben wir gemacht“. Henrik von Eckermann, der nach einem Abwurf seiner Iliana nun Achter ist (4,7), bedankt sich bei seinen Kollegen: „Die letzte Teammedaille, die mir noch in der Tasche fehlte.“ Der Teamspirit trage die Equipe, mache ihm aber auch zu schaffen. Er habe ein Piepen im Ohr, vermutlich wegen der Anspannung. „Ich bin ruhig beim Reiten, aber der Rest ist ein Desaster“, verrät die Nummer eins der Welt.

Rolf Göran Bengtsson freut sich, mit Zuccero wieder ein Weltpferd zu haben (8,81/13.): „Vor 22 Jahren habe ich meine erste Medaille gewonnen, da waren einige der anderen noch kleine Kinder“, grinst er verschmitzt.

Der Superstar der Schweden ist aber jemand anders: Cicci, die Schimmelstute von Wilma Hellström (9,5/18.), der rechts der komplette Augapfel fehlt: „Meine Stute ist wohl berühmter als ich,“ freut sich ihre Reiterin. Das Erfolgsgeheimnis der Schweden liegt ihrer Meinung nach am großen Gesamtplan, „und der Respekt, den jeder vor einander hat, der macht es aus“.

Iren selbstbewusste Silber- und Talentschmiede

Der irische Equipechef Michael Blake neigt nicht zum Tiefstapeln. Selbstbewusst verweist er darauf, dass die Iren im Nachwuchsbereich so ziemlich jede Meisterschaft in diesem Jahr gewonnen hätten. Selbst zwei kurzfristige Veränderungen der Starter hätten ihn nicht verunsichert. Er sagt, er könne aus dem Vollen schöpfen. 30 Reiter auf Fünf-Sterne-Niveau habe die grüne Insel in internationalen Springprüfungen am Start. Und die, die hier sind, „haben das Land an erste Stelle gestellt“, bedankte er sich bei seinen Reitern, die die Silbermedaille gewannen.

Drei irische Schimmelreiter sind am Sonntag noch dabei: Michael Duffy, von dem seine Trainerin Helena Stormans sagt, er sei „ein super Junge“, ist mit Cinca Dritter (2,18), Shane Sweetnam und James Kann Cruz v. Kannan sind Elfte (6,87) und mit 8,95 liegt Eoin McMachon aus den Beerbaum Stables mit Ludger Beerbaums Mila an Position 14.

Österreich sorgt für Alpenglühen

Seit 1992 gab es keine Springmannschaft aus Österreich mehr bei Olympischen Spielen. Nun darf Team Austria sich auf Paris 2024 freuen. Dass auch noch eine Bronzemedaille hinzukommt, konnten noch gar nicht alle realisieren.

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Max Kühner (AUT) und Elektric Blue (© Pauline von Hardenberg)

Max Kühner, als Zehntplatzierter (6,16) mit Elektric Blue der Beste im Team AUT, sieht nicht nur Paris 2024, sondern den Gesamtzusammenhang: „Das war immer die Hoffnung auf die Olympiaqualifikation. Eine große Sache für uns. Ich hoffe, das bringt Pferdeinteresse in unser Land. Mehr Besitzer, mehr Horse Power.“ Dass es keine Strategie war, die den Österreichern den Podiumsplatz bescherte, gibt er freimütig zu: „Wir hatten keinen ganz großen Plan, heute waren wir einfach die Glücklicheren“.

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Gerfried Puck und Naxcel V (AUT) (© Pauline von Hardenberg)

Gerfried Puck, auch schon aus dem Lager der Graumelierten, freut sich für die Nation, sich selbst und seinen Hengst Naxcel v. Balou du Rouet, der gekört ist: „Ein ganz besonderer Tag für mich, Italien ist meine zweite Heimat, Rolf (Göran Bengtsson) hat mich viel unterstützt. Und ich habe ein selbstgezogenes Pferd, der nun auch als Deckhengst sicher noch interessanter geworden ist. Ich habe viele Meisterschaften versucht, das letzte Mal in Windsor“.

Der morgige Samstag ist wettkampffrei bei den Europameisterschaften der Springreiter. Am Sonntag stehen die beiden Finalspringen um den Einzeltitel an.

Die Ergebnisliste mit der Einzelrangierung findet sich hier.

Dies ist das offizielle Endergebnis in der Mannschaftswertung der Europameisterschaft Springen 2023 in Mailand.

Jan TönjesChefredakteur

Chefredakteur ab 2012, seit 2003 beim St.GEORG. Pferdejournalist seit 1988. Nach Germanistik/Anglistik-Studium acht Jahre tätig bei öffentlich rechtlichem Rundfunk, ARD, SFB, RBB in Berlin. Familienvater, Radiofan, TV-erfahren, Moderator, Pferdezüchter, Podcasthost, Preise: Silbernes Pferd, Alltech Media Award. Präsident Internationale Vereinigung der Pferdesportjournalisten (IAEJ).