Artgerechte Pferdepflege: Zu menschlich gedacht?

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Frisches Stroh dick eingestreut: Pferde legen sich gerne auf einen weichen Untergrund. (© Slawik)

Wirklich sinnvoll oder nur gut gemeint und eigentlich das Falsche für das Pferd? Sechs Situationen unter dem Aspekt der artgerechten Pferdepflege betrachtet

Jeden Tag haben wir sie: die Situationen, in denen wir dem Pferd etwas Gutes tun möchten, aber unsicher sind, ob es sich wirklich um artgerechte Pferdepflege handelt. Denken wir in den folgenden Situationen zu menschlich oder beachten wir durchaus die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes? Wir haben die Verhaltensforscherin Prof. Dr. Uta König von Borstel nach ihrer Meinung gefragt.

Fenster zu, es zieht!

Wenn es draußen wieder eisig kalt wird, werden in einigen Ställen die Schotten dicht gemacht, damit die Pferde keine Zugluft abbekommen. Das ist zwar möglich, aber anders als wir denken. „Was wir als Zugluft spüren, ist nicht das Gefährliche. Sondern punktuelle Zugluft, die wir nicht so wahrnehmen. Zum Beispiel, wenn nur ein ganz kleines Fenster geöffnet ist. Der Wärmemechanismus springt nicht an, weil nur ein kleiner Teil des Körpers auskühlt. Wenn alles kalt ist, ist das nicht so schlimm, damit kommt der Körper besser klar“, erklärt Prof. Uta König von Borstel.

Warmes Futter im Winter

Slawik

Ein schön warmes Mash an kalten Wintertagen – mag das Pferd (© Slawik)

Eine schöne heiße Suppe, wenn das Außenthermometer um die null Grad anzeigt – das wärmt von innen. Und weil man das auch seinem Pferd gönnen möchte, gibt es vor der Heimfahrt noch ein warmes Mash. Ist das artgerechte Pferdepflege? „Es gibt Studien, die zeigen, dass Pferde im Winter wärmeres Wasser bevorzugen. Ich kann mir vorstellen, dass sie auch gerne warmes Futter fressen“, sagt Prof. Uta König von Borstel. „Die Frage ist: Muss das Pferd in allen Bereichen verwöhnt werden?“

Wenn es krank oder sehr alt ist, ist es natürlich eine sinnvolle Maßnahme, um die Futteraufnahme zu steigern. Füttert man jedoch generell so, besteht die Gefahr, dass es vielleicht irgendwann kaltes Futter etc. verschmäht. Wir sehen auch bei uns Menschen, dass wir mit widrigen Umständen immer schlechter zurechtkommen. Wenn wir das Pferd zu sehr verwöhnen und behüten, wird es unter Umständen zu verwöhnt und auch sein Immunsystem und sein Organismus werden nicht mehr so gut trainiert.“

Abwechslung im Winter – oder lieber Routine?

Lieben Pferde die Abwechslung oder eher die Routine? „Das ist schwer zu sagen“, so Prof. Uta König von Borstel. Es komme darauf an, in welchem Bereich man sich bewege. Bei der Fütterung zum Beispiel ist Routine gut und sinnvoll fürs Pferd. Beim Reiten kann das schon anders aussehen, zumal viele Pferde immer wieder mit neuen Situationen klar kommen müssen, beispielsweise Turnierpferde, aber auch Freizeitpferde, die viel in unterschiedlichem Gelände unterwegs sind.

„Wir wissen, dass Pferde nichts lernen, wenn man das Training nicht steigert. Ob es sich ohne Abwechslung langweilt, so wie wir Menschen, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass Pferde zufrieden sind, wenn sie Anforderungen erfüllen können. Wichtig ist, dass man beim Erlernen von Neuem nicht zu viel Druck macht – körperlich wie geistig –, weil das Pferd nicht versteht, was wir von ihm wollen. Das ist ein größeres Risiko als Langeweile“, erklärt die Verhaltensexpertin.

Für den Lernerfolg kann Abwechslung sinnvoll sein, auch mit Pausen. Eine Studie, die Prof. Uta von Borstel geleitet hat, hat gezeigt, dass der Lernerfolg bei Pferden derselbe ist, egal ob sie täglich oder nur jeden dritten Tag trainiert werden.

Wellness fürs Pferd: Artgerechte Pferdepflege?

Im Winter steht Wellness hoch im Kurs. Und auch in der Pferdehaltung taucht der Begriff Wellness immer wieder auf. Ein Klassiker sind Massagen.
„Wenn man Massagen korrekt und nicht zu stark ausführt, empfinden viele Pferde das als angenehm. Der beste Indikator dafür ist das Putzgesicht“, erklärt Prof. Uta König von Borstel. Dabei streckt das Pferd die Oberlippe vor und zeigt damit an, dass es jetzt gerne knabbern oder beknabbert werden möchte.

Manche Pferde kreisen auch mit der Oberlippe. Schwieriger ist es, wenn stark verspannte Muskeln massiert werden. Dabei kann schnell die Schmerzschwelle überschritten werden und weil die gewünschten Effekte erst verspätet einsetzen, kann es für das Pferd schwer nachvollziehbar sein, dass man ihm etwas Gutes tun will. Eine solche Situation erfordert viel Fingerspitzengefühl, um das Pferd nicht zu überfordern und zusätzliche Anspannung zu bewirken.

Streicheleinheiten als Zeichen der Zuneigung

Wir streicheln unsere Pferde zur Begrüßung, zum Abschied oder wenn sie etwas sehr gut gemacht haben. Aber Streicheln kommt im Verhaltensrepertoire des Pferdes nicht vor. „So wie wir es machen, entspricht es zwar nicht der Ethologie des Pferdes, aber es wird sicher auch nicht als etwas Negatives wahrgenommen.

Das gilt auch für das lobende Klopfen am Hals. Das hat für sich genommen keinen positiven Effekt, kann aber durchaus positiv werden, wenn es mit etwas verknüpft wird, zum Beispiel einer kurzen Trainingspause nach dem Loben oder einem Leckerli“, erklärt Prof. Uta König von Borstel. Möchte man seinem Pferd auf seine Art Zuneigung zeigen, krault man lieber anstatt zu streicheln.

Frische, saubere Box und dick eingestreut

Pferde legen sich gerne auf einen weichen Untergrund, das ist wissenschaftlich belegt. Viele Pferdebesitzer holen täglich alle Pferdeäpfel aus der Box und jeden nassen Strohhalm. Dann wird wieder dick eingestreut, um es dem Pferd gemütlich zu machen.

Sinnvoller ist aus Sicht der Verhaltensforscherin eine gut gepflegte Matratze, bei der dick eingestreut wurde und nur die Pferdeäpfel täglich entfernt werden. Die Matratze saugt Urin gut auf und es gelangt weniger Ammoniak in die Luft. Dennoch sträuben sich viele Pferdebesitzer gegen diese Art des Mistens.

Artgerechte Pferdepflege: Gut gepflegte Matratze

„Wenn jeden Tag nasses Stroh herausgeholt und frisches eingestreut wird, dann entsteht keine gute Saugschicht und es kommt Urin in Kontakt mit Luft und Kot. Solche Ställe riechen deutlich stärker. Das ist aus meiner Sicht auch eine Art der Vermenschlichung, man möchte alles sauber und hygienisch haben. Dabei ist eine gut gepflegte Matratze wesentlich besser als alles herauszunehmen. Auch wenn wir Letzteres als schön sauber und ordentlich ansehen“, erklärt Prof. Uta König von Borstel.

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