Kommentar: Verliert der olympische Reitsport sein Gesicht?

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Stehen 2020 nur noch neun Reiter auf dem olympischen Podium? Derzeit sieht es danach aus …

Olympische Spiele London Greenwich Park 06.08.2012 Springen Mannschaftswertung (zweite Runde Nationenpreis) Siegerehrung: Silber für das Team Niederlande v.l.n.r. Jur Vrieling, Maikel van der Vleuten, Marc Houtzager und Gerco Schröder (NED), Gold für Großbritannien Nick Skelton, Ben Maher, Scott Brash und Peter Charles, Bronze für das Königreich Saudi-Arabien Prinz Abdullah al Saud, Kamal Bahamdan, Ramzy al Duhami und Abdullah Waleed al Sharbatly (KSA) Foto: Julia Rau Am Schinnergraben 57 55129 Mainz Tel.: 06131-507751 Mobil: 0171-9517199 Rüsselsheimer Volksbank BLZ 500 930 00 Kto.: 6514006 Es gelten ausschliesslich meine Allgemeinen Geschäftsbedingungen (© Julia Rau)

Nur noch drei Reiter pro Team, dafür Reservereiter, die eingetauscht werden können wie Fußballer – nichts scheint unmöglich, um die Reiter in der olympischen Familie zu halten. Auch weil daran viel Geld hängt.

Ich fürchte, die Würfel sind gefallen“, sagt Ludger Beerbaum resigniert. Es geht um Änderungen im Olympiaformat der Reiter ab 2020, die der Weltreiterverband FEI dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) vorschlagen will, vorausgesetzt, die FEI-Generalversammlung stimmt zu. Doch daran gibt es nach dem Sport Forum im April in Lausanne kaum noch Zweifel.

Die geplanten Veränderungen dürften das Gesicht des olympischen Pferdesports verändern, und zwar nicht zum Besseren. Statt vier Reiter pro Mannschaft in den Disziplinen Springen, Dressur, Vielseitigkeit, soll es nur noch drei geben. Alle Ritte zählen, es gibt nicht mehr wie bisher ein Streichergebnis. Scheidet einer aus, ist das Team geplatzt, beziehungsweise bekommt so viele Strafpunkte, das alle Medaillenträume zerstieben. Damit hofft der FEI-Vorstand, das Bureau, dem IOC entgegenzukommen, das nach weltweiter Beteiligung verlangt. „More Flags, mehr Flaggen“, ist die Devise von FEI-Präsident Ingmar de Vos. Da auf keinen Fall mehr als 200 Reiter olympisch auftreten dürfen, will man die frei werdenden Plätze mit Reitern aus schwächeren Nationen, die sich bisher nicht qualifizieren konnten, auffüllen.

John Madden, Vizepräsident der FEI, rechnete in Lausanne vor: „Es ist einfache Mathematik. Mit den Vorschlägen, die auf dem Tisch liegen, können wir die Zahl der Flaggen von 40 auf 55 erhöhen.“ Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), die das Viererteam verteidigte, fand sich in Lausanne auf verlorenem Posten. Selbst in den Reihen der Briten, die sich zunächst für den vierten Reiter stark gemacht hatten, schmolz der Widerstand. FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach konnte zwar eine Statistik vorlegen, nach der die Dreier-Version die Starken weiterhin stärkt und die Schwachen schwächt, aber seine Feststellung „Wir gewinnen sowieso“ trug beim Publikum zur Erheiterung bei und ihm den Ruf einer gewissen Arroganz ein. („Natürlich habe ich das nicht so gemeint.“)

Auch die Aktiven wehren sich entschieden gegen die Streichung des vierten Reiters. Wenn schwache Reiter das Feld auffüllen, würde in allen drei Disziplinen notgedrungen das Niveau sinken und damit der IOC-Forderung nach allerhöchstem sportlichen Level zuwiderlaufen. „Den Schwachen ist nicht geholfen, wenn man die Starken schwächt,“ sagt Dressur-Bundestrainerin Monica Theodorescu.

Die größten Bedenken kommen aus dem Lager der Vielseitigkeit. Die Zahl der Reiter, die in der Lage sind, eine olympische Prüfung sicher und mit Anstand zu bewältigen, ist überschaubar. Als abschreckendes Beispiel nennt Mannschaftsolympiasiegerin Ingrid Klimke die Einzelprüfung von Sydney 2000, in der viele schwächere Reiter am Start waren. Skandal-Fotos von überforderten Reitern und Pferden gingen um die Welt. „Das war echt gruselig. Damals lag der Sport am Boden. Es hat jahrelanger Aufbauarbeit bedurft.“ Auch wenn es keiner offen ausspricht: Ein tödlicher Unfall von Reiter und/oder Pferd wäre vermutlich das Aus der olympischen Vielseitigkeit.

Auch die Sorge um das Wohl des Pferdes spricht gegen die Dreier-Version. Die Versuchung der Tierärzte, ein angeschlagenes Pferd noch weiter gehen zu lassen, um das Team zu retten, lässt sich nicht leugnen. Vor allem, wenn Medaillen im Spiel sind, in vielen Ländern immer noch der Gradmesser für den Erfolg und damit für finanzielle Zuwendungen. Daran hängen auch FN-Jobs in Warendorf, wo man selbst vor grotesken Gedankenspielen nicht zurückschreckt.

Dazu gehört die Idee des „Flexiblen Durchtauschens“, wie Lauterbach es provisorisch formuliert. Will heißen: Wie im Fußball kann der Reservereiter nicht nur vor der Prüfung im Fall von Verletzungen eingesetzt werden, sondern dann, wenn der Equipechef es für sinnvoll hält. Was im Springen zu Not noch vorstellbar ist, klingt in der Vielseitigkeit absurd: Nach der Dressur könnte dann für den Cross ein exzellentes, aber dressurmäßig schwaches Paar eingetauscht werden. Oder vor dem Springen statt des lahmen Geländecracks der sichere und vorsichtige Springer! So als ob man beim Zehnkampf ein paar schwache Disziplinen durch stärkere Athleten erledigen lässt. Klingt nach 1. April, wird aber überlegt. Das IOC soll positive Signale gesendet haben.

Wichtig sei, so Lauterbach, dass auch alle vier Reiter eine Medaille bekommen, auch der, der vielleicht nur an einer Prüfung teilgenommen hat. Übrigens hat das IOC in keiner Weise verlangt, den vierten Reiter zu streichen. Das hat IOC-Präsident Thomas Bach dem deutschen Reiterpräsidenten Breido Graf zu Rantzau versichert. In vorauseilendem Gehorsam erweist die FEI den eigenen Sportlern einen Bärendienst, auch den schwächeren Nationen. Denn diese Teams sind es, die eher platzen als die der erfolgreichen Reiternationen. Und ein Ergebnis, bei dem nur die Hälfte der Teams alle Reiter ins Ziel bringt, ist auch keine Werbung für den Sport und wird den olympischen Rausschmiss nicht verhindern, sondern beschleunigen.

Gabriele Pochhammer

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.