Moment mal! Reiten – die modernste aller Sportarten

Von
Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Die Geschlechtergleichheit ist eines der hehren Ziele der Pariser Olympiaveranstalter. Und die ist in kaum einer Sportart so überzeugend umgesetzt wie beim Reitsport. Dem Pferd ist es egal, welches Geschlecht der Mensch auf seinem Rücken hat und wie alt er ist. Das sollte genügen, dem Pferdesport einen Stammplatz im Olymp zu sichern. In Paris werden 32 Sportarten am Start sein, es waren schon mal über hundert, aber so dubiose Wettkämpfe wie Hindernisschwimmen, Weitspucken und Tauziehen mussten wieder gehen.

Das Bild ist typisch, und das gibt es so in keinem anderen Sport. Siegerehrung in Doha, Fünfsterne-CSI. In der Mitte der Italiener Emanuele Gaudiano, der soeben ein 1,55 Meter Springen gewonnen hat, mit militärischen Gruß, nicht dick, nicht dünn, nicht alt, nicht jung, aber doch das, was man als gestandenes Mannsbild bezeichnen würde. Die linke Gesichtshälfte ist etwas lädiert, er war auf dem Abreiteplatz gestürzt. Neben ihm zwei fragile Frauen, links, auf Platz zwei die Französin Jeanne Sadran, rechts die drittplatzierte noch zierlichere Schwedin Malin Baryard-Johnsson.

instagram.com/alshaqab/

Emanuele Gaudiano mit lädiertem Gesicht nach seinem Sieg zwischen der zweitplatzierten Jeanne Sadran und der drittplatzierten Malin Baryard-Johnsson. (© instagram.com/alshaqab/)

Der Pferdesport kennt weder Generations- noch Genderproblem, weder bei den Reitern noch bei den Pferden. Niemand behauptet heute noch, dass Frauen weniger leistungsfähig im Parcours, Gelände oder Dressurviereck sind als Männer oder Stuten weniger als Hengste. Da seien Janne Friederike Meyer-Zimmermann, Sophie Hinners, Jana Wargers und viele andere davor, um nur drei zu nennen. Stuten wie Ratina Z, Touch of Class, Fine Cera, Bella Rose und Dalera waren und sind die vierbeinigen Stars ihrer Generation. Das war, was die Reiterinnen angeht, nicht immer so und hat sich erst grundsätzlich gewandelt, als Reiten nicht mehr eine Hochburg des Militärs war, als die Parcours raffinierter und technischer, die Pferde rittiger und reaktionsschneller wurden und weniger Kraft erforderten. Und seitdem es nicht mehr (meist männlichen) Ärzten überlassen ist, die physischen Möglichkeiten von Frauen zu beurteilen. Dass mit Körperkraft keine Medaille zu gewinnen ist, dass es auf andere Qualitäten ankommt, wie Gefühl und Balance, das sind Binsenweisheiten, die den Frauen entgegenkommen. Die Organisatoren der Olympischen Spiele in Paris haben sich die Geschlechtergleichheit ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben und der Pferdesport ist in dieser Hinsicht ein Leuchtturm.

Auch das Alter spielt im Pferdesport kaum eine Rolle, es gab 75-jährige Olympiakandidaten, wie den Japaner Hiroshi Hoketsu, der in Rio der älteste Olympiateilnehmer aller Zeiten gewesen wäre, das verhinderte der kurzfristige Ausfall seines Pferdes. Als Josef Neckermann seine letzte Olympiamedaille 1972 in München gewann, war er schon im Rentenalter. Der 59-jährige Nelson Pessoa musste 1994 beim Großen Preis von Aachen seinem 21-jährigen Sohn Rodrigo den Vortritt lassen, für die Weltmeisterschaft in Stockholm vier Jahre zuvor brauchte der damals 17-jährige Brasilianer eine Sondergenehmigung.

Alter spielt keine Rolle genauso wenig wie Hautfarbe oder Geschlecht, von daher ist kaum ein olympischer Sport integrativer und zeitgeistiger als der Pferdesport und müsste eigentlich bei denen, die darüber befinden, wer zur olympischen Familie gehören darf, ganz oben stehen.

Doch immer neue Sportarten stehen Schlange, sich in das medienträchtige Mega-Ereignis einzuklinken. In Paris ist Breakdance dabei. Andere Disziplinen wurden im Lauf der Jahrzehnte wieder vor die Tür gesetzt, beim Pferdesport Voltigieren, aber auch der Pferdehochsprung und -weitsprung.

Tauziehen, Sackhüpfen, und Weitspucken

Nach sechs Auftritten wurde das Tauziehen wieder abgeschafft, hier dominierten die Briten, aber auch die Deutschen gewannen 1906 olympisches Gold. „Tug of War“ gehört bis heute zu jeder schottischen Country Fair. Die Disziplin Hindernisschwimmen werden die Athleten nicht vermissen, dazu musste 1900 in Paris durch die schon damals nicht besonders saubere Seine geschwommen, unter Booten getaucht und über Schiffe geklettert werden.

Dem antiken Vorbild folgend, gehörten früher auch die schönen Künste zum Olympischen Programm. Diese Idee wollte Pierre de Coubertin, der Schöpfer der modernen Olympischen Spiele, wieder aufleben lassen. In Amsterdam 1912 wurden nicht weniger als 1100 Kunstwerke eingereicht. Noch in London 1948 konnten sich Künstler mit Arbeiten in den fünf Kategorien Bildhauerei, Baukunst, Literatur, Musik und Malerei bewerben. Vorausgesetzt, die Werke hatten was mit Sport zu tun. Auch so abstruse Vergnügungen wie Weitspucken und Sackhüpfen schafften es kurzfristig ins Olympische Programm. Dem Schießen auf lebende Tauben statt Tontauben wird niemand hinterherweinen, mehrere hundert Tauben mussten in Paris 1900 ihr Leben lassen, heute flattern sie nur noch bei der Eröffnungsfeier in alle Welt, als Friedenssymbol. Das hat Olympia nötiger denn je.

Wenn sich heute eine neue Sportart bewirbt, muss sie fetzig und schnell verständlich sein, darf nicht zu lange bis zur Entscheidung benötigen, in mindestens 75 Ländern ausgeübt werden und vor allem jungen Leuten Spaß machen. Da wären wir dann bei den Computerspielen, die weltweit Millionen an die Rechner holen, von einer finanzstarken Lobby gepusht werden, die sich mit viel Geld dem IOC andient. Ist das Sport? Natürlich nicht. Aber das waren die Gedichte der Antike ja auch nicht. Warten wir es also ab.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.

  1. RS

    Die olympischen Spiele sind verkommen zu einer reinen Kommerz-Veranstaltung. Der Reitsport schlingert in genau diesem Fahrwasser immer tiefer in den Sumpf, sodass das Reiten generell von der Bevölkerung zunehmend als Tierquälerei abgelehnt wird. Für den Erhalt einer echten Reitkultur täte man gut daran, sich freiwillig aus den olympischen Spielen auszuklinken.

  2. Iska Bartels

    MOMENT MAL, Frau Pochhammer!

    Die Frage ist doch gar nicht, ob Reiten die modernste Sportart ist, sondern ob diese noch in ein zeitgemäßes Olympiaformat passt.

    Dem Zeitgeist entspricht es nicht mehr, einen durch und durch vom Geld dominierten professionellen Sport in dem olympischen Repertoire zu lassen, in dem das Pferdewohl, wie jetzt gehäuft zu Tage tritt, maximal an zweiter Stelle steht.
    Näher ausführen brauche ich das wohl in diesen Zeiten nicht mehr!

    Reiten mag einzigartig sein, das betrifft jedoch insbesondere die Rücksichtslosigkeit dem Tier gegenüber.

    Schlagwörter wie: Gleichberechtigung, Generations- Genderprobleme oder auch Geschlechtergleichheit sind zwar in der Tat gut umgesetzt, aber unterstützen in der Tat nur Reiter*innen.
    Dem Pferd helfen Sie nicht!

    TAUZIEHEN, SACKHÜPFEN, UND WEITSPUCKEN

    sind mir allemal lieber als

    ROLLKUR, BARREN, UND SCHLAGEN

    Mit besten Grüßen

    • Ellen

      Ich sehe den Pferdesport mittlerweile auch als deplaziert bei Olympia. Es muss sich etwas bewegen, um diesen enormen Kommerz zu stoppen. Olympia ade, wäre ein erster Schritt. Wenn’s um Geld geht, galoppieren Anstand und Fairness rastlos in die falsche Richtung, auch (und nicht nur) im Pferdesport. Die daraus resultierenden „Ermüdungsbrüche“ sehen wir, Tag für Tag. Das Pferd ist so etwas Wunderbares und was sich viele hier erlauben ist einfach nur beschämend.

  3. Sabine Brandt

    „Der Pferdesport kennt weder Generations- noch Genderproblem, weder bei den Reitern noch bei den Pferden. “

    Das kann man in einer woken Welt so formulieren, ist aber in Zusammenhang mit Olympia eher ein kausal gefälliger Zufall.

    „Follow the money“ trifft es eher und es ist allein die Macht des Geldes, die weder Generations- noch Genderprobleme kennt.

    Keine Sportart diskriminiert stärker als der Reitsport: finanziell.
    Je höher der Anspruch, umso tiefer sind die geforderten Taschen.

    Gerade Olympische Spiele tragen alle Jahre wieder zu einer kruden Positivauslese derer bei, die es sich leisten können: die zahlreichen Besitzwechsel potentieller Olympiapferde im Vorfeld der Spiele sprechen für sich.

    Die einen haben tiefe Taschen und „kaufen“ sich so ihren Zutritt zum „hehren“ Dabeisein-ist-alles Gedanken, die anderen profitieren von zwangsweise zu vergebenen Rössern, weil der eigentliche Reiter gesperrt wurde – aus Gründen.

    Olympischer Sportsgeist?
    Breakdance in Paris hat davon sicherlich mehr zu bieten.

  4. Julia

    Im Reitsport war es mal toll, dass dort auch Frauen mit Männern reiten können. Mittlerweile ist gerade der Dressursport so abgehoben von der „ländlichen“ Turnierreiterei, dass sich nur noch „Berufstöchter“ dort etablieren können. Ich gönne jedem seinen Erfolg und die Damen reiten auch alle gut, aber es ist kein wirklicher Sport mehr, sondern nur noch ein Elitending. Im Springen gibt es vielleicht noch ein, zwei Ausnahmen, aber auch da geht es nur mit richtig viel Kohle. Welcher richtig gute Profi ohne Geldgeber im Hintergrund ist in den letzten Jahren international nach oben gekommen? Es gibt viele gute Profis, die Pferde in den Sport bringen, die dann verkauft werden müssen und so treue Sponsoren wie Madeleine Winter- Schulze gibt es dann doch nicht.
    Lange rede kurzer Sinn: der Profisport ist total uninteressant geworden und Olympia hat für mich schon lange seinen Glanz verloren. Es ist mir egal, ob reiten olympisch bleibt oder nicht. Sportliche Werte zählen weder bei Olympia noch im Reitsport, nur Geld…
    Ich finde die Entwicklung sehr schade und möchte auch nicht den alten Zeiten hinterher jammern, es ist so und ich gucke Pferdesport nicht mehr an, damit kann ich leben. Zu Hause versuche ich sportlich, aber pferdefreundlich zu reiten und habe da noch meine Freude, den ganzen Profizirkus muss ich mir nicht antun.

  5. berndride

    Ihr seid doch naiv. Glaubt ihr denn in den anderen olympischen Sportarten wie Fußball, Boxen, Golf usw. würde es nicht um Geld gehen? Glaubt ihr, ihr könntet im Skifahren ohne Geld Medaillen gewinnen? Glaubt ihr wirklich mit weniger Geld würde es den Pferden besser gehen? Glaubt ihr ärmere Menschen sind besser zu ihren Tieren als reiche Menschen? Im Ernst?

    • Sabine Brandt

      Eine Frage der Verhältnismässigkeit.

      Einige tausend Euro und eine Menge täglichen (eigenen) Schweiss und Training für den sportiven Zweibeiner in anderen Sportarten sind ein etwas anderer Maßstab als einige hunderttausend oder Millionen Euro für den Kauf eines GP Pferdes.

      Ein mässig begabter Teamsportler, Läufer, Skifahrer oder Schwimmer wird es auch mit allem Geld der Welt in keinen Olympiakader schaffen. Beim Reiten (VS aussen vor) sieht das anders aus.

      Und nein, den Pferden geht es deshalb nicht besser oder schlechter, aber der Blog handelt von olympischen Gedanken, „hehren“ Zielen und Märchen aus Tausendundeiner Nacht.

    • Ellen

      Es gibt mit ganz großem Abstand keinen anderen olympischen Sport, bei dem das Thema „Materialschlacht“ eine so entscheidende Rolle spielt. Und das widerspricht ganz glar dem olympischen Gedanken. Dem Golfer hilft es nicht, wenn mit seinem Schläger vorher ein besserer Spieler gespielt hat und er dann den Schläger übernimmt. Beim Boxer ist es egal, wer vorher mit seinen Boxhandschuhen geboxt hat. Beim Reiten sieht die Sache ganz anders aus. Insb. im Dressursport lassen sich weniger talentierte Reiter:innen ihre Pferde von Anderen ausbilden bzw. immer wieder korrigieren und reiten dann die Pferde durch die Prüfungen. Mit dieser Vorarbeit könnten viele bei Olympia starten, die weit mehr Talent haben, als so Manche/r, den man bei Olympischen Spielen (und nicht nur dort) reiten sieht. Ein gut ausgebildetes/gerittenes Pferd nachreiten können viele. Dazu muss man nicht zur Weltelite gehören. Und ja, eine olympische Medaille bringt Geld, das ist auch völlig in Ordnung. Dafür hat der/die Olympiateilnehmer/in schließlich hart AN SICH gearbeitet – und nicht Andere dafür bezahlt.

  6. Sylvia

    Das wirkt schon sehr bemüht, über die Gleichberechtigung von Männern und Frauen die Legitimation für Olympia zu suchen.
    Mittlerweile bestreiten sehr viele Profis Olympia, das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen.
    Der wunde Punkt ist doch aktuell ein ganz anderer, und so lange der nicht ernsthaft angepackt wird, wird das Image des Reitsports halt immer mehr leiden.


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