Interview mit Ludger Beerbaum über seine Entscheidung, seine und die Zukunft des Sports

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Ludger Beerbaum und Mila auf ihrem letzten Parcours in der Aachener Soers. (© von Korff)

Beim CHIO Aachen hat der vierfache Olympiasieger Ludger Beerbaum spontan und überraschend seinen Rücktritt vom Spitzensport bekannt gegeben. Im Gespräch mit St.GEORG-Herausgeberin Gabriele Pochhammer lässt er seine Karriere Revue passieren, teilt seine Pläne und seine Gedanken über Gegenwart und Zukunft des Sports.

St.GEORG: Wie geht es Ihnen nach dem Abschied vom großen Sport?
Ludger Beerbaum: Ich bin aufgeräumt und mit mir im Reinen. Es fühlt sich richtig an. Aber um meine Gefühle genau zu beschreiben, dafür ist alles noch zu frisch.
Im Moment wird es mir nicht langweilig, wir sind in den Vorbereitungen für unser Global Champions Tour-Turnier (20. bis 23. Juli, Anm. d. Red.). Ich reite, ich organisiere, ich mache das, was ich die Wochen vor Aachen genauso gemacht habe. Es könnte schon sein, dass ich, wenn es nachher wieder losgeht, die anderen zum Turnier fahren, schon noch Entzugserscheinungen haben. Trotzdem: Mein Kopf sagt mir, die Entscheidung war absolut richtig.

St.GEORG: Sie reiten zuhause die Pferde im Training weiterhin?
Ludger Beerbaum: Ja, zum Beispiel bei einem Late Entry Turnier, da werde ich schon den einen oder anderen Youngster reiten. Aber ich werde ganz sicher nicht mehr international groß auftreten.

St.GEORG: Der Entschluss  in Aachen kam ganz spontan, nachdem Mila so gut ging?
Ludger Beerbaum: Er kam letzten Endes spontan. Aber ich habe mich mit dem Gedanken schon ein, zwei Jahre lang getragen. Als der Sturz in Doha passierte mit dem Oberschenkelhalsbruch, da dachte ich, jetzt hast du den Abschied wahrscheinlich verpasst. Die Entscheidung, in Aachen den Abschied durchzuziehen, wo ich drei Wochen vorher noch gar nicht wusste, ob ich dort überhaupt reite, das war spontan.

St.GEORG: Was war der schönste Moment in 35 Jahren Spitzensport?
Ludger Beerbaum: Im Rückblick sowohl emotional als auch von der Wertigkeit her war das der Olympiasieg 1992 in Barcelona mit Classic Touch. Er bedeutete für mich auch einen gewissen Durchbruch in die Reihe der Etablierten.

St.GEORG: Sie saßen ja gleichzeitig zum letzten Mal auf Classic Touch. Da mischten sich auch die Gefühle bei Ihnen, wenn ich mich erinnere.
Ludger Beerbaum: Ja, absolut.

St.GEORG: Der schlimmste Moment?
Ludger Beerbaum: Den schlimmsten Moment weiß ich auch ganz genau. Das war der Anruf von Reinhard Wendt (damaliger Sportchef der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Anm. d. Red.) im Oktober 2004, als er mich gefragt hat „sitzt du oder stehst du“? Mein Olympiapferd Goldfever war positiv auf Betamethasone getestet. Ich weiß sogar noch, wo ich gerade war, in welchem Raum, hier im Stall im Büro. Es war an einem Freitag. Nachher war das dann klar mit der Salbe. Die Medaille war weg, aber zum Glück nicht die Glaubwürdigkeit.

St.GEORG: Und die RTL -Geschichte vor anderthalb Jahren – die konnte Sie ja eigentlich nicht richtig treffen, es ging ja nicht um Sie persönlich.
Ludger Beerbaum: Ja, schon, aber die war sehr schmutzig und ausschließlich aus populistischen Gründen bei einem etwas prominenteren Reiter gemacht. Das war auch schlimm für mein Umfeld und meine Familie, für meine Frau und meine Kinder.

St.GEORG: Sie haben drei Kinder. Würden Sie Ihnen so eine Karriere gönnen und wünschen, wie Sie sie gemacht haben? Würden Sie sagen, das ist für einen jungen Menschen ein guter Weg?
Ludger Beerbaum: Ich habe drei Kinder und die Stieftochter Vivian, die bei uns aufgewachsen ist. Das ist eine schwierige Frage, auf die es kein einfaches Ja oder Nein gibt. Einerseits haben sie es ein kleines bisschen einfacher, weil sie am Anfang leichteren Zugang haben zu einem Umfeld, in dem man mal ein Pferd hat oder ein Turnier besuchen kann, als ich früher. Aber am Ende haben sie es doch viel schwerer, weil jeder guckt und man immer verglichen wird. Ich bin die ersten 15, 20 Jahre meines Lebens rumgerannt, da hat sich niemand für mich interessiert. Ich konnte machen, was ich wollte, schlecht reiten, langsam, schnell. Das ist tatsächlich einfacher, wenn du so anfängst. Das würde ich meinen Kindern auch wünschen. Natürlich gönne ich ihnen jeden Erfolg und wenn es dann so kommt, und einer das wirklich möchte, dann würde ich das absolut unterstützen. Vivi und mein Sohn Alex haben ihr Leben ganz gut hinbekommen, ohne den Sport zu priorisieren. Und die beiden anderen, meine Töchter im Alter von 12 und 14, sind noch zu klein. Warten wir es mal ab. Ich treibe sie nicht an.

St.GEORG: Wie hat sich der Sport verändert seit Beginn Ihrer Karriere?
Ludger Beerbaum: Der Sport hat sich wahnsinnig verändert. Er ist größer geworden, es gibt viel mehr Turniere, es gibt viel mehr Reiter, vor allem international. Die ganze Industrie hat sich weiterentwickelt, nicht nur aus Reitersicht. Wer im Pferdemetier einen Job anstrebt, vor oder hinter den Kulissen, der hat heute deutlich mehr Chancen als vor 35 oder 40 Jahren. Ich weiß noch, wie meine Eltern immer gesagt haben: Ludger, vergiss das mit dem Reiten, mach das zu deinem Hobby und lerne einen vernünftigen Beruf. Es war bei uns zu Hause überhaupt kein Thema, dass man mit Reiten seinen Lebensunterhalt verdienen könnte.
Die Spitze ist breiter geworden, früher waren in Aachen vier, fünf Reiter auf der Starterliste, die gewinnen konnten, heute ist es mindestens die Hälfte des Feldes. Die Konkurrenz ist größer geworden, Deutschland ist nicht mehr das einzige Land, das Top-Sport veranstalten kann. Die Reiterei, aber auch die Pferdezucht haben sich weiterentwickelt.

St.GEORG: Sie haben ja alle möglichen Pferdetypen geritten. Wie hat sich die Zucht in Ihren Augen entwickelt?
Ludger Beerbaum: Ich kann natürlich nur vom Springsport reden. Wir haben mehr blutgeprägte Pferde, ein bisschen leichtere Pferde, die Parcourszeiten sind kürzer als früher, es gibt viel mehr gut ausgebildete Reiter, die in der Lage sind, in der vorgegebenen Zeit über den Parcours zu reiten und die mit diesen blütigeren Pferden umgehen können.
Natürlich hat sich auch das Preisgeld entwickelt, ich erinnere mich an Zeiten, da gab es für die Sieg im Großen Preis von Aachen 10.000 D-Mark. Marcus Ehning hat jetzt 500.000 Euro gewonnen.

St.GEORG: Sie veranstalten ja jetzt auch eine Station der Global Champions Tour. Die Serie wird oft dahingehend kritisiert, dass sie sich vom normalen Turniersport abhebt, und ein ganz eigenes Leben führt, dass quasi eine sportliche Parallelwelt entstanden ist. Wie beurteilen Sie die Global Tour?
Ludger Beerbaum: Ja, ich bin jetzt auch als Veranstalter mit einer Etappe dabei, davor zehn, elf, zwölf Jahre lang als Teilnehmer. Zur Bewertung und Analyse unseres Sports gehört natürlich auch zu sagen: Wir können nicht in Deutschland drei Aachen haben, oder auch nur in jedem Land. Ich hoffe, dass das CHIO in den nächsten Jahrzehnten weiter hochgehalten wird, als Nationenpreisveranstaltung und mit dem Großen Preis.
Aber Aachen ist eine Non-Profit-Veranstaltung. So etwas geht nur mit der Unterstützung durch die FN, die NRW-Regierung, mit Fördermitteln und und und. Alle anderen Veranstalter, die sich sonst noch tummeln, sind angewiesen auf Sponsoren, Mäzene, auf Einnahmen aus dem Verkauf von VIP-Angeboten. Wir sind nun mal nicht der Fußball mit seinen Fernsehquoten und Fernsehgeldern, die da generiert werden. Da braucht es halt andere Einnahmequellen.
Da ist die Global Champions Tour eine Mischung aus mehreren Komponenten. Der Titelsponsor Longines ist der klassische Sponsor, aber da gibt es auch andere Leute, die bereit sind, eine ganze Menge Geld zu investieren, damit es diese Turniere auf diesem hohen Level gibt. Es sind ja nicht nur die Vermögenden, die eine Paycard haben, sondern es gibt auch die andere Hälfte, wie etwa Marcus Ehning, Christian Ahlmann, Ben Maher oder Scott Brash. Insofern ist es ok, finde ich, es spiegelt die Wirklichkeit in unserem Sport wider.
Trotzdem müssen wir aufpassen. Ich finde es nicht glücklich, wenn Monaco und Aachen am selben Wochenende stattfinden. Auch ist nicht ideal, wenn eine Woche vorher der Große Preis von Rotterdam, das klassische holländische CSIO, ausgetragen wird. Da gibt es von Longines 150.000 Euro, und eine Woche später in Monaco 1,5 Millionen, also genauso viel wie in Aachen. Diese Summe wurde seit zwei Jahren kontrovers diskutiert. In Monaco haben auch Topreiter gewonnen, die Nummern zwei und drei der Weltrangliste, Julien Epaillard und Harrie Smolders.
Langfristig ist es nicht gut, wenn es auf einem klassischen CSIO wie Rotterdam nur zehn Prozent der Gewinnsumme der Global Champions Tour gibt. Das ist keine Terminfrage, sondern eine Dotierungsfrage. Wenn es eine Woche später so viel mehr Geld zu gewinnen gibt, muss man sich nicht wundern, wenn nur ein zweitklassiges Starterfeld vor Ort ist.

St.GEORG: Bei der Entscheidung, Christian Kukuk nicht in Aachen starten zu lassen, ging es da auch ums Geld? Das Team Riesenbeck International führt in der Champions League, Kukuk selbst lag individuell auf Platz drei, ist inzwischen Zweiter.
Ludger Beerbaum: Das waren auch Gründe. Aber der Hauptgrund war, dass Kukuks Pferd Mumbai seit acht Monaten ohne Eisen läuft und das außerordentlich gut. Wir haben das auch bei anderen Pferden probiert, da ging das überhaupt nicht, aber bei Mumbai ist es ein deutlicher Unterschied. Er läuft und springt so viel einfacher ohne Eisen. Das geht auf einem Rasen wie Aachen nicht, da müssen Eisen drauf und Stollen rein. Daher fiel die Entscheidung: Er bleibt von Aachen weg und geht in Monaco.

St.GEORG: Aber bei der Global Champions Tour in Riesenbeck ist doch auch Rasen?
Ludger Beerbaum: Bei uns ist Gras, das stimmt. Der Große Preis mit Stechen geht da auch nicht für Mumbai. Wir haben allerdings etwas anderes Gras, kein Gefälle im Platz, sondern das Gelände ist topfeben. Das Gras ist ein bisschen länger als in Aachen. Eine normale Fehler-/Zeitrunde würde bei uns gehen. Mumbai bekommt für unser Turnier keine Eisen.

St.GEORG: Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages das Amt des Bundestrainers zu übernehmen, wenn Otto Becker aufhört?
Ludger Beerbaum: Nein, das würde mit meinen Interessen, mit meinen Reitern gar nicht gehen.

St.GEORG: Wie ist Ihr Verhältnis zu den Funktionären in Warendorf? Es war ja nicht immer spannungsfrei.
Ludger Beerbaum: Nein, das war nicht immer spannungsfrei. Man muss sich ja auch nicht unbedingt immer in den Armen liegen. Die machen ihr Ding, ich sehe einige Dinge anders, das finde ich auch nicht so schlimm. Letztendlich brauchen wir den Verband. Manchmal würde ich mir weniger Beamtenmentalität und mehr Flexibilität wünschen.

St.GEORG: Wie entwickelt sich Ihr Betrieb Riesenbeck International?
Ludger Beerbaum: Ich bin absolut zufrieden mit der Situation und der Entwicklung. Mit den anderen Firmen in der Global Equestrian Group habe ich nicht jeden Tag was zu tun. Einmal im Monat gibt es ein Board Meeting, da werden Dinge besprochen, aber im Tagesgeschäft, wer auf welches Turnier geht, wer welches Pferd reitet, kauft oder verkauft – das machen wir hier, wie wir es vorher auch gemacht haben.

St.GEORG: Ist ein weiterer Ausbau von Riesenbeck International geplant? Sie sind ja in der ersten Reihe der Plätze in Europa angekommen.
Ludger Beerbaum: Wir sind gut beraten, die Anlage jetzt erstmal auszulasten. 26 Late Entry Turniere, zwölf CSI2**, Kreismeisterschaften im vergangenen Jahr, alle vier Jahre Deutsche Jugendmeisterschaft, zwei große Internationale Turniere: EM Springen 2021, EM Dressur 2023,  außerdem die Deutsche Meisterschaft Springen im in der Halle im Corona-Jahr – das war schon eine ganze Menge.

St.GEORG: Wo wird der Sport in 20 Jahren stehen?
Ludger Beerbaum: Da ist eine Prognose schwer zu stellen. Es gibt Themen, die im Raum stehen und hinterfragt werden müssen, wie Horse Welfare. Diese Dinge müssen wir ernst nehmen.  Es reicht nicht, irgendwie über Social License zu reden, sondern wir müssen auch für das einstehen, was wir für richtig halten, in der gesunden Abwägung, was Training und Leistungssport auch mit sich bringen. Pferde müssen trainiert und gefordert werden und sie müssen sich auch mal anstrengen.
Wir müssen Einblicke gewähren. Mit zunehmender Digitalisierung können wir objektiv Nachweise erbringen, dass die Pferde nicht überlastet werden. Dazu gehört, dass wir einschreiten, wenn dies dennoch geschieht und kritisch unser Tun reflektieren. Dann, glaube ich, haben wird eine riesengroße Chance, dass wir mit dem Partner Pferd, ob im Freizeitbereich, im therapeutischen Bereich, aber auch im Leistungssport in 20 Jahren nach wie vor eine olympische Disziplin sind, und viele Menschen finden, die sich über unseren Sport freuen können.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.