Moment mal! Schnellschuss gefordert

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Moment mal_Gabriele Pochhammer

Gabriele Pochhammer, Herausgeberin St.GEORG (© Toffi)

Mit der Forderung nach einem neuen Austragungsmodus für die olympische Vielseitigkeit 2028 überraschte das Internationale Komitee jetzt den Weltreiterverband. In vier Wochen sollen die nationalen Verbände ihre Ideen vorlegen.

In knapp sechs Monaten wird in Paris der erste Vielseitigkeitsreiter ins Dressurviereck galoppieren, aber hinter den Kulissen erregen zurzeit vor allem die Spiele in Los Angeles 2028 die Gemüter. Zwar wurden vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) alle drei Disziplinen – Springen, Dressur und Vielseitigkeit – am 13. Oktober 2023 grundsätzlich für LA bestätigt, aber das IOC und das LA-Organisationskomitee forderten vom Weltreiterverband FEI kurz vor Weihnachten – unerwartet und ziemlich überraschend – eine Änderung des Formats, und zwar zügig. Das klang nicht nach einer Bitte, sondern eher nach einer Bedingung. Bis zum Frühjahr muss die FEI ein neues Format präsentieren. In einer Videokonferenz wurde am vergangenen Wochenende Verantwortlichen von FEI und den nationalen Reiterverbänden die Möglichkeiten präsentiert, wie das aussehen könnte.

Hinter dem Wunsch des IOC steht wie immer, einen möglichst spannenden und telegenen Wettkampf zu kreieren mit leicht verständlichen Regeln auch für Leute, die wenig bis gar nichts mit dem Reitsport zu tun haben, für die Zuschauer vor Ort wie für die vor den Monitoren. Auch die Kostensenkung kommt immer wieder zur Sprache, wenn es ums Reiten geht, besonders um die Vielseitigkeit und den mehr oder weniger aufwendigen Geländekurs.

Die Forderung des IOC

Das IOC wünscht sich, dass der Cross Country Kurs als Herzstück der Vielseitigkeit zum Schluss ausgetragen wird, Dressur und Springen davor. Der Führende geht als Letzter auf die Strecke, ist er im Ziel, steht das Gesamtergebnis fest. Das wäre im Fall Olympia das Mannschaftsergebnis, die 25 Besten treten am Folgetag in einem weiteren Springen um die Einzelmedaillen an. So die vorläufige Version, die – bis auf das zweite Springen – in keiner Weise neu ist. So wird jedes Jahr beim CHIO in Aachen geritten und tatsächlich hält das große Stadion den Atem an, wenn der letzte Reiter in die Soers auf die letzten Hindernisse zugaloppiert.

Die Bedenken

Das Modell wurde von einer Arbeitsgruppe der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) bereits vor 22 Jahren präsentiert, fand damals aber wenig Anklang und nur wenige Veranstalter, die ihm folgten, wie Aachen. Die Bedenken, die damals geäußert wurden, gelten bis heute: Auch ein angeschlagenes Pferd, das so eben noch das Ziel erreicht, könnte in der Wertung bleiben, weil es keinen Vetcheck mehr passieren muss. Allerdings wird es für die 25 Besten vor dem finalen Springen noch einen zusätzlichen Vetcheck geben, wie in den anderen Disziplinen auch.

Aber diese Version ist ebenfalls noch nicht spruchreif, vor allem was Dressur und Springen vor dem Cross betrifft. Einen Tag Dressur, den nächsten Springen? Oder halbe halbe? Das Springen um die Einzelmedaillen würde die Prüfung um einen Tag verlängern. „So bekommt man das Stadion noch mal voll“, gibt Philine Ganders-Meyer zu bedenken, die vier Jahre lang im Vielseitigkeitsausschuss der FEI saß und jetzt in der FN für den Spitzensport Vielseitigkeit zuständig ist. Sie erinnert sich an unglaublich spannende abschließende Springen, wenn eine bunte Stange über die Podiumsplätze entscheiden kann. Man denke nur an den Fehler von Sara Ostholt am letzten Hindernis in London 2012, der Michael Jung die Goldmedaille bescherte. Auch bei der Weltmeisterschaft in Pratoni 2022 wurden die Podiumsplätze im Springen komplett neu verteilt.

Kosten senken

Der zweite Punkt, auf den auch IOC-Präsident Thomas Bach immer wieder verweist, sind die Kosten. Da gibt es eine große Bandbreite: In Pratoni zeigte Parcourschef Giuseppe della Chiesa, dass es auch mit etwas einfacheren Mitteln geht, wenn man zum Beispiel viele schlichte Holzbalken verwendet. Schicker, aber sehr viel teurer war es bei anderen Events, wenn sich der Aufbauer ein Denkmal setzen wollte. In LA 1984 entstand eine ganze Westernstadt mitsamt Galgen, anderswo wurde eben mal ein kleiner Berg um ein paar Meter versetzt.  Um Kosten zu sparen und die Logistik zu erleichtern, soll der Cross nach IOC-Wunsch in unmittelbarer Nähe der Pferdesportanlage entstehen. So war es in London 2012 und so wird es auch in Paris-Versailles sein, obwohl in beiden Fällen erprobte Plätze im Umland zu finden sind. Wo die Reitwettbewerbe in Los Angeles 2028 ausgetragen werden, steht noch nicht fest. 1984 wurde auf einem Golfplatz viele Autostunden entfernt geritten, das wäre dann in vier Jahren keine Option. Im Moment sei man noch auf der Suche nach einem Platz, auf dem alle drei Disziplinen ausgetragen werden können, sagt FEI-Präsident Ingmar de Vos. Es gebe geeignete Bewerber, heißt es. Das Ergebnis, soll in den nächsten Monaten präsentiert werden. Ein bisschen spät, wenn man bedenkt, dass normalerweise schon bei der Olympiabewerbung die Schauplätze der einzelnen Sportarten feststehen.

„Wir warten jetzt auf weitere Details der FEI“, sagt Ganders-Meyer, „damit wir wissen, in welche Richtung wir denken sollen.“ Das muss jetzt schnell gehen. Man kann davon ausgehen, dass die FEI so ziemlich jeder Forderung des IOC nachkommen wird, um bei Olympia zu bleiben. Mit dem Aachen-Modell könnten die meisten leben. „Ich finde das gut“, sagt auch Bundestrainer Peter Thomsen.  „Vor allem, wenn es unseren Sport olympisch hält. Das ist das Allerwichtigste. Und der Modus hat sich in 16 Jahren in Aachen bewährt.“ Die Botschaft des IOC-Präsidenten sei klar, sagt FEI-Präsident Ingmar de Vos: „Ändert euch, oder man wird Euch verändern.“ Ob’s der Vielseitigkeit-Kommune gefällt oder nicht. Die endgültige Entscheidung über Schauplätze und Programme will das IOC erst nach den Spielen in Paris bekanntgeben.

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Gabriele PochhammerHerausgeberin

Herausgeberin des St.GEORG, den sie als Chefredakteurin von 1995-2012 als erste Frau auf dieser Position verantwortet hat. Als Berichterstatterin auf elf Olympischen Spielen und unzähligen Welt- und Europameisterschaften. Erfolgreiche Pferdezüchterin: Der von ihr gezogene Wallach Leonidas II war eines der besten Vielseitigkeitspferde seiner Zeit. Eines der Fachgebiete: internationale Sportpolitik, schreibt für die Süddeutsche Zeitung.