Moment mal! Alle wollen Pferde sehen

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Wie schon in Leipzig und Amsterdam an den Wochenende davor: Corona weg (oder fast), Tribünen wieder voll. Pferde und Reiter versetzen Menschenmassen in Ekstase, nur als Wink ans IOC. Bis auf ein paar sogenannte Aktivisten, die wollen überhaupt keinen Sport mit Pferden. Einfache Lösung: Sollen sie doch weg bleiben und nicht halbnackt den Parcours stürmen.

Am vergangenen Wochenende war ich beim Jumping Bordeaux, wo die vorletzte Qualifikation der Springreiter für das Weltcupfinale in Omaha (USA) an Ostern ausgetragen wurde. Bordeaux ist ein Weltcup-Platz der ersten Stunde. Nur drei Veranstalter waren von Anfang an, also seit 1978, dabei, außer Bordeaux auch Göteborg und Brüssel. Dortmund und Berlin waren auch mal Stationen, ersteres ist zu einer Mittelklasse-Veranstaltung herabgesunken, und in der Berliner Deutschlandhalle findet Reiten ja schon lange nicht mehr statt. Aber Stuttgart und Leipzig sind mehr als würdige Nachfolger, zum Glück.

Mich hatte Pascal Renauldon eingeladen, der Pressechef, den ich seit einem halben Menschenalter kenne. Das Presseteam besteht aus ihm und seinen beiden Töchtern Sophie und Adèle, und die drei machten wirklich alles möglich. Untergebracht war ich, welch Luxus, im Pullmann-Hotel direkt am Lac de Bordeaux. Beim Frühstück wimmelte es von dünnen kleinen Mädchen in weißen Reithosen, meist mit langer Pferdeschwänzen, die hier mit ihren Eltern für das Finale des französischen Ponyspringchampionats residierten. Beritten waren die Girls auf phantastischen, mir recht groß erscheinenden Ponys. Gegen die Übermacht der Camilles, Cyrielles und Lucilles hatten es die wenigen Jungen schwer, wie überall.

„Vive la France“

Da der Samstag fast ausschließlich den Ponyreitern vorbehalten war, genehmigte ich mir einen Ausflug in die Stadt, die Straßenbahn hielt direkt vor dem Hotel. Ich kenne keine Großstadt in Deutschland, in deren Zentrum sich die uralte Bausubstanz so phantastisch erhalten hat. Enge Gassen und große Boulevards werden gleichermaßen gesäumt von diesen herrlichen Häusern aus dem 18. Jahrhundert mit ihren heruntergezogenen Fenstern, die nie durch Bomben dezimiert wurden. Da es der letzte Tag des Schlussverkaufs war, drängelten sich die Menschen auf den Straßen genau so dicht an dicht wie in der Ausstellung des „Jumping de Bordeaux“, wie das Event korrekt heißt. Im Grunde ist es eine Equitana mit angeschlossenem Turnier. Selbst am Sonntag morgen war es schon so voll, dass ich meinen Plan aufgab, einmal durch alle Hallen zu schlendern. Von Schlendern konnte ohnehin keine Rede sein, man wurde geschoben und gedrückt, ob man wollte oder nicht. Wer noch kein Corona hatte, kriegte es spätestens jetzt.

privat

Extravagante Stiefel-Styles auf der Messe bei Jumping de Bordeaux. (© privat)

Von Freitag bis Sonntag, waren die Tribünen bei jeder Prüfung bis auf den letzten Platz besetzt. Ohrenbetäubender Jubel, immer wenn ein französischer Reiter seine Sache gut machte. „Vive la France“, rief dann der Sprecher ins Rund. Ich stelle mir gerade vor, in Aachen oder Leipzig würde der Ansager nach einem guten deutschen Ritt jubeln „Hoch lebe Deutschland“. Käme wohl nicht so gut. Aber fairerweise muss man sagen, dass die Leute jeder guten Leistung, egal, wer sie erbrachte, begeistert applaudierten.

Ein Highlight war das Indoor-Derby am Freitagabend. Die Geschichte des 20-jährigen Angloarabers Punch de L‘Esques, der unter Karim Florent Laghouag zum vierten und letzten Mal die Prüfung auf Drei-Sterne-Niveau gewann – er hat die Rente jetzt durch – habe ich ja schon erzählt. Dieses Pferd kann wirklich lesen und schreiben. Aber auch Michi Jung war sehr zufrieden mit seinem Kilkandra Ocean Power und Platz vier. „Das war ein Supertraining für ihn“, sagte er, „so ein Kurs, auch wenn er etwas kringelig war, macht ihn schneller im Kopf, das kommt uns nachher auch draußen zugute“.

Fragezeichen nach Fastverweigerung

Keine wirklich plausible Erklärung fand Christian Ahlmann nach dem Weltcupspringen für die Fastverweigerung von Solid Gold Z am Einsprung der Dreifachen, er sprang mitten durch das Hindernis durch. Ahlmann gab nach einem Gehorsamssprung auf. Womöglich wurde der Hengst durch das nächste Pferd irritiert, das schon in der Bahn war, ein Versuch der Veranstalter, Zeit zu sparen, als sich ein reichlich besetztes Stechen abzeichnete. „Da hat der Hengst hingeguckt und sich für einen Moment ablenken lassen“, mutmaßte Ahlmann. Wer hat nochmal gesagt, Testosteron sei die Geißel der Menschheit? Der Pferdebevölkerung offenbar auch.

Jedes gute Turnier hat seine magischen Momente, der eine war der zehnte Weltcupsieg von Boyd Exell, dem König auf dem Bock. Er weiß, dass sein Sport in der Halle den Menschen die Show liefert, nach der sie sich sehnen. Und vielleicht findet der eine oder andere dann auch mal den Weg zu den Outdoor-Turnieren, so jedenfalls die Hoffnung von Boyd und seinen Vierspänner-Kollegen, die anders als in Leipzig einen flüssigen freundlichen Kurs vorfanden, der schlimme Szenen verhinderte.

Edouard Schmitz: Träumen von Olympia

Zeug zum Weltklasse-Star bewies der Schweizer Edouard Schmitz, wie schon in Amsterdam Zweiter im Weltcupspringen und nun fürs Finale in Omaha qualifiziert. Der 23-jährige Student der Informatik, dessen internationale Seniorenkarriere nach einer eher unauffälligen Junioren- und Junge-Reiter-Zeit im vergangenen Sommer Fahrt aufnahm, ist in Genf aufgewachsen. Heute lebt er in der Nähe von Zürich, trainiert mit Thomas und Markus Fuchs und lässt sich auch in der Uni blicken, wenn er denn dazu kommt. Drei Sprachen spricht er fließend – Französisch, Deutsch und Englisch – und mit drei Spitzenpferden liegt ihm die Welt zu Füßen, da darf man von Olympia träumen. Er kommt nicht aus einer Reiterfamilie. „Gar nicht, aber als ich als Kind zum ersten Mal auf ein Pony gesetzt wurde, wollte ich nie wieder runter.“ Quno, wie der 14-jährige Holsteiner v. Quo Vados heißt, den er in Leipzig ritt, gehört seiner Mutter, der Vater ist Banker. Und Eltern sind ja bekanntlich die besten Sponsoren.

Originell ist es ja schon lange nicht mehr, aber auch in Bordeaux hatten sie ihren – wenn auch kurzen – Auftritt: sogenannte Tierschützer, die unbedingt den Pferdesport abschaffen wollen. Diesmal sprangen sie während des Großen Preises über die Bande, entledigten sich ihrer Oberbekleidung und entblößten ihre Astralkörper, auf denen dann mit schwarzer Farbe geschrieben stand: „No Horse Sport“. Der Niederländer Maikel van der Vleuten musste seinen Ritt unterbrechen, bis Sicherheitskräfte die jungen Leute wieder eingefangen hatten. Das Publikum pfiff und buhte, und zeigte damit, was es von derlei Aktionen, die auch noch Ross und Reiter gefährden, hielt: Nichts. Erstaunlich allerdings die Reaktion der Sicherheitsleute, die ich nach Details des Auftritts fragte. Ein junger Mann, der einzige in der Gruppe, der Englisch sprach, begann zu erzählen, als ihm sofort ein älterer Kollege einen Maulkorb verpasste. „Wir geben keine Auskunft“, befand er. Ob das der richtige Weg ist, um das Problem in den Griff zu bekommen?

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. Catharina

    Liebe Frau Pochhammer,

    danke für diesen schönen Artikel, der uns mitnimmt auf die Turniere dieser Welt. Ich liebe Ihre Beiträge zu den jeweiligen Events. Sie sind stets das Highlight, neben den sportlichen Erfolgen. Egal ob Olympia oder Europameisterschaften oder jetzt hier Bordeaux, es macht einfach Spaß Ihre bildhaften, kritischen, lustigen und vor allem lebensechten Artikel zu lesen. Also vielen Dank dafür.


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